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Was war. Was wird.

Ja, wo laufen sie denn?, fragte einst eine Knubbelnase. Genau: Heraus zum Kampftag der Arbeiterklasse! Wo laufen Sie denn? In die falsche Richtung, befürchtet Hal Faber, der präventiv bei der Sperrmutti seine Unschuld beteuert.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Am Kampftag der Arbeiterklasse muss der Demonstrationszug Punkt 1 Uhr abmarschieren. Alle Frauen werden dafür zu sorgen haben, dass die Hausarbeiten früher als sonst beendet sind. Es ist selbstverständlich, dass nicht nur jeder Arbeiter, sondern auch jede Arbeiterfrau und alle Familienmitglieder am proletarischen Kampftag teilnehmen."

Ich wiederhole ungern, doch diese Passage aus dem Buch von Erhard Lucas über "Das Scheitern der deutschen Arbeiterbwegung" muss aus der Zukunft von anno 2001 zurückkopiert werden. Denn erstens steht der 1. Mai vor der Tür und zweitens redet alle Welt von sozialen Unruhen, nur die Wikipedia nicht. Ja, was passiert denn da, wenn "die Halteseile irgendwann reißen", wie Gesine Schwan meint, aber keine kampftagende Arbeiterklasse mehr da ist, ein Seilchen um den Staat zu legen, um ihn einreißen, bodigen und zertrümmern zu können, mit all dem Rott von 816 Milliarden Euros? Werden soziale Unruhen heutzutage nicht schon dadurch bekämpft, dass die Schlaftablette Kerner zu einem Unterschichtensender wechselt?

*** Können wir aus der Geschichte lernen, etwa ganz aktuell bei Erhard Lucas? Wie sieht es eigentlich aus mit den gepiesackten Hartz IV-Empfängern? Werden sie sich einfach hinstellen und ein bisschen Wegegeld verlangen, weil sie der Staat im Stich lässt? Kommt auch in Deutschland das von den Begüterten gefürchtete Bossnapping in Mode? Mir schwant ehe, dass gerade mal ein Schwein genauer hinguckt, während sich der Rest am Kampftag im Schweinegarten tummelt.

*** Derweil redet der Chef der größten deutschen Arbeiterpartei Managerquatsch angesichts von drohenden 5 Millionen Arbeitslosen: "Ich denke, dass wir gut aufgestellt sind – auch weil wir ein Sozialstaat sind, der den Menschen sagt: Wir geben euch Sicherheit." Wir hier oben haben Sicherheit in rauen Mengen auf Lager, ihr da unten könnt davon etwas Sicherheit abhaben. Wem das zu wolkig ist, weil er Gewissheit erwartet, gar ein Gewissen, bekommt bestenfalls ein Gewieher und wird in eine Halteleine gewickelt, deren Farbe er selbst aussuchen darf. Vor ziemlich genau 4 Jahren brandmarkte Müntefering die "Heuschrecken". Nun will er den Kapitalismus in die Mülltonne der Geschichte treten, ohne Abwrackprämie und Alternative. Die Besitzsstandswahrer von der tageszeitung votierten eindeutig: 71 % ist dafür, dass die Deutschen alles still ertragen, ohne dass ihnen der Kragen in der Mülltonne platzt.

*** Wie eine ordentliche soziale Unruhe als moral panic erzeugt und gesteuert werden kann, hat die Debatte um die Kinderpornografie in dieser Woche sehr deutlich gezeigt. Schuppdiwupp war da die Meldung von der Internet-Mafia, die nicht nur Kinderpornografie verbreitet, sondern im Netz herum phisht und natürlich auch die Server für Urheberrechtsverletzungen bereithält. Also muss im großen Stil geblockt werden, die teuflische Enteignungsmaschinerie Internet abgestellt werden. Wen das alles noch nicht reicht, müssen halt die Zugriffe auf die Kinderporno-Urheberrechts-Vergewaltiger-Mafia-Server in Echtzeit überwacht werden. Die nächste Stufe ist das Verbot von alternativen DNS-Servern und, die Twitternasen wird es besonders schmerzen, von TinyURL und anderen Shortenern, die die Namen von Webangeboten krzn. Nur bei Glücksspielen gibt es noch etwas Klärungsbedarf in einer Großfamilie, die in der norddeutschen Tiefebene lebt. Immerhin ist der Bruder von Deutschlands Sperrmutti der Chef eines Betriebes, der Mehrheitseigener von Bet24 ist. Für den Rest der verschwörenden Geschichte gilt: Immer schön Fefe lesen.

*** Aber bitte, auch positive Nachrichten kennt unser Land. Nehmen wir die gentechnisch leicht modifizierte Variante einer Ministerin, die Laptops für alle Schüler fordert, aber keine Ahnung hat, wie das finanziert werden kann. Als Argument darf wieder einmal das Internet herhalten. Damit frühzeitig Copy & Paste für den Unterricht gelernt werden kann, oder wie Bilder bei Facebook gespeichert werden können. Dieser US-amerikanische Dienst ist ein Hort der Demokratie, wo eine Wahlbeteiligung von 0,3 % als repräsentative Quote gilt. Zum Vergleich: Die BRD hat allen Auswanderungsgelüsten zum Trotz 82 Millionen Einwohner. Davon sind 2008 rund 1,5 Millionen Mitglieder in einer der im Bundestag vertretenen politischen Partei gewesen. Würden nur diese wählen gehen, wäre das mehr als genug Demokratie.

