Hintergrund: Erster DVD-Prozess kurz vor der Entscheidung

Der DVD-Prozess in New York nähert sich dem Abschluss, während die Anklage im kalifornischen Prozess gegen 500 Websites die Liste der Beklagten um neue Namen erweitert - darunter auch ein T-Shirt-Hersteller.

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Von
  • Gerald Himmelein

Seit Dezember 1999 laufen in den USA zwei Prozesse gegen Websites, die das Hacker-Tool DeCSS zum Download anbieten. DeCSS ist ein Windows-Werkzeug, das DVD-Videos entschlüsselt auf die Festplatte eines Rechners schreiben kann. Mit einigen PC-DVD-Decodern kann man die Kopie dann genauso betrachten wie von der Silberscheibe. Mit gewissem Aufwand kann man die entschlüsselte DVD auch auf Linux-Systemen abspielen.

Die Filmindustrie läuft Sturm gegen die Software: Sie sieht darin eine Verletzung ihrer Rechte und ein schnödes Werkzeug zum Raubkopieren von DVDs. In Zeugenaussagen und Pressemitteilungen sehen sie den Untergang der Filmindustrie heranziehen, wenn der Verbreitung von DeCSS nicht gerichtlich ein Riegel vorgeschoben wird.

Die Rechtsinhaberin des DVD-Kopierschutzverfahrens, die DVD Copyright Control Association (DVD CCA), klagt in Santa Clara, Kalifornien, gegen 500 Website-Betreiber, die DeCSS auf ihren Seiten bereit stellen. Der Anklage zufolge stellt das Kopierschutzverfahren CSS (Content Scrambling System) ein Geschäftsgeheimnis der DVD CCA dar. Das Reverse Engineering dieses Geschäftsgeheimnisses stelle einen Verstoß gegen das US-Recht dar, speziell gegen den Digital Millennium Copyright Act (DMCA).

Die acht Hollywood-Studios, die im Bundestaat New York gegen den Betreiber der Website 2600.com klagen, argumentieren ähnlich: Die Studios behaupten, 2600.com verbreite illegale Software, während der Angeklagte Eric Corley sich damit verteidigt, die Publikation des DeCSS-Codes entspreche einer freien Meinungsäußerung. Code sei eine Ausdrucksform wie jede andere und damit durch die die US-verfassungsrechtliche Garantie der Redefreiheit geschützt.

Im New Yorker Prozess endete die Beweisaufnahme am 25. Juli mit der Befragung des Informatik-Professors David Touretzky. Dieser argumentierte, ein Verbot der Verbreitung von DeCSS schränke seine akademischen Freiheiten bedeutend ein – eine Argumentation, an der Richter Lewis Kaplan bis dahin offensichtliche Zweifel zeigte.

Touretzky argumentierte weiterhin, die einstweilige Verfügung gegen die Verbreitung von DeCSS sei ineffektiv, da die beanstandeten Informationen auch auf andere Weise -- etwa auf Englisch oder auf einem T-Shirt -- weitergegeben werden können. Würden diese Formen der Informationsmitteilung ebenfalls untersagt, schränke dies das Recht auf freie Meinungsäußerung ein und behindere Dr. Touretzkys Arbeit.

Nach der Zeugenaussage gab Richter Kaplan beiden Parteien bis zum 8. August Zeit, Stellungnahmen einzureichen, wie der Fall sich ihrer Auffassung nach auf die Redefreiheit auswirkt. Eine richterliche Entscheidung wird vermutlich wenig später folgen – Kaplan hat während des Prozesses immer wieder die Bemühungen beider Parteien kritisiert, den Fall aufzubauschen.

Derweil zieht der kalifornische Prozess gegen ursprünglich 500 Angeklagte immer weitere Kreise: In der vergangenen Woche hat die DVD Copyright Control Association (DVD CCA) die Liste der Angeklagten ausgeweitet. Dabei handelt es sich in erster Linie um Personen, die im New Yorker Prozess ausgesagt haben. Dazu gehören unter anderem Jon Johansen, der das Hacker-Tool DeCSS mit entwickelte, sowie Derek Fawcus, der das Linux-Authentifizierungsverfahren "css-auth" schrieb, – und eine T-Shirt-Firma.

