Grüne Megacities und Formel-1-Reis
Der Klimawandel ist selbst mit einschneidenden Maßnahmen nicht mehr zurückzudrehen. Während die Politik noch streitet, werden rund um den Globus erste zaghafte Anpassungstrategien sichtbar. Teil 2 des TR-Online-Reports: Landwirtschaft und Metropolen.
- Niels Boeing
Während eine globale Erwärmung das Trinkwasser rund um den Globus verknappen dürfte, werden die Auswirkungen auf die Landwirtschaft nicht unbedingt schlecht sein – zumindest in gemäßigten Breiten. Versuche der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft zeigten bereits vor einigen Jahren, dass ein deutlich erhöhter Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre in Europa den Ertrag von Wintergerste, Winterweizen und Zuckerrüben um 15 Prozent steigern könnte, vorausgesetzt die Pflanzen bekommen ausreichend Wasser. Sollte mediterranes Klima zwischen Rhein und Elbe Einzug halten, könnte hier zudem verstärkt Hartweizen angebaut werden. Der reift schneller ab und bringt höhere Erlöse auf dem Getreidemarkt. „Da eröffnen sich vielleicht Möglichkeiten, an die man bisher gar nicht gedacht hat“, sagt Frank Wechsung, Agrarwissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Wärmere Temperaturen könnten auch dem Obstanbau nutzen: „Die Bedingungen etwa für die Apfelproduktion werden sich wohl verbessern“, schätzt Wechsung. Und wenn sich der Maisanbau in Europa nach Norden und Osten ausdehnt, könnte gar die Erzeugung von Biogas, das sich vor allem aus Mais gewinnen lässt, zunehmen.
Andernorts sind die Aussichten allerdings nicht ganz so rosig. 2004 veröffentlichten Forscher am Internationalen Reisforschungsinstitut (IRRI) auf den Philippinen eine alarmierende Entdeckung: Mit jedem Grad Celsius Erwärmung des Tagesminimums nimmt in den Reisanbaugebieten der Ertrag um etwa zehn Prozent ab – vermutlich aufgrund von Hitzestress. Anders als lange Zeit angenommen, profitieren die Reispflanzen offenbar nicht von einer Zunahme des Treibhausgases CO2 in der Atmosphäre.
Schon der dichtbesiedelte, wuchernde Großraum von Manila, der nur selten von Reisfeldern unterbrochen wird, zeigt die Dramatik des Problems: Reis ist für dreieinhalb Milliarden Menschen das Grundnahrungsmittel, vor allem in Asien, das nach wie vor ein rasantes Bevölkerungswachstum aufweist. Wo lassen sich in dieser tropischen Landschaft noch Anbauflächen erschließen? „Es gibt kein gutes Land mehr, das nicht schon kultiviert würde“, winkt John Sheehy, Leiter der Klimaforschungsgruppe am IRRI, ab und blickt aus seinem Büro auf die ausgedehnten Forschungsfelder des Instituts. Auf akkurat abgesteckten Parzellen, in denen beschriftete Tafeln aus den grünen Reispflanzen ragen, entwickeln IRRI-Forscher seit den sechziger Jahren immer ertragreichere Sorten. Etwa die Hälfte aller weltweit angebauten Reissorten wurde hier gezüchtet.
Die Produktivität der Pflanzen weiter zu erhöhen, ist für Sheehy in einer wärmeren Welt die einzige Lösung: „Ich suche deshalb nach einer Art Formel-1-Reis.“ Der könnte möglich sein, wenn es gelänge, die Photosynthese der Reispflanze zu verbessern. Reis gehört zu den so genannten C3-Pflanzen. Sie setzen ein Drittel weniger Sonnenenergie um als C4-Pflanzen, zu denen der Mais zählt.
Die Antwort könnte bereits in der Reisgenbank des IRRI verborgen sein. Körner von 107.000 Reisproben werden in der gut gekühlten Halle aufbewahrt – fein säuberlich abgepackt in silbrige Plastikbeutel. Wie in einer Bibliothek lagern sie in fahrbaren Regalwänden. Sheehy vermutet, dass die Reispflanzen bereits die Gene für eine C4-Photosynthese enthalten – nur sind diese deaktiviert. Um einen Hinweis zu finden, wo man suchen müsste, will er nun die Blattstruktur von 6.000 Wildreissorten mittels Mikroskopie untersuchen lassen. In Sorten, deren Blätter spezielle kleine Kammern enthalten – ein Hinweis auf ihre potenzielle C4-Fähigkeit –, könnte er dann nach entsprechenden Genen fahnden.
Die technischen Grundlagen für diese Antwort auf den Klimawandel sind bereits vorhanden: Das Reisgenom wurde bereits 2002 entschlüsselt, so dass eine gezielte Suche möglich ist. Für Sheehy ist allerdings klar: Sollte er Erfolg haben, würde der Reis der Zukunft nur mittels Genmanipulation herstellbar sein. Die Formel-1-Pflanze auf konventionellem Wege zu züchten, hält er für aussichtslos – es wäre wohl zu langsam angesichts des nahenden Problems.
