Klartext: Unelektrisiert

Elektrische Spannungseinbrüche auf der Messe Paris

"Die deutschen Hersteller sind hintendran mit den Elektroantrieben", sagten die Nörgler immer und ich widersprach immer. Allerdings zeigte die Messe Paris recht eindrucksvoll, dass die Nörgler doch irgendwie Recht hatten

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Von
  • Clemens Gleich
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Paris, 5. Oktober 2016 – Die deutsche Autoindustrie. Unsere Autoindustrie. Was habe ich mich in den letzten Jahren immer verbal vor sie gestellt, wenn sie wegen ihrer Zögerlichkeit in Sachen Elektroantriebe kritisiert wurde! BMW hat die modernste, eigenständigste Elektroautoplattform überhaupt. VW versteckt seine Elektroantriebe sehr langweilig in Up und Golf, es sind aber die am effizientest fahrbaren ihrer Art. Einfach auch mal loben. Aber jetzt zeigte die Messe in Paris, dass die Kritik der Nörgler doch berechtigt war. Es geht nur langsam voran in Richtung Serienbau, dessen Planung also tatsächlich bemerkenswert spät anfing.

Daimler baut Teslas Hintern

Persönlich am meisten gefreut habe ich mich ja auf Daimlers neue Plattform für große Elektroautos, weil der Plugin-Hybrid der E-Klasse für viel zu kurze Strecken zeigte, wie schön sich so etwas fahren könnte. Wie jedes zweckgebunden konstruierte Chassis ist auch Daimlers Konstruktion ein großer, stabiler Batterieträger, in diesem Fall aus Aluminium. Damit ist man dann recht flexibel. Man kann CFK-Karosserien darauf bauen (BMW i). Man kann Alu-Karosserien darauf bauen (Tesla). Man kann sie mit den typischen selbsttragenden Skelettkarosserien der Großserienfertigung kombinieren (Nissan, Renault, GM/Opel, VW vielleicht irgendwann).

Zuerst wollten die Stuttgarter noch eine große elektrische Limousine vorstellen in Paris, jetzt war es ein SUV, das den Baukasten und die Submarke einläutet: „EQ” heißt Daimlers „i”. Das SUV steht in der Stadt der Liebe als ein Modellauto, das uns eine traurige Tatsache verrät: Als 2009 mit dem Model S Teslas zweites Serienmodell erschien, schaute sich Daimler das nur an. Als Tesla 2012 dann auslieferte, begannen sie offenbar überhaupt erst mit der Arbeit an einer eigenen Elektroplattform für große Autos, wenn wir eine typische Entwicklungszeit von sechs Jahren annehmen.

Es gibt ein altes Sprichwort der Produktgestaltung: Wenn du einem Konkurrenten folgst bei der Entwicklung eines Produkts, sieht dein eigenes Produkt eben aus wie das Hinterteil dieses Konkurrenten. Jetzt steht in Paris also ein Modellauto einer Plattform, die frühestens 2018 Serienmodelle abwerfen soll. Daimler nennt eine Batterie mit 70 kWh und eine Systemleistung von 300 kW. Vor 6 Jahren ging Tesla im S mit 60 kWh und 310 kW an den Start, seit 2015 verkauft die US-Firma den 70-kWh-Akku als kleinste Option, weil die Nachfrage nach 60 kWh zu gering war. Eine geplante Traktionsbatterie mit 40 kWh wurde nie gebaut – ebenfalls mangels Nachfrage. Daimler geht also ohne Überholabsichten ins Rennen. Die Taktik ist vielleicht eins dieser „Abfallprodukte aus der Formel 1”.

Eigene Impulse? Ein Daimler-eigenes induktives Ladesystem. Gut. Ansonsten nichts. Das mit den Touchscreens allüberall, das war ein Tesla-Impuls. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie ihn auch gaben, weil das außer schön auch billiger zu entwickeln ist für eine Neueinsteiger-Firma. Glatte Außenhaut? Hat Franz von Holzhausen im Model S schon eingeführt, das ist heute Teslas Markenzeichen vom 3 bis zum X. Da Samsung-mäßig ein paar blaue Puffviertel-Neonlampen dranzuklatschen macht das nicht edler. Intelligente Innenraumkonzepte? Mir fiel keins auf. Da freut einen der Tesla schon eher mit Frontkofferraum und optionalen Notsitzen im Heckkofferraum. Ja, Mercedes ging gleich zum Trendmarkt SUV. Aber bei den Amis kannst du einen elektrischen SUV eben längst kaufen.