Der T-Shirt-Hersteller "Copyleft" vertreibt ein T-Shirt, auf dem der DeCSS-Quellcode prangt. Wenn es verboten ist, das Programm auf einer Website zu veröffentlichen, argumentieren die Anwälte der DVD CAA, sei es ebenso untersagt, dessen Quellcode auf ein T-Shirt zu drucken. Damit scheint sich die DVD CCA an die Auffassung des Zeugen Touretzky im New Yorker Prozess anzuschließen.

Mit dem T-Shirt hat es eine besondere Bewandtnis: Vom Verkaufspreis von 15 US-Dollar gehen 4 Dollar an die Electronic Frontier Foundation (EFF), die die Anwälte der Verteidigung in den Fällen von New York und Santa Clara stellen.

Kommentar: Sollten die MPAA und die DVD CCA in den USA mit ihren Klagen Erfolg haben, wird die Motion Picture Association sicherlich weltweit weitere Prozesse anstrengen; der unmittelbar nächste Schauplatz wäre sicherlich Europa.

Im New Yorker Prozess spielt keine der beiden Parteien mit offenen Karten. Die Anklage sieht in DeCSS ein reines Werkzeug zum Raubkopieren von DVDs und ging im Zuge ihrer Argumentation so weit, eigens eine DVD-Raubkopie zu produzieren und diese über das Internet auszutauschen.

Dabei ignorieren die Hollywood-Studios, dass bei einer DVD-Raubkopie der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht. Beim DVD-"Ripping" gehen alle interaktiven Fähigkeiten der ursprünglichen DVD verloren, ebenso wie Bonusmaterialien, parallele Audiospuren und Untertitel – all das, was DVD neben der Bildqualität so interessant macht.

Bis eine DVD auf der Festplatte liegt und per MPEG-2 so weit komprimiert ist, dass sie auf eine CD-ROM passt, vergehen gut und gern zwanzig Stunden. Die Übertragung einer 600 MByte großen Spielfilmdatei frisst weiterhin Zeit und Geld; das Ergebnis lässt sich nur auf einem Windows-PC wiedergeben.

Hinzu kommt, dass DeCSS weder das erste noch das einzige Werkzeug seiner Art ist: Vor DeCSS gab es schon mehrere andere Programme, um digitale Datenströme aus den DVD-Playern auf die Festplatte abzuzweigen. Mittlerweile gibt es auch andere Tools wie VobDec, die ebenfalls DVD-Videos auf die Festplatte entschlüsseln, dies aber aufgrund kryptographischer Analysen tun. Die Ankläger konzentriert sich dennoch ausschließlich auf DeCSS, das wiederum auf Linux-Code basiert und laut Jon Johansens Zeugenaussage im New Yorker Prozess nur dazu dienen sollte, DVD-Videos auch unter Linux lauffähig zu machen. Während die DVD CCA recht bald nach der Einführung der DVD-Video entsprechende Player für Windows und Mac OS lizensierte, gingen Linux-Anwender leer aus: Unverschlüsselte DVDs ließen sich zwar mit Einschränkungen wiedergeben, doch die CSS-Authentifizierung und Verschlüsselung stellte zunächst eine unüberwindbare Hürde dar.

Aber auch die Verteidigung steht auf wackeligen Füßen. Die Betonung, das Windows-Tool DeCSS sei zum Wohl der Linux-Anwendergemeinde entstanden, hat sich erst in den letzten Monaten herauskristallisiert – weder in der Dokumentation des Programms noch in den ersten Statements von Jon Johansen fanden sich Hinweise zu diesem angeblichen Ziel der Software. Zudem enthält DeCSS offenbar "geklauten" Code, nämlich die CSS-Schlüssel aus dem Xing DVD Player.

Freilich wird DeCSS von einigen Hackern tatsächlich zum Raubkopieren benutzt, auch in Deutschland: Die Staatsanwalt Kaiserslautern ermittelt derzeit gegen einen Studenten, der raubkopierte DVDs aus dem Internet geladen haben soll – auf Kosten seiner Universität. (ghi)