Normenkontrollrat zerpflückt geplantes Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Die Gesetzesprüfer halten die Kostenschätzungen der vorgesehenen Regeln für Plattformen zum schnelleren Löschen strafbewehrter Inhalte für "nicht nachvollziehbar". Die Bundesregierung weist dies und Kritik aus dem Bundesrat zurück.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 126 Kommentare lesen
Normenkontrollrat zerpflückt geplantes Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Lesezeit: 4 Min.

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR), der bei Gesetzesvorhaben vor allem auf die zu erwartenden Kosten für Staat und Wirtschaft schaut, hat den heftig umstrittenen Entwurf der Bundesregierung für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz scharf kritisiert. "Das Ziel, bereits im Zeitpunkt der Entscheidung ein realitätsnahes Bild der zu erwartenden Belastungen zu geben, wird nicht erreicht", beklagt das Gremium in seiner Stellungnahme im aktuellen Bundestagsdossier vom Mittwoch für die Initiative. Die "Darstellung des Erfüllungsaufwands" gerade für die Wirtschaft sei "nicht nachvollziehbar".

Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll im Kampf gegen Hasskriminalität das Beschwerdemanagement der Betreiber sozialer Netzwerke gesetzlich geregelt werden. Der Internetwirtschaft entstehe laut dem NKR dadurch der größte Kostenaufwand. Um dessen Höhe zu ermitteln habe das Bundesjustizministerium aber nur die drei größten Marktteilnehmer Facebook, Google und Twitter über ihren bisherigen Aufwand befragt und daraufhin nur "unbefriedigende Antworten" erhalten, schreiben die Gesetzesprüfer. Das Ministerium habe daraufhin geschätzt, dass diese Kosten 50 Millionen Euro betrügen und sich durch die neuen Bestimmungen um 50 Prozent erhöhten.

"Eine Begründung für diese Ansätze enthält der Regelungsentwurf allerdings nicht", schreibt der NKR. Genauso verhalte es sich mit dem vorgesehenen breiten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch auf Herausgabe von Bestandsdaten zu einer IP-Adresse bei Persönlichkeitsverletzungen. Hier sowie bei den Kostenschätzungen für den geplanten Zustellungsbemächtigten bei den Betreibern hätten "Fallzahlen zu Grunde gelegt werden müssen". Milder stimmen kann das Gremium so auch nicht, dass das Bundeskabinett im Gegensatz zum Justizministerium noch eine Evaluierungsklausel eingefügt hat, die sich auch auf den Erfüllungsaufwand bezieht.

Die Regierung hält an ihrer Kostendarstellung trotz der Kritik fest. "Belastbare Schätzgrundlagen" sind ihrer Ansicht nach erst gegeben, wenn die betroffenen Firmen vierteljährliche Transparenzberichte über "Organisation, personelle Ausstattung, fachliche und sprachliche Kompetenz der für die Bearbeitung von Beschwerden zuständigen Arbeitseinheiten" sowie Schulung und Betreuung der dafür Zuständigen vorlegen. Die bisherigen Annahmen beruhten aber bereits auf "hinreichenden Grundlagen".

Auch dem Bundesrat war der veranschlagte Erfüllungsaufwand in seiner Stellungnahme spanisch vorgekommen, hier aber bezogen vor allem auf die ausgewiesenen Justizkosten für die Länder in Höhe von 300.000 Euro pro Jahr. In ihrer Gegenäußerung gibt die Bundesregierung hier zu bedenken, dass sie Neuland betrete, und verweist erneut erst auf die künftig zu erstellenden Berichte. Einen Konflikt mit der Medienaufsicht der Länder sieht die Regierung nicht, es komme zu keinen Kompetenzüberschneidungen. Der Bundesrat müsse der Initiative daher auch nicht zustimmen. Dem Ruf der Länder nach erweiterten Auskunftsansprüchen für die Landesmedienanstalten will die Regierung nicht folgen, bei dem bisher geplanten Auskunftsanspruch für Bürger sei aber wohl doch ein durchgehender Richtervorbehalt einzubauen.

Starke Zweifel gibt es in Berlin, ob das Ziel des Entwurfs auch durch eine stärkere "regulierte Selbstregulierung" der Wirtschaft erreicht werden könnte. Von diesem System ausgenommen seien bisher gerade diejenigen strafbaren Inhalte, um die es in dem Gesetzentwurf gehe. Zudem würden damit "Verzögerungseffekte" einhergehen, die in diesem Bereich "nicht hinnehmbar wären". Berücksichtigen will die Regierung dagegen den Vorschlag der Länderkammer für eine Clearingstelle. Darüber sollen auf Kosten der Betreiber vor allem Beschwerden vorgebracht werden können, dass Inhalte entfernt wurden, obwohl dies nicht im Sinne des Gesetzes war.

Viele andere Anregungen aus dem Bundesrat will die Bundesregierung noch in den verbleibenden zwei Wochen prüfen. Dazu gehören etwa die Wünsche, ein "Overblocking" durch ein "vorsorgliches" Löschen von Inhalten zu verhindern oder die Definitionen von Kernbegriffen wie "sozialen Netzwerken" zu konkretisieren. Weitere Verschärfungen des Gesetzentwurfs, die sich laut den Ländern etwa auf eine Meldepflicht auch an Strafverfolger beziehen sollten, lehnt die Regierung ab. Mit dem EU-Recht hält sie das Vorhaben für vereinbar, obwohl auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags dies in Frage stellt. Die Meinungsfreiheit und die Anonymität im Netz sieht sie im Gegensatz zu Kritikern nicht ungebührlich gefährdet. (anw)