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Was war. Was wird.

Langeweile breitet sich aus in der Welt. Gähnenden Langeweile. Kein Mensch kann sich mehr verabreden. Kein Mensch? Nein, eine kleine... Ach,. lassen wir das, Häme ist wohlfeil, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na, Samstagabend nix unternommen, weil WhatsApp ausfiel und sich nix mehr organisieren ließ für die üblichen Wochenendvergnügungen? Die halbe Welt langweilt sich, weil man sich nicht mehr verabreden kann, wenn die Server streiken. Da würde mancher doch gleich eine gepflegte Verschwörungstheorie drum stricken, so wie unser notorischer Besserwisser. Denn hübsche rottriefende Buchstapel in den Buchhandlungen beweisen es: Thilo Sarrazin hat ein neues Buch geschrieben und ist bereit, wieder durch alle Fernseh-Talkshows zu tingeln. Sein Verlag wirbt so für die Kampfschrift wider den Tugendterror der Meinungspolizei, dass Rezensenten auf die Idee kommen, es handele sich um eine Neuausgabe der Heiligen Schrift. Der Mann, der nicht schreiben kann, aber Millionen von unlesbaren Büchern verkauft hat, beklagt sich wieder einmal, dass er wegen der political correctness einer linken Meinungspolizei kein Gehör findet. Der Mann hat einfach Pech: In Deutschland gilt die Meinungsfreiheit und das Bohei um die politisch korrekte Schaumsprache ist seit den beiden vergnüglichen Ausgaben des "Wörterbuch des Gutmenschen" längst vergessen und die Querdenker von einst sitzen als Quertrinker am Tresen. Vielleicht wird Sarrazins Buch noch in dieser komischen Weißbrot-Debatte aufgehen, die im teigigen deutschen Feuilleton geführt wird, in der alle kluge Sachen sagen und Maxim Biller den Berserker gibt: Wir brauchen mehr Bücher von Kopftuchmädchen.

*** Zur Meinungsfreiheit gehört auch, sich "Thanks Bomber Harris" auf den nackten Oberkörper malen zu lassen und sich in Unkenntnis biometrischer Identifikationsmethoden mit vermummten Kopf ablichten zu lassen. Auch die unglaublich verqaste antideutsch argumentierende Rechtfertigung der Aktion gegen die Geschichtsklitterung ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ein klein wenig Geschichtskunde dürfte aber dennoch von der Europakandidatin einer Partei zu erwarten sein, die sich als transnationalen politische Bewegung begreift, "deren Kommunikationsraum keine staatlichen Grenzen kennt". Irgendwas muss im Kommnunikationsraum hallen, wenn es heißt: "Dresden war als Produktionsstandort und Umschlagplatz für die näherrückende Front alles andere als ein nicht-militärisches Ziel." Man lese die Beschreibung des Dresdener Feuersturms, die der Augenzeuge Kurt Vonnegut in "Mutter Nacht" veröffentlicht hat, dem Buch wider jede political correctness. Dresden war zu dieser Zeit wie Paris eine "offene Stadt" und längst kein Produktionsstandort mehr, die Produktion war in sächsische Stollen verlagert. So gehört es zur Ironie der Geschichte, dass das Ende einer Partei ohne staatlichen Kommunikationsraum mit einem Bombardement zusammenfällt, dass viele Dokumente zur Forschung von Emanuel Goldberg vernichtete. Der Rest ist Abschalten, frei nach Shakespeare.

*** An diesem Wochenende wartet der allseist bekannte Kommunikationsraum ohne Grenzen auf einen Tweet von @YuliaTymoshenko als "Beweis" dafür, dass in der Ukraine Forderungen der Opposition umgesetzt werden. Bei uns sorgte ein anderer Tweet für Aufregung. Er kam von der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdeln, die während eines Arztbesuches eine Fernsehsendung über die Zustände in der Ukraine sah. Ihre Anmerkung über die verwelkten Grünen wurde direkt im Bundestag aufgenommen, wo der Linke Andrej Hunko über die Ukraine sprach. Britta Haßelmann vom Bündnis 90/Die Grünen las den Tweet vor und forderte Hunko auf, sich von der Aussage Dagdelens zu distanzieren – was dieser nicht tat. Nach diesem Zwischenfall meldete sich Bundestagspräsident Lammers zu Worte und kritisierte die abwesende Abgeordnete. Wir lernen: Wer nicht im Bundestag anwesend ist, soll auch in den sozialen Medien die Klappe halten. Digitale Zwischenrufe sind verboten, auch wenn sie der politische Gegner veröffentlicht. Ansonsten gehört Netzpolitik ab sofort in den ständigen Ausschuss "Digitale Agenda". Da twittert man viel, tagt aber unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit, #btada, #btada, #btada

*** Da, Da, Da - Oh. Kralle Krawinkel ist nicht mehr da. Vielleicht existiert er ja wie Frank Zappa als Bakterium in seinen spanischen Weinstöcken weiter.