Die Kühlung der Metropolen
Es gibt einige Gebiete auf der Welt, denen eine globale Erwärmung besonders heftig zusetzen würde: die städtischen Ballungsräume. Die UNO schätzt, dass 2030 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Bereits heute liegt in ihnen die Durchschnittstemperatur zwischen fünf und elf Grad höher als auf dem umgebenden Land. Wissenschaftler sprechen deshalb vom „Urban-Heat-Island-Effekt“.
Tokio, mit 35 Millionen Einwohnern der größte Ballungsraum der Welt, ist so eine Hitzeinsel. „Die Durchschnittstemperatur in der Stadt ist fünfmal so stark gestiegen wie die globale Erwärmung im 20. Jahrhundert – um drei Grad“, sagt Takehiko Mikami, Klimaforscher von der Tokyo Metropolitan University. In Shanghai oder Peking gebe es denselben Trend. Und obwohl Tokio noch 35 Breitengrade vom Äquator entfernt ist, gibt es hier mehr tropische Nächte als je zuvor. Das sind Sommernächte, in denen sich die Luft nicht unter 25 Grad abkühlt. Noch vor hundert Jahren sei eine solche Nacht ein, zwei Mal im Jahr vorgekommen, sagt Mikami. Inzwischen sind es zwischen 40 und 60.
Die Entwicklung der städtischen Hitzeinseln hat zwei unangenehme Konsequenzen: eine Zunahme des Energieverbrauchs durch Klimaanlagen, die ihrerseits wieder Abwärme in die Straßen blasen, und von Herz- und Kreislaufbeschwerden. Der Zusammenhang zwischen Überhitzung und Todesfällen in Megastädten ist, wie Studien zeigen, unabhängig vom Breitengrad: Er gilt für gemäßigte Zonen ebenso wie etwa im subtropischen São Paulo. Welches Gesundheitsproblem auf die Metropolen zukommt, zeigt die Hitzewelle in Europa im August 2003. Innerhalb von zwei Wochen starben schätzungsweise 30.000 Menschen.
Wie aber kühlt man einen Moloch wie Tokio wieder auf ein erträgliches Maß herunter? Die Antwort der Tokioter Stadtverwaltung TMG lautet: mit Grünflächen in luftiger Höhe. „Die Dächer sind der letzte Raum, der in Tokio dafür noch übrig geblieben ist“, sagt Yuko Nishida, Umweltreferentin bei der TMG. Die TMG hat deshalb 2001 eine Richtlinie erlassen, nach der alle Neubauten bei einer Grundstücksfläche von mehr als 1000 Quadratmetern Dachgärten anlegen müssen. Denn gemessen an der Einwohnerzahl hat Tokio fünfmal weniger innerstädtische Grünflächen als New York City.
Eine geradezu üppige Dachbegrünung hat die Mitsui Sumitomo Insurance Company auf einem Teil ihres Bürokomplexes im Stadtteil Chiyoda anlegen lassen. Ein Pfad schlängelt sich durch Bäume und Sträucher und öffnet sich schließlich zu einem großen Garten, der von Bürogebäuden und Wohnhäusern überragt wird. Aus der Mitte ragt ein Glasdach auf. „Darunter liegt unser Konferenzraum“, sagt Seiji Takahashi, Leiter der Rechts- und Umweltabteilung des Unternehmens. „Durch die Pflanzen wird er kühl gehalten und entlastet die Klimaanlage.“ Der Effekt von Dachgärten ist beachtlich: Auf unbegrünten Dächern werden bis zu 60 Grad messen, die Dachvegetation hält die Temperatur dagegen bei etwa 30 Grad. „Die Anwohner können den Garten uneltgeltlich nutzen“, sagt Takahashi und deutet auf eine Frau, die mit einem Gartenschlauch gerade ihr Gemüsebeet im fünften Stock sprengt.
Zwischen 2001 und 2003 sind in Tokio so 90 Hektar zusätzliche Grünflächen entstanden. In Nordamerika haben bereits die Millionenstädte Chicago oder Toronto derartige Programme aufgelegt. Für Klimaforscher Mikami ist das zu wenig: „Dachgärten allein werden das Problem nicht lösen.“ Er hat der TMG deshalb vorgeschlagen, ein Netz aus Parkanlagen zu schaffen, die durch begrünte Schneisen miteinander verbunden sind. Die könnten dann Winde aus der Tokioter Bucht durch die Stadt leiten und so ein großflächiges urbanes Kühlsystem bilden. Das wird aber ohne Gebäudeabrisse im großen Stil nicht möglich sein – angesichts der Immobilienpreise in Tokio und der finanziell klammen TMG wohl Wunschdenken.
Teil 1 - Ozeane und Trinkwasser.
Teil 3 - Arktis und Hochgebirge. (nbo)