Die sieben Hürden zum selbstfahrenden Auto

Der Weg zum selbstfahrenden Auto wird vor allem als Liste technischer Herausforderungen wahrgenommen. Dabei ist die Technik nur eine von sieben Hürden, die noch genommen werden müssen.

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Die sieben Hürden zum selbstfahrenden Auto
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Inhaltsverzeichnis

Auch wenn Googles selbstfahrendes Mobil noch lange nicht serienreif ist, stellt es schon jetzt eine technische Errungenschaft dar. Die Fachleute, die sich vergangene Woche beim Automated Vehicles Symposium in Michigan getroffen haben, waren durchwegs optimistisch, dass die verbleibenden technischen Unzulänglichkeiten in den nächsten Jahren ausreichend minimiert werden. In anderen Bereichen war die Stimmung schon deutlich gedämpfter. Bisweilen ist noch nicht einmal klar, wie die Aufgabenstellung lautet.

Der Faktor Mensch wirft zahlreiche Fragen auf. Wie werden Verkehrsteilnehmer auf teil- oder vollautonome Kfz reagieren? Einerseits die Personen im jeweiligen Fahrzeug selbst: Wenn Fahrzeugbediener (früher: Lenker) eingreifen können, wann und in welcher Weise werden sie das tun? Größte Sorge sind Fehlreaktionen, weil der Bediener nicht versteht, was sein Auto tut und warum, oder weil er kein ausreichendes Vertrauen in den Computer hat.

Waymos autonome Fahrzeuge (14 Bilder)

Alphabets eigenentwickeltes Auto kurvt autonom durch Mountain View in Kalifornien.
(Bild: Google.)

Davon hängt das Design der Bedienelemente ab, und welche Informationen idealerweise (nicht) in welchem Detailgrad angezeigt werden. Wäre es sinnvoll, dem Bediener zu verraten, mit welchem Grad der Überzeugung das Fahrzeug sich gerade für eine von mehreren Möglichkeiten entschieden hat? Und: Wie muss die Fahrweise programmiert sein, damit sie nicht nur sicher und ökonomisch ist, sondern auch als komfortabel wahrgenommen wird? Ein automatisches Auto könnte etwa mit Leichtigkeit durch ein enges Tor preschen. Viele Insassen würden sich dabei aber fürchten.

Wichtig wäre zudem, zu wissen, wie andere Verkehrsteilnehmer auf die neuen Fahrzeuge reagieren werden. Ein vernetztes Fahrzeug könnte Energie sparen, wenn es weiß, dass die nächste Ampel rot ist, und statt erlaubter 80 nur 40 fährt. Einen nachfahrenden Lenker, der diese Information nicht hat, könnte die Bummelei aber stressen, was die Unfallgefahr erhöht. Miteinander vernetzte Autopiloten könnten auch viel geringere Sicherheitsabstände einhalten. Wären menschliche Lenker versucht, das nachzumachen?

Hätten Sie auch das Verlangen, vor den Bus zu springen, um dessen Reaktion zu testen?

(Bild: citymobil2.eu)

Zudem ist die menschliche Dummheit nicht auszurotten: Bei Pilotversuchen mit automatischen, langsam fahrenden Bussen in verschiedenen europäischen Städten sind nicht wenige Zeitgenossen vor den Bus gesprungen. Sie wollten sehen, ob er rechtzeitig anhält. Wie kann man solche Selbstversuche verhindern?

Raum- und Verkehrsplaner sind besonders verunsichert. Sie sind für äußerst langfristige und besonders teure Projekte verantwortlich. Wie werden sich Verkehrsmuster verändern, wo werden die Leute wohnen und arbeiten wollen? Viele Planer fürchten einen enormen Anstieg der Verkehrsmenge. Wer würde schon teure Parkgebühren zahlen, wenn er sein Auto leer nach Hause schicken kann, und sich später von ihm wieder abholen lässt?

