Kernel-Log: Harter Kern der Linux-Entwickler diskutiert Linux-Zukunft auf dem Kernel-Summit

ISA-Unterstützung sowie ältere Treiber und Subsysteme sollen vorerst im Kernel verbleiben; Entwicklungszyklus wird nicht verkürzt; neue Treiber sollen möglichst früh aufgenommen werden; Vereinheitlichung des Userspace-Codes für die Initramfs angedacht

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Von
  • Thorsten Leemhuis

Linus Torvalds, Andrew Morton und zirka 80 andere wichtige Kernel-Entwickler debattieren derzeit auf dem Kernel Summit 2008 in Portland (Oregon) ihr weiteres Vorgehen bei der Weiterentwicklung von Linux. Dabei geht es allerdings weniger um das Aufsetzen einer Roadmap oder gar die konkrete Ausarbeitung neuer Kernel-Funktionen – das eine gibt es nämlich nicht und das andere gehört zum Tagesgeschäft auf der Linux-Kernel-Mailing-Liste (LKML).

Vielmehr tauschen die Kernel-Entwickler Erfahrungen aus und diskutieren zumeist grundsätzliche Themen rund um den Linux-Kernel, weil eben das auf Mailinglisten nicht so gut funktioniert. Auf der Konferenz-Agenda finden sich daher viele Prozessfragen – etwa zum Vorgehen bei der Entwicklung und Freigabe neuer Versionen sowie zur Aufnahme und der Verbannung von Treibern.

Jonathan Corbet, Mitbegründer und Leiter von Linux Weekly News (LWN.net) und nebenbei selbst Kernel-Entwickler, berichtet auf LWN.net nun detailliert von der Konferenz – bis zum 25. September stehen die Artikel zu den verschiedenen Themen allerdings nur Abonnenten von LWN.net zur Verfügung. Andere Quellen sind rar, häufig sickert über Blogs oder Posts auf der LKML erst nach und nach durch, worauf sich die Kernel-Entwickler geeinigt haben.

Einem der LWN.net-Berichte zufolge fand der von Alan Cox vorab per Mail eingebrachte Vorschlag, veraltete und kaum mehr genutzte Treiber und Subsysteme zu entfernen und die daraus resultierenden Kernel-Versionen durch einen Versionssprung auf 2.8 oder 3.0 zu kennzeichnen, keine Akzeptanz unter den Kernel-Entwicklern. Speziell Torvalds habe sich gegen die Idee gestellt und betont, dass die Pflege der alten Treiber und Subsysteme kaum Arbeit erfordere; so manche Hardware, die die Kernel-Entwickler als veraltet und nicht mehr verbreitet einstuften, sei zudem in vielen Teilen der Welt noch in Benutzung. So wie es aussieht, bleiben daher die Unterstützung für den ISA-Bus oder Video-4-Linux der ersten Generation zumindest auf absehbare Zeit im Kernel und fliegen nicht raus, wie es Cox vorgeschlagen hatte.

Diskutiert wurde auch darüber, wann denn der beste Zeitpunkt zur Aufnahme neuer Treiber sei. Ein Lager vertrat die Ansicht, dass nur halbwegs gereifte Treiber integriert werden sollten, denn nur so ließe sich Druck auf die Treiber-Programmierer ausüben, ihren Code zu verbessern. Das andere Lager sprach sich dafür aus, Treiber möglichst bald aufzunehmen, sofern das Userspace-API ausgereift sei und keine offensichtlichen Sicherheitslücken mehr zu finden seien. Durch die Aufnahme in den Kernel würden dann auch schlechte Treiber meist zügig besser, weil sich mehr Entwickler mit den im Kernel enthaltenen Treibern beschäftigen, als mit separat verwalteten Treibern.

Torvalds zählte zum zweiten Lager, dessen Strategie in etwa der entspricht, die die Kernel-Entwickler bereits in den vergangenen zwei bis drei Jahren bei der Weiterentwicklung der 2.6-Serie anwenden. Diese Praxis wollen die Kernel-Entwickler auch nach der Diskussion beibehalten; mehr Bedeutung beim Aufbereiten der Treiber für eine Aufnahme in den Hauptentwicklungszweig von Linux soll allerdings Linux-Staging bekommen. Dessen Betreuer Greg Kroah-Hartman betonte, dass der noch recht neue Kernel-Zweig ein großer Erfolg sei und beim Verbessern der dort enthaltenen Treiber geholfen habe.

