Was war. Was wird.
Willkommen im neuen Jahr, im neuen Jahrhundert - ob Extended PC oder Klassenkampf, es sind doch schöne Zeiten, in denen wir leben. Hal Faber hat da so seine Zweifel.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Willkommen im neuen Jahr, im neuen Jahrhundert – und das mit dem Jahrtausend üben wir noch. Ein neuer Geist soll uns beflügeln, aber nicht der, der Spirit Airlines beraten hat, über den Jahreswechsel hinweg ein Software-Update einzuspielen, inmitten der großen Reisewelle. Dann nicht einmal das Bodenpersonal in der neuen Software zu schulen, das hat schon Stil. Was guter Internet-Stil ist, demonstrierte diese Woche auch das Bundeslandwirtschaftsministerium. Dort lag bis zum Jahresende im Pressearchiv ein Gedicht des derzeit amtierenden Ministers Funke, das dieser auf einer EU-Sitzung im April 2000 zum ernsten Thema BSE verfasste. Passend zum Sitzungsthema dichtete der oberste Bauer der Republik: "Es tagt der Rat zum Fleisch vom Rind/zum Schutz von Mann und Frau und Kind./Ohn' Etikett, es kann verdrießen,/darf ich das Fleisch nicht mehr genießen." Derzeit ist das Pressearchiv vom Netz und die Stichwortsuche, mit der man schnell zum Gedicht kam, "aus technischen Gründen" außer Betrieb. Das Gedicht wurde übrigens auf ausdrücklichem Wunsch des Ministers ins Web gestellt.
*** Der neue Geist im neuen Jahr, ob mit boviner spongiformer Enzephalopathie geschlagen oder nicht, hat schon viele Namen, einfallslose wie "Post-PC-Ära" und schnittige wie die "Extended-PC-Ära". So nennt auch Intel in seiner neuen Kampagne "Out of the Blue" die Zeit, die nun anbricht. Ab nun sprechen wir also alle vom XT-PC, und bitte nicht vom PC-XT, denn das war der erste Upgrade des IBM PC, mit einer "riesigen Harddisk mit unvorstellbaren 10 Megabyte", wie IBM einen Charly Chaplin werben ließ. Nur war das Ding schon 1983 schon unvorstellbar schnell voll. In der XT-PC-Ära ist das natürlich kein Problem mehr, schließlich haben wir ja Speichersysteme wie das "Peerless Drive", mit dem Iomega jetzt wirbt. Richtig, natürlich mit dem schnittigen "unvorstellbar". Bei 20 GByte für die größte "Peerless Cartouche" haben wir heute zwar keine Probleme mit der Vorstellungskraft, dafür ist es der Preis, der "ein unvorstellbarer Cent pro MByte" beträgt. Der triumphalen PR-Meldung nach kann sich ein Computernutzer der XT-Ära also nichts mehr unter einem Pfennig vorstellen. Unter Peerless wahrscheinlich auch nichts. Peerless arbeiten Systeme nach Iomega dann, wenn die Lese- und Schreibköpfe zum Wechselmedium gehören und nicht zum Laufwerk und wenn sie über ein eigenes Identifikationssystem verfügen, das selbstständig jede unautorisierte Kopie oder jeden unautorisierten Leseversuch abblocken kann. Zur XT-PC Ära von Intel gesellt sich aufs feinste die Ära, in denen es "Laufwerke an Intelligenz mit dem PC aufnehmen". Nur wir bleiben doof wie immer (und kaufen).
