Nokia und Microsoft: Der Anfang vom Ende

Vor fünf Jahren schließen Nokia und Microsoft einen Pakt: Der entthronte Weltmarktführer will mit Windows Phone zurück an die Weltspitze und Steve Ballmer sich seinen Traum von der Device-Company erfüllen.

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Elop

(Bild: Nokia)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Hello there."

"Wir stehen auf einer brennenden Plattform."

Stephen Elop ist besorgt. Seit fast fünf Monaten ist der Kanadier nun Chef von Nokia, dem größten Handyhersteller der Welt und Marktführer bei Smartphones. Elop ist der erste Ausländer an der Spitze des finnischen Weltkonzerns. Er wurde unter anderem geholt, um die selbstzufriedenen Finnen mit der bitteren Realität zu konfrontieren: Die Konkurrenz hat längst zum Überholen angesetzt. Wenn sich Nokia nicht grundlegend ändert, ist es vorbei mit der Weltspitze.

Am 9. Februar 2011 gelangt Elops berühmtes Memo in die Presse. Für seine Rede an die Mitarbeiter, die im internen Unternehmensblog veröffentlicht wurde, wählt Elop das Bild der brennenden Bohrinsel. Bei Nokia frisst das Feuer an allen Ecken und Enden. Der einst unangreifbare Mobilfunkriese wird von neuen Wettbewerbern bedrängt. Mit dem iPhone hat Apple das Smartphone neu definiert, der "finnische Patient" hat dem nichts gleichwertiges entgegenzusetzen. 2010 explodieren die Marktanteile von Android: Das Google-System ist auf der Überholspur.

Es bleibt Elop gar nichts anderes übrig, als zu springen.

Die beiden kennen sich von Microsoft. Vor seinem Engagement bei Nokia hatte Elop zwei Jahre die Business Division des Softwareriesen geleitet. Wie CEO Elop hat auch CEO Ballmer ein Riesenproblem: Windows Mobile ist keine konkurrenzfähige Smartphone-Plattform mehr. “Wir haben eine Runde verpasst”, meint Ballmer und ist noch hoffnungsvoll, in der nächsten wieder dabei zu sein. Mit Windows Phone setzt er alles auf eine Karte.

Zwei Tage nach dem Memo ist es dann offiziell: Ballmer und Elop schließen einen Pakt. Die beiden wollen Windows Phone als drittes "Ökosystem" etablieren. Nokia will wieder gegen Android und iOS angreifen. Von dem Marktführer als Partner erhofft sich Microsoft schnell hohe Stückzahlen für das an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit herumdümpelnde Windows Phone. "Win-Win" nennen Manager das. Für beide sollte sich das nicht bestätigen.

"Es sind jetzt drei Pferde im Rennen", sagt Elop.

Die Konkurrenz ist unbeeindruckt. "Zwei Truter ergeben noch lange keinen Adler", lästert Google-Manager Vic Gundotra auf Twitter. (Als Vater des ein paar Monate später vorgestellten Google+ ist er Experte für lahme Enten.) Gundotras Spott ist eine Retourkutsche auf Nokia-Vize Anssi Vanjoki, der 2005 die Übernahme der kriselnden Siemens-Handysparte durch BenQ so kommentiert hatte. Damals ist Nokia noch King.

Für Windows Phone gibt Elop das zusammen mit Intel entwickelte MeeGo auf, das sein Vorgänger auf dem Mobile World Congress ein Jahr zuvor zur Symbian-Alternative für die Smartphone-Oberklasse erkoren hatte. Das bei Fans beliebte, aber nur in wenigen Ländern erhältliche Nokia N9 ist das einzige Zeugnis dieser kurzen Episode. Doch das ansprechende Design des N9 prägt die nachfolgende Generation.

Im Oktober 2011 stellt Nokia sein erstes Windows Phone vor: Das Lumia 800.

