Programme und Positionen zur Europawahl 2014: Die Grünen

Die Grünen sehen in der EU als "erfolgreiche Antwort auf engstirnigen Nationalismus". In ihrem Programm zur Europawahl fordern sie unter anderem, dass die zunehmende Militarisierung" des Internets begrenzt und langfristig abgebaut werden soll.

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Inhaltsverzeichnis

Bündnis 90/Die Grünen sehen die europäische Einigung als "beispiellose Erfolgsgeschichte". Die EU ist für sie "die erfolgreiche Antwort auf engstirnigen Nationalismus, der in Europa so lange seine zerstörerische Kraft entfaltet hat". Als Wertegemeinschaft habe die Union ein starkes Fundament, um dem anti-europäischen Populismus von rechts und links eine klare Botschaft entgegen zu halten: "Wir wollen ein besseres Europa, denn Europa ist unsere gemeinsame Zukunft."

Spitzenkandidaten Sven Giegold und Rebecca Harms

(Bild: gruene.de)

Für den Auftakt zur Europawahl hatten sich die Grünen ein besonderes Verfahren im Stil von US-Nominierungen ausgedacht: Nutzer, die über 16 Jahre alt sein sollten, konnten zwischen November und Januar auf einer speziellen Webplattform in einer Online-Vorwahl die zwei europäischen Spitzenkandidaten küren. Die Beteiligung war aber mau, das öffentliche Interesse an dem demokratischen Experiment hielt sich in Grenzen.

Das Rennen machten überraschend die 32-jährige deutsche EU-Abgeordnete Ska Keller und der 60-jährige französische Umweltaktivist José Bové. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, die 56-jährige Rebecca Harms, konnte sich wider Erwarten nicht durchsetzen. Die deutschen Parteimitglieder wählten die Veteranin dann aber im Februar auf Platz 1 ihrer Kandidatenliste.

Europawahl 2014

Das Europaparlament in Straßburg

Die Bürger der Mitgliedsstaaten der EU wählten zwischen dem 22. und 25. Mai 2014 (in Deutschland am 25. Mai) zum achten Mal das Europäische Parlament. In Deutschland galt dabei erstmals keine gesetzlich festgelegte Hürde für einen Mindestanteil an Stimmen, die eine Partei erreichen muss, um Abgeordnete ins Parlament zu schicken. Seit dem Vertrag von Lissabon hat das Europäische Parlament einige Kompetenzen hinzugewonnen.

Das parallel verabschiedete, fast 150 Seiten dicke Wahlprogramm gibt es im Netz auch als Kurzversion in "leichter Sprache", als MP3 sowie als Hörbuch. Dazu kommt ein Video zum Wahlaufruf in Gebärdensprache.

Ein Kapitel zur inneren Sicherheit findet sich in dem Programm nicht. Zum Stichwort Cyber-Sicherheit heißt es, dass grüne Politik hier durch völkerrechtliche Verträge "die zunehmende Militarisierung" des Internets begrenzen und langfristig abbauen will.

Ein eigener Abschnitt widmet sich dem Verteidigen von Grundrechten im digitalen Zeitalter, der unter dem Eindruck der "schockierenden Erkenntnisse über das massenhafte Ausspähen unserer Kommunikation durch Geheimdienste" steht. Die Grünen treten für einen "sicheren Aufenthalt" des NSA-Whistleblowers Edward Snowden in Deutschland oder einem anderen europäischen Land ein.

Um rechtsstaatliche Grundsätze zu gewährleisten, wollen sie bestehende Abkommen etwa zum Transfer von Fluggast-, Bank- oder weiteren Unternehmensdaten "aussetzen und gemäß strengsten Datenschutzstandards neu verhandeln". Sie fordern, die Geheimdienstarbeit aller Mitgliedstaaten neu aufzustellen und Verpflichtungen, gegenseitige Spionageaktionen zu beenden. Für das Ende der Vorratsdatenspeicherung will die Partei "in ganz Europa" kämpfen.

An den Außengrenzen wollen die Grünen keine Systeme wie "Smart Borders", durch die alle Angehörigen von Drittstaaten künftig mit Fingerabdrücken bei der Einreise in die EU biometrisch erfasst kontrolliert werden sollen. Dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Ein- und Ausreiseregister stünden enorme Kosten und schwerwiegende Eingriffe in die Datenschutzrechte von Reisenden entgegen.

Der "sogenannten Sicherheitsforschung" stehen die Bündnisgrünen kritisch gegenüber. Dies gelte dort, wo mit europäischen Mitteln Forschung wie zum Indect-Projekt finanziert wird, die Überwachung und Ausspähung perfektionieren oder die "Festung Europa" abschotten helfen solle. Stattdessen seien Forschungsvorhaben nachhaltig zu fördern, "die sich darauf richten, die informelle Selbstbestimmung und den Schutz der Privatsphäre im Internet zu stärken".

Mit den Massenprotesten gegen das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA sieht die Partei den Nachweis erbracht, dass es "längst eine 'europäische Öffentlichkeit' in der Netzpolitik gibt". Beim Dialog über die künftige Internet-Regulierung will sie "verbindliche Beteiligungsverfahren für die Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung einführen", sie setzt sich so für das "Multi-Stakeholder-Verfahren" ein.

Die Partei will für einen "modernen und starken Datenschutz" eintreten und steht hinter der laufenden Reform. Ein solcher müsse "auf der wissentlichen und expliziten Zustimmung zur Datenverarbeitung sowie umfassenden Informations- und Löschungsansprüchen" basieren. Zudem seien "datenschutzfreundliche Technik und ebensolche Voreinstellungen zum EU-Standard" zu machen. Datenschutz-Vorgaben sollen als "grundlegendes Verbraucherrecht" verstanden werden.