*** Gleich zu Beginn der XT-Ära ist die neue Ökonomie 'out of the Blue' so bös gebeutelt worden, dass ich kaum noch über Bobos lästern kann, ohne gleich der Leichenfledderei bezichtigt zu werden. All die schönen Aktienoptionen, mit denen der arbeitslose Bobo nun endlich in Ruhe seine Wohnung tapezieren kann, führen bei dem Rest der hart arbeitenden Klasse zur Frage, ob denn nicht ein bisschen Solidarität und Gewerkschaftsarbeit die Lage bessern kann. So etwas hat Tradition. Im Jahre 1988, als Intel in der PC-Ära mit dem Above Board 286 und einer OS/2-Diskette warb ("So fortschrittlich, das es sogar mit Vaporware kompatibel ist"), stellte sich bei Microsoft die Gewerkschaftsfrage. Ein internes Memo an die Entwickler, von bösen Zungen der Welt zur Kenntnis gebracht, endete damals so: "Rechtliche Bedenken einmal beiseite lassend, glauben wir, dass Microsoft extrem generös ist, was Vergütung und Incentives anbelangt und dass jede Konfrontation zwischen Management und Entwicklern das harmonische Klima zerstören würde, das diese Firma so einzigartig macht. Bedenken Sie genau, was eine Gewerkschaft Ihnen bieten könnte und vergleichen Sie dies mit dem, was Sie von Microsoft erhalten. Wir bitten Sie eindringlich, diese Frage nicht mit Außenstehenden zu besprechen, besonders nicht mit der Presse. Sollten Sie weitere Fragen zum Thema Gewerkschaft haben, so kontaktieren sie bitte Frederick Angel oder Carl Marks von der Rechtsabteilung."
*** Warum Computerfirmen den Gewerkschaften schlecht gesinnt sind, macht der Fall von Ulrich Klotz klar. Der ist einer der Chefstrategen der IG Metall und zuständig für die neue Arbeitswelt. Als solcher übernimmt er nun einen Lehrstuhl für Gestaltung in der neuen Ökonomie, frei nach dem Motto, dass man auch mit geballter Faust surfen kann. Ulrich Klotz sollte man übrigens von einem Peter Glotz unterscheiden, der als echter SPD-Genosse Professor für Kommunikationsmanagement an der Hochschule in St. Gallen lernt und dieser Tage in der Bobo-Hauspostille Market den steilen Aufstieg des Internet zum Massenmedium ganz materialistisch als Tat der schwieligen Hand erklärte: "Das hängt mit der Internet-Penetration am Arbeitsplatz zusammen. Die Leute mussten das nicht kaufen, im Gegensatz zu der Einführung des Fernsehens. Der Computer stand eben am Arbeitsplatz und die Menschen mussten sich damit auseinander setzen." Und jetzt singen wir alle: "Vorwärts, und nicht vergessen, worin unsere Stärke...."
*** Aber mit dem Klassenkampf ist das ja so eine Sache. Was Frederick Angel und Carl Marks analysierten, darauf kommt nun ein jüngerer Geschichtsprofessor zurück: "Was uns hier als neue Spaltung der Gesellschaft entlang der 'Internet-Linie' verkauft wird, ist alles andere als neu. Es ist vielmehr ein getreues Abbild der alten Klassengesellschaft, die wir verdrängt haben, ohne ihre Realität beseitigen zu können", analysiert Paul Nolte messerscharf die allseits beliebte Diskussion um die digitale Kluft zwischen Internet-Haves und -Have-Nots. Dieser Nolte wiederum ist beileibe nicht zu verwechseln mit dem unseligen Ernst Nolte, dessen revisionistische Thesen schon für so manchen Historikerstreit gut waren. Revisionismus dürften aber unsere Bobos auch dem Paul Nolte vorwerfen – wo es doch in der Internet-Ökonomie nicht einmal mehr Mitarbeiter gibt, sondern nur noch Mitbesitzer. Manchmal ist eben ein bisschen Revisionismus doch ganz nett – vor allem, wenn er zu so schönen Einsichten führt: "Der Aufstieg der Privatsender hat ein spezielles Fernsehen für die Unterschichten geschaffen." Ob Alex Jolig oder Jenny Elvers verstehen, was das nun wieder heißen soll?