Diskutiert wurde auch über viele andere Dinge. Dave Jones, langjähriger Kernel-Hacker und leitender Verwalter des Kernels im Fedora-Projekt, brachte die Initramfs/Initrd aufs Tapet; er plädiert dafür, den im Rahmen der Initramfs laufenden Userland-Code zum Einbinden des Root-Dateisystems zu vereinheitlichen und zusammen mit dem Kernel zu verwalten, damit der Code bei Änderungen am Kernel gleich an diese angepasst werden kann. In "Mini-Summits" diskutierten die Kernel-Entwickler ferner Status und Pläne bei Stromsparmanagement, Container-Virtualisierung und WLAN-Unterstützung.

Zum Ende des ersten Konferenz-Tages ging es dann ganz allgemein um die Qualität des Linux-Kernels und das Vorgehen bei der Entwicklung und Veröffentlichung neuer Versionen. Torvalds wünscht sich unter anderem, dass die Kerneloops-Berichte an mehr Entwickler gehen, damit diese die Fehler, die für den Oops verantwortlich sind, bemerken und beseitigen. Zwischenzeitlich war im Rahmen der Diskussion eine Verkürzung des Entwicklungszyklus auf einen Entwicklungszeitraum von zirka sechs Wochen für jede neue Kernel-Version angedacht; das Merge-Window sollte dabei nur noch eine Woche lang sein. Dies wurde beinahe beschlossen, dann aber nach weiterer Diskussion doch wieder verworfen.

Abgesehen von einer Randbetrachung im Bericht zum Vorschlag von Cox geht keiner der LWN.net-Artikel näher auf ein neues Nummerierungsschema ein. Ob es daher bald ein Linux 2.8.0, 3.0.0 oder 2008.10 gibt, wie von Torvalds vor einigen Wochen selbst vorgeschlagen, ist daher weiter ungewiss. Möglicherweise diskutieren sie darüber am heutigen zweiten Tag des Kernel-Summits, von dem LWN.net ebenfalls detailliert zu berichten plant.

Zum Abschluss des Tagesprogramms werden dann sechs neue Mitglieder für das Technical Advisory Board (TAB) der Linux Foundation gewählt – der Termin wurde extra so gelegt, damit auch die Teilnehmer der direkt im Anschluss am selben Ort abgehaltenen und auch für nicht-Kernel-Entwickler gedachten Linux Plumbers Conference an der Wahl teilnehmen können.

Kernel-Log-Staccato

  • Bereits vor fast einer Woche hat Linus Torvalds die Kernel-Version 2.6.27-rc6 freigegeben; die zwischenzeitlich aktualisierte Liste der seit 2.6.26 eingeschleppten Fehler umfasst derweil 38 ungelöste Probleme.
  • Der Verwalter des neuerdings im Rahmen von X.org weiterentwickelten Touchpad-Treibers synaptics hat die Treiber-Versionen 0.15.1 und 0.15.2 freigegeben, die vorwiegend Fehler vorangegangener Versionen korrigieren
  • Mesa 7.1 ist noch keinen Monat alt, da bereiteten die Entwickler bereits die Version 7.2 vor, die einige Korrekturen an Mesa 7.1 bringen soll
  • X.org 7.4 hätte eigentlich vergangenen Mittwoch freigegeben werden sollen – bislang ist von der neuen X.org-Zusammenstellung aber noch nichts zu sehen; die Entwickler planen derweil bereits grob die X-Server-Versionen 1.6 und 1.7 sowie das auf letzterem aufbauende X.org 7.5

Weitere Hintergründe und Informationen rund um Entwicklungen im Linux-Kernel und dessen Umfeld finden sich auch in den vorangegangen Ausgaben des Kernel-Logs auf heise open:

Ältere Kernel-Logs finden sich über das Archiv oder die Suchfunktion von heise open. (thl)