Abgas-Krimi bei VW: Deal in den USA, aber weitere Ermittlungen

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Dieses Sprichwort könnte für Volkswagens Konflikt mit der US-Justiz zutreffen. Die Abgasrechnung wird aber wohl viel höher. Der Gesamtkomplex ist lange nicht abgehakt – auch nicht in Deutschland.

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VW, Passat, Clean Diesel
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hannes Breustedt
  • Jan Petermann
  • dpa
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Milliarden über Milliarden: Die Einigung zwischen VW und der US-Justiz in strafrechtlichen Fragen lässt die immensen Kosten des Abgas-Skandals für den Konzern abermals kräftig ansteigen. Das Justizministerium in Washington bestätigte am Mittwoch einen Vergleich, der Volkswagen Bußgeld- und Strafzahlungen von 4,3 Milliarden Dollar (4,1 Milliarden Euro) aufbrummt. Zudem soll es sechs Managern an den Kragen gehen, gegen die Strafanzeige gestellt wurde.

Justizministerin Loretta Lynch wählte die große Bühne, um vor der versammelten Hauptstadt-Presse die Milliarden-Einigung zu verkünden. Sie warf VW "ungeheuerliche Gesetzesverstöße" vor – und drohte, die Ermittlungen seien noch nicht zu Ende. "Wir werden Volkswagens Versuche, Verbraucher in die Irre zu führen und die Regierung zu betrügen, weiter untersuchen." Von einer "Verschwörung" ist die Rede, ebenso wie von einer gezielten "Blockade der Justiz".

Der Abgas-Skandal bei VW

Konzernchef Matthias Müller gab sich reumütig: "Volkswagen bedauert die Handlungen, die zur Dieselkrise geführt haben, zutiefst und aufrichtig." Aber bei der Aufarbeitung habe man nichts schleifen lassen. "Seit Bekanntwerden haben wir unermüdlich daran gearbeitet, die Dinge für unsere betroffenen Kunden wieder in Ordnung zu bringen." VW sei "heute ein anderes Unternehmen". Doch auch wenn die Einigung ein Meilenstein ist – ausgestanden ist die Affäre nicht. Und Kritik am Umgang VWs mit dem Dieselskandal verstummt ebenfalls nicht.

Seit über einem Jahr waren die US-Bundespolizei FBI und Fahnder anderer Justizbehörden im Ursprungsland von "Dieselgate" dem Verdacht krimineller Taten nachgegangen. VW hatte Abgaswerte Hunderttausender Dieselwagen manipuliert. Mit dem Deal in den Vereinigten Staaten kauft man sich nun weitgehend frei – allerdings zu einem hohen Preis und nur als Unternehmen. Weitere Prüfungen gegen Manager, Ingenieure oder andere einzelne Verantwortliche stehen auf einem anderen Blatt.

"Die Vereinbarung, die jetzt in den USA im Raum steht, hat keinen Einfluss auf unsere Verfahren hier in Deutschland", betonte der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe. Seine Behörde ermittelt aktuell gegen 31 Beschuldigte – wegen möglicher Marktmanipulation auch gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn, VW-Markenchef Herbert Diess sowie Chefaufseher und Ex-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch.

Welche Rolle sie gespielt haben, werde unabhängig vom US-Verfahren nach wie vor mit Hochdruck geprüft. Der Austausch mit den amerikanischen Kollegen sei dabei in allen Fragen "sehr eng und gut", unterstrich Ziehe auch mit Blick auf die laufenden deutschen Verfahren – "und die Quellen können sich auf beiden Seiten befinden."

Die finanzielle Last der Diesel-Affäre drückt derweil immer stärker auf die VW-Bilanz, die wegen nötiger Milliarden-Einsparungen im «Zukunftspakt» ohnehin arg angespannt ist. Da der Konzern sich mit Kunden, Autoverkäufern und Behörden bei US-Zivilklagen bereits auf Vergleiche geeinigt hat, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten, werden die Rückstellungen wohl nicht reichen.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
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Bislang hatte VW 18,2 Milliarden Euro für Rechtskosten beiseite gelegt. Nun dürfte die Rechnung weiter steigen. "Die Summe tut weh, wäre aber verkraftbar", glaubt der Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen – mögliche Folgen der Klagen von Aktionären wegen zu später Information zum Skandal nicht einbezogen.

Mit dem nun erzielten Vergleich erfährt Volkswagen die volle Härte des US-Rechts. Denn neben den hohen Bußgeldern sollen die Deutschen auch ihre Kontrollsysteme verstärken und ein Schuldgeständnis abgeben. Damit gibt man kriminelle Handlungen zu. VW hatte zwar frühzeitig Fehler eingeräumt – bislang aber keine Verbrechen.

Etwas Positives dürfte der teure Straf-Vergleich immerhin haben: Man könnte sich endlich wieder auf das Tagesgeschäft konzentrieren. "Es ist eine gute Nachricht", meint Arndt Ellinghorst vom Analysehaus Evercore ISI. Es sei zudem eine Erleichterung, dass der Konflikt nicht in die Amtszeit der neuen US-Regierung verschleppt werde. Es gab große Bedenken, dass die ab 20. Januar antretende Administration des gewählten Präsidenten Donald Trump den Fall neu aufrollen könnte.

Wirklich zur Ruhe wird VW vorerst aber nicht kommen. Selbst über ein Jahr, nachdem der Skandal aufflog, hatte die Diesel-Affäre noch das alljährliche Schaulaufen der Branche bei der US-Automesse in Detroit überschattet. In die Präsentationen der VW-Modelle für den US-Markt platzte die Nachricht einer Strafanzeige der Bundesanwaltschaft gegen einen Mitarbeiter, der in Miami vom FBI festgenommen wurde.

Der Mann, einer der sechs mit einer Strafanzeige belegten VW-Manager, soll laut Klageschrift nach dem internen Bekanntwerden von alarmierenden Ergebnissen der Umweltorganisation ICCT zu Abgaswerten schon im April 2014 – also eineinhalb Jahre vor dem öffentlichen Eingeständnis der Unregelmäßigkeiten – in einer E-Mail an einen Kollegen geschrieben haben: "Zuerst sollte entschieden werden, ob wir ehrlich sind. Wenn wir nicht ehrlich sind, bleibt alles, wie es ist."

Auch für die Konzernspitze ist der Fall brisant – nicht nur wegen der parallel weiter laufenden deutschen Ermittlungen von Ziehe und seinem Team aus fast einem Dutzend Staatsanwälten und 20 Kollegen vom LKA Niedersachsen. "Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Aber das eine oder andere Verfahren könnte möglicherweise in diesem Jahr zum Abschluss gebracht werden", sagte er. Auch in der US-Klageschrift belasten Zeugenaussagen von VW-Insidern jedoch das Management schwer.

Noch kurz bevor die US-Behörden die Abgas-Manipulationen öffentlich machten, habe die Führungsebene Vertuschung angeordnet, heißt es darin. Die Geheimhaltung soll angeblich eine von oben vorgegebene Direktive gewesen sein. Sollten sich die Anschuldigungen erhärten, könnte es noch einmal sehr unbequem für VW-Verantwortliche werden. (kbe)