*** Abseits der Debatte um die Verschärfung der Gesetze ist der "Fall Edathy" eine bemerkenswerte Sammlung von Pannen und Gesetzesverstößen, vom Innenminister bis zur Staatsanwaltschaft. Auch die IT ist munter mit im Spiel. Laptop geklaut, doch spät angezeigt. Techniker versprechen, die Abgeordneten-Daten zu sichern, doch gehen erst einmal ins Wochenende. Macht ja nix, Daten werden ohnehin für drei Monate auf Vorrat zwischengelagert, ist doch hervorragende Werbung für die Vorratsdatenspeicherung, die nunmehr ganz niedlich und schnuckelig als "private Vorsorgespeicherung" einherkommt wie eine Zusatzversicherung bei Aua an den Zähnen. Groß das Lamento des neuen/alten Innenministers auf dem Polizeikongress in Berlin, dass ein französischer Serienmörder nur dank der Vorräte gefasst werden konnte. Was leider schlicht nicht stimmte, weil der Tipp eines Motorradhändlers ausschlaggebend war. Ich komme nicht umhin, in Fullquote diesem Kommentar zuzustimmen, in Erinnerung an Roswitha Müller-Piepenkötter, die in Nordrhein-Westfalen die Berichtspflicht einmal abschaffte: Was bleibt, ist eine mafiöse Regierungsmannschaft, der man in jedem Detail ihres Wirkens mit größtem Misstrauen begegnen muss.

*** Bei den hübsch portionierten Enthüllungen von The Intercept sind Dokumente veröffentlicht worden, nach denen Wikileaks überwacht werden soll, ebenso die Besucher auf den Webseiten von Wikileaks. Das überrascht eigentlich niemanden, denn selbst die größten Assange-Gegner wissen seit den Stratfor-Leaks, dass Wikileaks ein rotes Tuch für alle Geheimnisgeschäftler ist. Überraschend ist allenfalls die niedrige Zahl der Zugriffe, die laut Intercept registriert wurden. Unterdessen ist ein langes Portrait von Assange in Großbritannien erschienen, dass sein Ghostwriter Andrew O'Hagan verfasst hat. Von O'Hogan stammen die meisten Kapitel der unautorisierten Autobiographie Assanges, von der sich Julian Assange wie Andrew O'Hagan distanziert haben. Das nun veröffentlichte Portrait gibt einen interessanten Einblick in das Leben und Treiben auf dem Landsitz Ellingham Hall, wo Julian Assange unter Auflagen lebte und sein Leben ins Aufnahmegerät erzählte. Es endet mit Besuchen in der ecuadorianischen Botschaft, wo Assange gebeten wird, die Fähigkeiten von Edward Snowden einzuschätzen:

"He’s number nine, he said. ‘In the world? Among computer hackers? And where are you?’ ‘I’m number three.’ "

*** Ob lebende Hacker die Plätze eins und zwei bei den Versuchen innehaben, "die Maske hinter der Maske" niederzureißen, was nach Assange die historische Aufgabe der Hacker ist, das wird wohl niemals geklärt werden. Immerhin, die NSA und mit ihr arbeitende Geheimdienste können dem langen Stück entnehmen, dass Kuriere wie Jérémie Zimmermann von La Quadrature du Net Säcke von Cryptophones transportieren, die unter den Anwesenden reihum getauscht werden. Da geht noch was. Schließlich will ganz Deutschland Widerstand leisten und den Weg zur technologischen Souveranität finden. Ganz Deutschland? Nun, zumindest der Teil, der nach dem WhatsApp-Deal in German Angst zu Threema wechselt, ist schon mal mit von der Partie.

Was wird.

Die nächsten 5 Milliarden müssen angefixt werden: Auf dem Mobile World Congress wird das dazu notwendige billige Besteck präsentiert – und viel buntes Zeug obendrein. Mark Zuckerberg kommt und wird vielleicht erzählen, was die WhatsApp-Pläne von Facebook sind. Und wo schon die Deutsche Telekom erwähnt wurde, die Cryptophone-Technik in die Cloud schiebt, sei auch ihr Auftritt in Barcelona erwähnte: "Frag einen Hacker alles" klingt zumindest vom Konzept her lustig.

Auch in Deutschland tut sich was. In der nächsten Woche gegen die Briefe der Hersteller von Praxisverwaltungssystemen (PVS) an ihre ärztlichen Kundschaft raus mit der Frage, ob man denn nicht teilnehmen möchte am ersten richtigen Test der elektronischen Gesundheitskarte. Dazu muss der Arzt oder Zahnarzt nur in einer der Testregionen leben und die richtige PVS-Software haben. 500 Ärzte werden gesucht, auch zum Anfixen ist was da: Bis zu 12.500 Euro Mitmachprämie werden gezahlt, dazu Monatspauschalen für den Belastungsaufwand. Bei den ersten 20 Ärzten, die als "friendly user" für das Projekt werben sollen, gibt es noch einmal erhebliche Aufschläge. Bei jeder neuen elektronische Gesundheitskarte, die gesteckt wird, wird online geprüft, ob der Datensatz noch stimmt. Maximal 4 Sekunden darf diese Vorgang dauern. Müssen neue Daten etwa nach einem Umzug auf die Karte geschrieben werden, so darf dies nicht länger als 13 Sekunden dauern. Flott, flott, doch alles halb so schlimm, es entfällt ja die PIN-Eingabe des Patienten, weil alle Daten auf der Karte in einem ungeschützten Bereich liegen. Nicht auszudenken, wenn Hacker hier die Prüfsummen ändern würden. (jk)