Tatsächlich sah es zunächst so aus, als könne der Deal mit Nokia dem Betriebssystem Windows Phone mehr Reichweite verschaffen. Einige der großen Hersteller hatten – wohl auch aus Loyalität zu Microsoft – Ende 2010 eigene Windows Phones auf den Markt gebracht: Samsung, LG, Dell. HTC, das vom Android-Boom profitierte und seine beste Zeit vor sich hatte, brachte 2010 und 2011 gleich mehrere Modelle auf den Markt.

Nokias Burning Platform (18 Bilder)

Das N8 (r.) kam 2010 auf den Markt und gehörte mit dem E7 (l.) zu Nokias letzten Symbian-Flaggschiffen.
(Bild: Nokia)

Die Lumias haben es immerhin geschafft, Windows Phone von 1,7 Millionen verkaufter Geräte im dritten Quartal 2011 auf rund 2,7 Millionen in den beiden folgenden Quartalen zu bringen. Für das Ökosystem war das ein ziemlicher Sprung nach vorne, aber die Konkurrenz war längst enteilt: Für das Schlussquartal 2011 stehen 75 Millionen Androiden und 37 Millionen iPhones in der Statistik. Tendenz: Steil nach oben.

Nokia hat da immerhin noch 17 Millionen Symbian-Smartphones verkauft. Elop hält das System nicht für zukunftsfähig. Mit Windows Phone ist er schneller auf dem Markt als mit einer langwierigen Eigenentwicklung. Am Anfang trauen Marktforscher dem System einen Marktanteil von 20 Prozent bis 2015 zu. Sie werden nicht Recht behalten. Der Absatz von Windows Phone wächst 2012 zwar doppelt so schnell wie der Gesamtmarkt, aber Android eben auch.

Als sie bei Nokia langsam kalte Füße bekommen und 2013 erste Gerüchte über ein Android-Smartphone der Finnen die Runde machen, sieht Ballmer nur eine Rettung für seine Vision von Microsoft als Plattformbetreiber und Gerätehersteller: Er kauft Nokias Handysparte für 5,5 Milliarden Euro. Es ist sein letzter großer Deal. Zehn Tage vor der Übernahme hat er seinen Rückzug angekündigt. Als das Geschäft endlich vollzogen ist, heißt der CEO Satya Nadella. Und der hat eine völlig andere Vorstellung von Microsoft.

Nackte Zahlen: Apple und Samsung verkaufen ein Vielfaches der Windows Phones von Nokia und Microsoft.

Als der – wie es ein Insider nannte – “Buddy Deal” zwischen Ballmer und Elop nicht den gewünschten Effekt zeigt, greift Nadella ein. Microsoft baut 18.000 Arbeitsplätze ab, zwei Drittel davon in der Handysparte. Ein Jahr später zieht der CEO einen Schlussstrich unter das finnische Abenteuer: Microsoft schreibt 7,6 Milliarden US-Dollar ab, streicht tausende weitere Jobs. Auch Stephen Elop muss das Unternehmen verlassen.

Elop hinterlässt einen Scherbenhaufen. Das ist nicht alleine seine Schuld. Auch seine Vorgänger Olli Pekka Kallasvuo und Jorma Ollila, der als Chairman Elop zu Nokia geholt hatte, haben ihren Anteil am Niedergang.

Bei Nokianern bleibt die Erinnerung an einen Chef, der im entscheidenden Moment nicht den richtigen Ton trifft. Mit "Hello there" fängt Elop seine "Burning Platform" an. Mit "Hello there" beginnt er auch das geschwätzige Memo, in dem er ganz am Ende 12.500 Nokianern erklärt, dass sie ihren Job verlieren. Nicht nur für die Financial Times ist das ein "Paradebeispiel, wie man nicht schreiben, nicht denken, und nicht ein Unternehmen führen sollte".

Um Nokia, Microsoft und Windows Phone geht es auch in der #heiseshow am Donnerstagnachmittag um 16:00 Uhr live auf heise online. (vbr)