Und während die meisten Fahrzeuge heutzutage eher Stehzeuge sind, könnte man sie morgen vielleicht gewinnbringend als mobile Reklameschilder umherfahren lassen, wenn man das KFZ gerade nicht braucht. Eine Horrorvision. Über die vielen freien Parkplätze würden sich Stadtplaner jedoch freuen.

Es gibt allerdings auch Experten, die eine sinkende Verkehrsmenge vorhersagen. Sie erwarten eine Vielfalt an Mobilitätsmodellen, in denen das Kaufen eines eigenen Fahrzeugs weitgehend durch geteilte Nutzung ersetzt wird. Carsharing, günstigere Einwegmieten, automatische Taxis, digital organisierte Fahrgemeinschaften und so weiter könnten die insgesamt gefahrenen Kilometer reduzieren.

Die Verkehrsinfrastruktur orientiert sich an den Verkehrsteilnehmern, und umgekehrt. Wie soll das Wegenetz auf die neuen Fahrzeuge vorbereitet werden? Vielleicht wären Änderungen am Design und der Konstruktion von Straßen angezeigt. Wie sollen Verkehrszeichen und Bodenmarkierungen idealerweise aussehen? Brauchen wir noch Bodenschwellen?

Mit solchen Autos kartiert Nokia die Welt.

(Bild: c't/Daniel AJ Sokolov)

An der digitalen Infrastruktur wird bereits gearbeitet. Die Fahrzeugkonstrukteure bauen auf extrem detaillierte Karten. Jeder Kanaldeckel, jeder Baum, jede Bodenmarkierung soll zentimetergenau erfasst werden. Nokias Kartendienst HERE hat dafür in den USA 20 Fahrzeuge im Einsatz, die Tag für Tag mit LIDAR genau solches Kartenmaterial sammeln. Pro Meile erzeugen sie schätzungsweise ein Gigabyte an Daten. Weltweit betreibt HERE zwischen 100 und 200 solcher Autos. Diese Methode skaliert schlecht, zumal sich das Straßenbild laufend ändert.

Zur digitalen Infrastruktur gehören aber auch digitale Verkehrszeichen oder funkende Ampeln. Die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur heißt im Fachsprech V2I (Vehicle to Infrastructure), in Anlehnung an V2V (Vehicle to Vehicle). Der Überbegriff V2x umfasst neben V2V und V2I auch die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern und Radfahrern. Aber wollen wir unter dem Banner der Verkehrssicherheit wirklich jedes Kind, jede Frau und jeden Mann mit einem elektronischen Sender ausstatten?

Das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr untersagt selbstfahrende Kfz; auf UN-Ebene wurde jedoch ein Update beschlossen, das autonome Systeme erlaubt, solange der Fahrer jederzeit eingreifen kann. Jene Länder, die das Übereinkommen nicht unterschrieben oder nicht ratifiziert haben, müssen auch auf diese Einschränkung keine Rücksicht nehmen. Dazu gehören beispielsweise die USA und Großbritannien. Das Königreich erlaubt heute bereits selbstfahrende Autos ohne spezielle Genehmigung auf seinen Straßen.

Von der Zulassungsfähigkeit abgesehen stehen Juristen vor der Situation, dass das geltende Recht zwar auch auf selbstfahrende KFZ angewendet werden könnte. Das Ergebnis dürfte aber wenig zufriedenstellend ausfallen. Haftungsfragen sind ein besonders heißen Eisen. Soll ein unbedarfter Fahrzeugbediener wirklich für schlecht programmierte Software haften? Vielleicht gar ins Gefängnis müssen? Wer ist verantwortlich, wenn ein Auto ganz alleine unterwegs ist und etwas falsch macht?

Wie ist die Führerscheinausbildung weiterzuentwickeln? Was sind die idealen Tempolimits und Sicherheitsabstände? Die drakonischen Strafen für Handynutzung beim Fahren könnten, abhängig von Fahrzeug und Betriebsmodus, sinnlos werden. Themen wie Gewährleistung, Garantie und Schadenersatz bekommen neue Facetten. Die Bedeutung des Datenschutzes wird, je nach Kulturkreis, unterschiedlich eingestuft. Und so weiter.

