Neustart der Motor City

Noch vor wenigen Jahren war Detroit auf dem Weg zur Geisterstadt. Nun will es das neue Silicon Valley werden.

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In anderen Städten wäre es ein Vorzeichen der Apokalypse. Für Detroit war es eine frohe Botschaft: 59 Brände musste die Feuerwehr in der Nacht zum 1. November 2016 löschen. Nur 59. An diesem Datum, der berüchtigten "Devil's Night", zündeten marodierende Banden in den letzten Jahren regelmäßig über hundert Häuser, Garagen, Autos und Mülltonnen an. Nun ist die Zahl zum zweiten Mal in Folge unter 60 gefallen.

TR 3/17

Eine Ursache dafür: Es ist nicht mehr viel da, was abgefackelt werden könnte. In den letzten drei Jahren wurden rund 10000 Häuser abgerissen; es gibt ganze Viertel, in denen kaum noch eine Mauer steht. Das verschaffte Detroit den Ruf einer Geisterstadt, attraktiv allenfalls für Ruinen-Fotografen.

Dabei zeigen die leeren Flächen im Gegenteil: Es geht wieder aufwärts mit der 700.000-Einwohner-Stadt. Sie sind der Erfolg einer Task Force aus Politik, Wirtschaft und Bürgern, die sich zusammengetan haben, um verlassene Gebäude zu erfassen und abzureißen.

"Detroiter nehmen nicht den einfachen Weg. Sie krempeln die Ärmel hoch und machen sich an die Arbeit", schrieb der Webentwickler und Gründer Ted Serbinski schon 2013 in einem Blog. Damals hatte Detroit gerade seinen Tiefpunkt erreicht. Zu ihren Glanzzeiten Mitte des letzten Jahrhunderts galt die "Motor City" als quirliges Zentrum amerikanischer Industrie und Musik. Doch seit den siebziger Jahren ging es bergab. 2013 musste die Stadt gar Insolvenz anmelden und der frühere Bürgermeister wegen Korruption ins Gefängnis. Seit 1970 hat Detroit rund die Hälfte seiner Einwohner verloren.

Doch Serbinski zog 2011 nicht trotzdem, sondern gerade deswegen von San Francisco hierher. Denn wo wenig ist, kann viel wachsen. So lässt es sich in Detroit unschlagbar günstig leben, es gibt renommierte Universitäten und viele gut ausgebildete Leute. "In zehn Jahren wird San Francisco immer noch so gut sein wie heute", entgegnet Serbinski denen, die ihn für verrückt halten. Aber Detroit werde sich entwickeln. "Wo willst du in zehn Jahren sein? Status quo? Oder einer der Helden, die eine Stadt neu aufgebaut haben?"

Als Leiter des Start-up-Accelerators Techstars Mobility will er die Saat dazu legen. Das Büro befindet sich nicht, wie man vermuten sollte, in einem der vielen alten Industriebauten, sondern im Nebengebäude eines hochmodernen Football-Stadions mit 65000 Sitzplätzen. Inmitten des durchgestylten Shopping-Mall-Ambientes wirken die betont saloppen Räume wie ein Fremdkörper: weiße Wände, nackte Lüftungskanäle, Gemeinschaftsküche, viel offene Fläche, flankiert von kleinen bis winzigen Arbeitsräumen.

Hunderte Menschen von sechs Kontinenten haben sich in den ersten beiden Jahren bei Techstars für ein Gründerprogramm beworben. 22 von ihnen wurden bisher angenommen. Sie bekommen in Detroit einen dreimonatigen Crashkurs zur Unternehmensgründung: Im ersten Monat treffen sie sich mit 150 bis 200 Mentoren, Kapitalgebern und Branchenexperten, um ein Netzwerk aufzubauen. Dann haben sie einen Monat Zeit, ein Geschäftsmodell aufzubauen. Schließlich müssen sie ihr Projekt vor rund tausend Leuten präsentieren. Wo sie sich anschließend niederlassen, steht ihnen frei.

Bisher konnte Techstars Mobility fünf Start-ups nach Detroit locken. Darunter etwa SPLT, das bereits eine Partnerschaft mit dem Mitfahrdienst Lyft eingegangen ist. Es organisiert berufliche Fahrgemeinschaften und Transporte in Krankenhäuser. Oder Drive Spotter, eine Trainingsplattform für autonome Autos. Oder PolySync, dessen Software die Programmierung von Apps für autonome Autos vereinfacht.

Zu den Unterstützern von Techstars zählen große Konzerne wie der Autozulieferer Magna, Honda, der Rückversicherer Munich Re, Michelin, McDonald's, IBM, Microsoft und seit Neuestem auch Siemens. Prominentester Name ist Bill Ford, Urenkel des Firmengründers und Vorstandsvorsitzender der Ford Motor Company im benachbarten Dearborn. Solche Kontakte vereinfachen es Gründern, bei Autokonzernen einen Fuß in die Tür zu bekommen. "Es geht darum, die Silos zwischen der Auto- und der Start-up-Welt einzureißen", sagt Serbinski. Denn Entrepreneure betrachteten vernetzte Autos zunehmend – ähnlich wie Smartphones – als eine Art Plattform für ihre Geschäftsmodelle. Und wo ließen sich solche Verbindungen zwischen Muskeln und Hirn besser knüpfen als in der legendären Motor City?