*** Klassenkampf hin, New Economy her: Am Arbeitsplatz kann man natürlich ungleich kräftiger auf das Internet zugreifen als zu Hause. Die Neue Zürcher Zeitung sorgt sich darum, wie andere ins Internet kommen, besonders Boris Becker, der nur in tiefer Nacht "Ich bin drin!" rufen kann, wenn alles schläft. So mag die AOL-Kampagne Folgen im Rosenkrieg Becker gegen Becker haben, beweist sie doch, wie wenig dieser Becker sich abends um die Kinder kümmerte. Ein ordentlicher Familienvater sitzt doch am Bett und erzählt Swabedoo-Märchen oder macht sich an seinem Portal zu schaffen. Was nicht ist, kann aber noch werden, wenn wir der Zürcher glauben: "...eines Abends wird er vielleicht nur noch halb so reich sein und wieder am Computer sitzen. Nebenan schläft eine neue Frau, und der Tennisspieler sagt sich, ich bin drin, im wirklichen Leben."
*** Das wirkliche Leben aber hat so seine Tücken. Zum neuen Jahr hagelte es nicht nur seltsame Obelisken in die Welt, sondern noch seltsamere Artikel in die Feuilletons. An Kubricks 2001 konnte sich von der SZ bis zur TAZ wirklich jeder abarbeiten, der etwas Besinnliches zum Stand der Dinge sagen wollte. In den USA hat man dafür die schlichte Wendung "do the Kubrick" gefunden, wenn Internet-Appliances oder defekte Sprachsoftwarefirmen wie Lernout & Hauspie mit dem Film in Verbindung gebracht werden. Aus gegebenen Anlass können wir passend zum XT-PC den Originaltitel des Filmes ändern: 2001, a Specs Odyssey. Und uns wundern, warum sich niemand die Mühe gemacht hat, die einzig echte Zukunft zu beschreiben, die in den USA die Webseiten füllte. Historisch genaue Heise-Leser werden ohnehin die ganze Aufregung um diesen Hal nicht verstehen. Der erste Computer kollabierte im Film bereits im Jahre 1957 und hieß Emmy. Im Film "Desk Set" mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy verschmauchte Emmy bei der Frage, ob Watusis auf Korfu leben.
Was wird.
Pädagogisch wertvolle Filme werden heute nicht mehr in England gedreht, wie zu Kubricks Zeiten. Der Regisseur hatte damals im Jahre 1963 als Berater den KI-Pionier Marvin Minsky engagiert, der die Rolle von HAL anno 2001 beurteilen sollte. Minsky fand alles OK, von der Spracheingabe bis zum schachpielenden HAL. Nur die Sache mit den ausfallsicheren Computern fand Minsky unglaubwürdig. Mögen die Berater zum Film "Antitrust" ähnliche Ansichten gehegt haben. Dieser Film kommt am 12. Januar in die US-Kinos: Ein junger Bobo namens Milo, der im Verlauf der Story von Miguel de Icaza auch noch einen Open-Source-Award bekommt, verlässt sein Startup und arbeitet bei der grossen Firma NURV, geführt von Gary Winston, die die Welt per .NET erobern will – aber unser kleiner Bobo stemmt sich im letzten Moment gegen die Mächte des Bösen. Der Plot des Films klingt wie schlechtes Slashdot-Geblubber und ist nicht annähernd so spannend wie der Weltuntergangskrimi "format c:", mit dem Edwin Black, der ehemalige Chefredakteur des amerikanischen OS/2 Magazine, seinen Lieblingsfeind Bill Gates in die Tonne treten wollte. Aber sei's drum. Mit Antitrust wird Linux zu einem Filmstar. Eine besonders talentierte Mimik hat man den allerdings Pinguinen nie nachgesagt – da kann auch Jon maddog Hall als Berater der Film-Crew nicht viel machen.
Wenn schon einen Film über Computer, dann doch "Electric Dreams". In ihm kauft ein schüchterner Junge einen Computer, lässt ihn aber fallen. Dadurch wird die Maschine superintelligent und gibt Tipps, wie man die Herzen der Mädchen erobert. Der für den Film engagierte Computerexperte kündigte, als er das Drehbuch gelesen hatte. Tja. Damals gab es halt keinen XT-PC. In welch wunderbaren Zeiten leben wir doch heute. (Hal Faber / (jk)