"Nur mit einem einheitlichen starken EU-Datenschutz können wir die Rechte der Menschen auf informationelle Selbstbestimmung effektiv schützen und hohe internationale Standards durchsetzen", meinen die Grünen. Im digitalen Zeitalter lebe die Demokratie auch davon, dass die Menschen selbst über den Umgang mit ihren personenbezogenen Informationen entscheiden können. Die Grünen treten dafür ein, staatliche Datenschutzbeauftragter zu stärken, deren Unabhängigkeit im EU-Vertrag festgelegt sei.

Die Grünen plädieren für eine Urheberrechtsreform, mit der "ein fairer Interessenausgleich zwischen allen Beteiligten" erreicht werden soll. Zum Remixen beziehungsweise für "transformatorische Nutzungen" geschützter Werke in nichtkommerziellem Umfang wollen die Grünen eine neue Ausnahmeregelung vom Verwertungsrecht schaffen. Beim lange hochgehaltenen Thema einer Kulturflatrate, mit Kopien in P2P-Netzwerken legalisiert werden sollte, geben sie sich verklausuliert. Sie fordern eine weitere Urheberrechtsschranke, um die "nichtkommerzielle Vervielfältigung offline wie online gegen angemessene Vergütung" zu ermöglichen.

Wie weit dieser Anspruch reichen und inwiefern er die bestehenden Möglichkeiten für Privatkopien tatsächlich ausweiten soll, bleibt offen. Neue legale Medienangebote seien aber zu unterstützen und auszubauen. Ferner müssten "verwaiste Werke", deren Urheber nicht mehr ausfindig zu machen seien, leichter digitalisiert werden dürfen. Nötig seien auch umfassende Einschränkungen des Verwerterrechts für Blinde und für den Bildungssektor. Softwarepatente lehnt die Partei ab. Sie ist auch gegen Biopatente sowie gegen eine "Monopolisierung von Rechten geistigen Eigentums".

Eine zukunftsfähige Breitbandinfrastruktur werten die Grünen als Fundament des digitalen Wandels. Bisher gestalte sich die Versorgung mit schnellen Netz in Europa noch recht ungleich. Deutschland liege hier allenfalls im Mittelfeld, während andere Länder auf Glasfaser "als unumgängliche Zukunftsinvestition" setzten. Die EU-Fördermittel für den Breitbandausbau wollen die Grünen deshalb stärker an Kriterien des gleichberechtigten Zugangs zu den Netzen koppeln und auf den flächendeckenden Glasfaserausbau konzentrieren. Breitband betrachten sie als "Teil der Daseinsvorsorge". Die Kommunen sollen hierbei finanziell unterstützt beziehungsweise entlastet werden, "ohne jedoch eine Zersiedelung zu befördern".

Die Grünen wollen zudem EU-weite Standards für die Klassifizierung von Breitbandgeschwindigkeiten sowie zur Netzneutralität festlegen. Unter letzterer verstehen sie sie "die gleichberechtigte Übertragung von Daten im Internet ohne Diskriminierung". Rechtsunsicherheiten und Haftungsrisiken im Zusammenhang mit offenen Funknetzwerken will die Partei auf "pragmatischen Wegen" beenden.

Die Grünen bauen auf "innovative wissenschaftliche und technologische Lösungen", um die "großen Herausforderungen unserer Zeit wie soziale Ungleichheit, den Klimawandel, die Energiewende oder auch den demografischen Wandel bewältigen zu können". Sie halten es daher für unverantwortlich, "dass konservative und sozialdemokratische Mehrheiten die notwendigen Investitionen in Forschung und Entwicklung im EU-Haushalt" einem kurzsichtigen Sparkurs geopfert hätten. Das Ziel der Mitgliedstaaten, drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben, werde damit unerreichbar.

Öffentlich geförderte Forschungsergebnisse sollen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Deshalb wollen die Grünen freien Zugang zu solchen Publikationen und fordern eine Open-Access-Pflicht. Im Sinne der freien Nutzbarkeit sollen auch Informationen über die EU-Forschungsförderung selbst als offene Daten bereitstehen. Das Potenzial der Digitalisierung und des Internets sei für Forschung, Bildung sowie Wissens- und Technologietransfer noch besser zu erschließen. Dazu gehörten digitale Infrastrukturen auszubauen, die Immaterialgüterrechte anzupassen und der Transfer von Forschungsergebnissen in die Aus- und Weiterbildung.

Um Europa als Standort besonders für Startups attraktiver zu machen, setzen die Grünen darauf, den digitalen Binnenmarkts und neue Geschäftsmodelle auszubauen. Dazu unterstützen sie offene Standards, die bei staatlichen Aufträgen verpflichtend sein sollen. Außerdem fördern sie freie und quelloffene Software. Dahinter steht das Ziel, Monopole aufzubrechen sowie eine faire und wirksame Regulierung für Internetfirmen zu finden.

Die EU müsse transparenter werden, um bestehendes Misstrauen abzubauen. Sie sollte Vorreiterin dabei sein, Informationen sowie Daten im nach den Prinzipien von Open Government und Open Data freizugeben und derart zu lizenzieren. Die Arbeitsweise des Europäischen Rats und des Ministerrats müsse durchsichtiger werden, deren Sitzungen sollten grundsätzlich öffentlich stattfinden. (anw)