Auf die ethischen Fragen wird es keine "korrekten" Antworten geben. Beispielsweise akzeptiert die Gesellschaft derzeit eine gewisse Zahl an Todesopfern im Straßenverkehr. Denn meistens ist menschliches Versagen die Unfallursache. So starben im Mai knapp 300 Menschen auf deutschen Straßen. Wenn einmal Computer alle Fahrzeuge steuern, was ist dann noch hinnehmbar? 150? 26? 3? Entsprechend defensiv wären die Computer zu programmieren. Doch zu defensive Fahrzeuge würde niemand kaufen, womit die Todesfälle gar nicht zurückgehen würden.

Auch für konkrete Situationen müssen sich die Hersteller im Voraus etwas überlegen. In der klassischen Szene, in der ein Fahrzeug einem Kind nicht mehr ausweichen kann, das plötzlich hinter einem geparkten Auto auf die Fahrbahn springt, gibt es drei Möglichkeiten: Das Kinder zu überfahren, was die Fahrzeuginsassen zumindest körperlich nicht schädigen dürfte. Den Gegenverkehr zu rammen. Oder in das geparkte Auto zu prallen.

Den Gegenverkehr zu wählen ist eher keine gute Idee. Das geparkte Auto? Vielleicht sitzt da jemand drin? Oder vielleicht sind da noch mehr Kinder hinter dem geparkten Auto, die man dann erst recht in Mitleidenschaft ziehen würde? Auch erhöht das die Verletzungsgefahr für die Insassen des sich bewegenden autonomen Fahrzeugs. Und sollte der Hersteller nicht zuerst an seine eigenen Kunden denken, bevor er irgendwelche unfolgsamen Kinder schützt?

Ändert sich die gesellschaftliche Einstellung, wenn das Kind kein Kind sondern ein betrunkener Erwachsener ist? Oder eine Frau, die bei Rot über die Straße geht? Egal, wie die Antwort aussieht: Derzeit muss sie von irgendeinem anonymen Programmierer gegeben werden. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

"Cybersecurity wird nie perfekt sein", sagte Carl Andersen von der US-Autobahnverwaltung FHWA auf dem Symposium, "Wir werden gehackt werden." Wichtig sei daher, Fahrzeuge so zu gestalten, dass sie auch im gehackten Zustand noch sicher agieren. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Rasende Rechner mit über einer Tonne Gewicht, wertvoller Fracht und einem Tank voller hochentzündlichen Gefahrstoffs werden noch lange ein interessantes Ziel für Angreifer abgeben.

Und in Millionen von Codezeilen wird es immer Fehler geben. "Manche Leute glauben, dass es unmöglich ist, Code zu schreiben, der gut genug ist", sagte der Sicherheitsexperte Alan Chachich von der Firma Breakthrough NPD im Gespräch mit c't, "So hoffnungslos ist es nicht, aber die aktuelle Lage in der Branche ist schlecht. (...) Ein Großteil der Cybersecurity scheitert nicht am Design, sondern bei der Implementierung."

Für ein plakatives Beispiel des Problems muss man nicht weit in die Vergangenheit blicken: Jüngst machte der besorgniserregende Hack des Jeep Cherokee 2014 die Runde. Die Reaktion des Herstellers Chrysler erinnert an Slapstick: 1,4 Millionen USB-Sticks mit einem Softwareupdate sollen an die Inhaber unsicherer Fahrzeuge verteilt werden. Was könnte dabei wohl schiefgehen?

Siebtens wären da noch ein paar technische Details zu klären, wie das nun genau geht, mit dem selbstfahrenden Sitzmöbel, etwa bei Regengüssen oder im Schneesturm. Ob man dahin mit bedächtigen Schritten und kontinuierlicher Weiterentwicklung oder direkt von 0 auf 100 hinkommt, das ist eine andere Geschichte. (mho)