*** Amerika hat es in jedem Fall besser, in Sachen Demokratie wie in der IT. Ein besonders gute Nachricht aus dieser Woche ist der angestrebte Kauf von Sun Microsystems durch Oracle. Prompt melden sich die weltbesten Analysten – meine Tastatur norwegert – und sehen die nächste Runde in der unendlichen Geschichte am Horizont aufquellen. Eine große Menge an Linux-Code soll demnach Sun gehören und wandert nun in die Hände von Oracle, das einen auf SCO machen kann: Prozesse, so weit das Auge reicht. Ein schönes Bild auch darum, weil SCO knapp 100.000 Dollar zahlen muss, dies es kaum hat. Aufschwung oder Mülltonne, das ist die Frage eines großen englischen Dichters gewesen.

*** Ein anderer Engländer veröffentlichte zusammen mit einem Amerikaner am 25. April 1953 einen Aufsatz über die DNA in der Nature. Der Aufsatz ist nur eine Seite lang, reichte aber locker, um den Nobelpreis zu bekommen und gleichzeitig die Forschungen der Rosalind Franklin zu unterschlagen. Jaja, wie eingangs erwähnt, sind Frauen und Hausarbeiten untrennbar. Da haben am Girls Day muntere Mädchen im Bundeskanzleramt auf einem hergerichteten "Girls'-Day-Parcours" schrauben, löten und programmieren müssen – und niemand schreibt drüber. Der einsame Höhepunkt war da der Stand der Bundespolizei, wo nach all dem Löten und Programmieren Personenkontrollen und vereinfachte erkennungsdienstliche Behandlungen geübt wurden.

Was wird.

Mit dem großen Eric Idle können wir summend oder singend einen schönen Sonntag mit einem guten Abgang begehen: Always look on the bright side of life, denn der letzte Lacher geht über dich. Was das konkret bedeutet, musste Erfolgstrainer Jürgen Klinsmann mit diesem Urteil erfahren: "Eine reale Kreuzigung des Antragstellers steht überhaupt nicht im Raum. Vielmehr wird der berufliche Niedergang des Antragstellers in symbolischer Weise dargestellt." Man könnte es auf die einfache Formel bringen, dass nur "der Kaiser" kreuzigen darf und dass dies nur in München passieren kann.

Bekanntlich entscheidet heute eine heidnische Stadt in einem Volksentscheid darüber, ob Ethi oder Reli angesagt ist. Vielleicht sollte jemand, dem die Verehrung höherer Wesen fremd geworden ist, lieber schweigen. Aber eine große deutsche Zeitung spricht von der Wahl zwischen Eisdiele und Religion, und fordert vehement, dass Berliner Kinder noch etwas über die Wurzeln der westlichen Kultur lernen. Das gibt denn doch zu denken. Wenn Juden lernen, wie ihr Glaube und ihre Kultur die westliche Kultur geprägt hat, wenn Muslims lernen, wie ihr Glaube und ihre Kultur die westliche Kultur geprägt hat, wenn Christen lernen, was sie einstmals von Juden und Muslims lernen durften, dann lernen alle, dass es drei Ringe gibt, die nicht unterschieden werden können. Nur wer lernt, den Glauben der anderen nicht als Irrglauben zu denunzieren, wird auch mit dem fröhlichen Nichtglauben seinen Frieden schließen können.

Zum fröhlichen Nichtglauben ist der freie Zugang zum fröhlichen Wissen ähnlich wichtig wie den Glaubenden der Zugriff auf Bibel, Koran und Tanach. Die seltsame Diskussion, die im Zuge einer intellektuellen Apathie über Open Access geführt wird, wird an anderer Stelle demontiert. Schön auch der Rückzug eines guten Freundes. Was Google mit der Welttextmasse macht, ist etwas ganz anderes als das, was Open Access mit dem allen gehörendem Wissen meint. Wenn also unsere westliche Kultur in Gefahr ist, dann durch Literaturwissenschaftler, die eifrig Softwarepatente verteidigen und wahlweise die Zeit der deutschen Kleinstaaten im Deutschen Reich oder den Nationalsozialismus zur Argumentation heranziehen. Wer sich nun kopfkratzend fragt, warum solche Nieten unter "Was wird" abgehandelt werden, sei auf den 7. Mai verwiesen, an dem die zentrale Debatte gestartet wurde. Wie wichtig diese ist, kann man an den hilflosen Überlegungen auf Netzpolitik sehen. Die digitale Boheme weiß offenbar nicht um ihre eigene Geschichte. (Hal Faber) / (jk)