Porsche 911 Carrera S mit Turbomotor gefahren

Der kleine Bruder

Porsche hat über 40 Jahre Erfahrung damit, Turbolader an ihre Heckmotoren zu bauen. Dass Aufladung im Standard-911 gut funktionieren wird, wussten wir also schon. Uns interessieren die Unterschiede zum Sauger

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Porsche, Turboaufladung 17 Bilder
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Von
  • Clemens Gleich
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Stuttgart, 4. März 2016 – Jede Fahrt in einem Sportwagen aus Zuffenhausen enthält unabänderlich die folgende Emotion: Es ist unfassbar, wie gut das fährt. Der 911 in diesem Test steht wie der Boxster damals auf Winterreifen (Pirelli Sottozero), auf denen er im Regen bei Temperaturen um den Nullpunkt höhere Kurvengeschwindigkeiten erreicht als die gesamte Holzreifenklasse im Hochsommer. Dazu kommt, dass sowohl Boxster als auch 911 den Spagat zwischen Fahrvermögen und Alltag tiefer beherrschen als jede andere Sportwagen-Offerte, mit Audis R8 als Drittem im Ziel mit etwas Abstand. Und wie immer polierte Porsche an genau diesen Tugenden bei der aktuellen Generation des 911 Carrera S, der sich hierzu einige gute Charaktereigenschaften seines großen Bruders, des 911 Turbo aneignete.

Die Firma Porsche hat über 40 Jahre Erfahrung damit, Abgasturbolader an ihre Heckmotoren zu schrauben. Wie jemand da denken kann, dass der Wechsel vom Sauger zum Turbo alles ruiniert, wäre mir schleierhaft, würde ich nicht die 911-Szene kennen, die ja in jeder Generation jede Änderung beklagt wie der Vatikan, wenn jemand ein paar Raketenwerfer in die Bibel dichten würde. Das substanziellste Element der Kritik: die Lautstärke.

„Turbo“ bedeutete in unserer Generation immer „gut“

Ein Turbolader funktioniert sehr effektiv als Schalldämpfer, wie unlängst Ferrari oder die Formel 1 wieder gezeigt haben. Viele Sportwagenfreunde wünschen sich jedoch recht knackige Schalldruckwerte. Diesen Bedürfniskonflikt löst Porsche damit, dass es den Schalldruck hauptsächlich in der Kabine gibt. Der Motor dröhnt eine schön modulierte, beiden Testfahrern ausreichend hohe Lautstärke an Verbrennungsgeräusch als Körperschall durch die Firewall hinter den Pseudositzen der Rückbank. Auf den Sportmodi öffnen sich zusätzlich Klappen in zwei Röhren, die Schall vom Motor in die Kabine leiten (beim Sauger war es eine Röhre). Nach außen ist der Turbo-911 jedoch deutlich leiser geworden. Mir persönlich taugt „innen bei Bedarf kräftig hörbar, außen leise“ sehr gut, ich erwähne es für potenzielle Kunden, denen es wichtig ist, dass Andere ihr Motorgeräusch hören.

Mich hat der neue Antrieb tatsächlich an meinen führerscheinsuizidalen Ausflug mit dem 911 Turbo S in die sportwagenschizophrene Schweiz erinnert. Der Turbo gehört zu den typischen GT-Wagen für ältere Gentlemen, die in perfektem Komfort lange Strecken damit dahinrollen, um im Zielgebiet von einem Monster von Motor überrascht zu werden, dass die Herzklappen flimmern. Einen Teil dieser Ambivalenz hatte der 911 schon immer, mit den zwei Turboladern (einer pro Zylinderbank) gab ihm Porsche zumindest gefühlt noch mehr davon, weil er so leise, zahm und komfortabel dahincruist. „Langweilig“ ist nicht ganz das richtige Wort, aber es ist das erste, das einem einfällt. Bis man das Gas durchtritt. Da reagiert die Fahrzeugsteuerung adaptiver als früher und versucht, auf jedem Modi den gewünschten Aggro-Level zu erraten und zu unterstützen, was zwischen Stuttgarts Stau und leeren Schwarzwaldstraßen gut funktionierte. Zusätzlich liegt der Umschalter zwischen Modi jetzt auf einem Drehknopf am Lenkrad statt auf der Mittelkonsole. Man kann sie blind bedienen und tut das daher öfter, als man früher auf der Konsole herumsuchte. Die Sportmodi halten die Drehzahlen und das Geräuschniveau höher. Auf den winterlichen Straßen war „Sport“ stets die bessere Wahl als „Sport+“.