Forscher: Weniger Diesel müssen nicht weniger Klimaschutz bedeuten

Der Diesel belastet im Vergleich zum Benziner das Klima nicht so stark – mit diesem Argument verteidigen Autobauer das Festhalten am Selbstzünder. Die Organisation, die den VW-Skandal mit aufdeckte, macht aber eine andere Rechnung auf.

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Auto, Verkehr, Stadt, Stau
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  • dpa

Die Autobranche könnte den CO2-Ausstoß nach Einschätzung des internationalen Umwelt-Forschungsverbunds ICCT auch bei geringeren Diesel-Verkäufen besser in den Griff bekommen. Selbst wenn der Anteil des vergleichsweise weniger klimaschädlichen Diesels weiter abnehmen sollte, müsse das keine Absage an strengere CO2-Ziele bedeuten. Die Experten nehmen vielmehr an, dass eine Verringerung der Treibhausgas-Emissionen aus dem Verkehrssektor trotzdem möglich ist – wenn mehr alternative Antriebe zum Zuge kommen und die Gesamtflotten der Hersteller anstatt einzelner Modelle betrachtet werden.

Bei vergleichbarer Leistung erzeugen Diesel wegen der effizienteren Verbrennung des Kraftstoffs oft weniger CO2 als Benziner. Dagegen fällt ihre Bilanz beim Atem- und Umweltgift NOx in der Regel schlechter aus. Der ICCT, dessen Analysen 2015 mit zur Aufdeckung des VW-Abgas-Skandals geführt hatten, sieht aber keinen Widerspruch zwischen mehr Klimaschutz und weniger Diesel. Denn es komme auf das Gesamtbild an, jedenfalls bei neuen und künftig zugelassenen Autos.

"Auf Flottenebene – über alle Fahrzeugsegmente hinweg – sind die durchschnittlichen CO2-Emissionen neuer Diesel- und Benzinfahrzeuge nahezu identisch", erklärte die Organisation am Donnerstag. Sie errechnete Werte von 119 Gramm je Kilometer für Diesel- und 123 Gramm für Ottomotoren. Obwohl vergleichbar starke Diesel im Vorteil sind, müsse das nicht für das ganze Segment gelten, sagte ICCT-Europa-Chef Peter Mock: "Die Effizienzvorteile werden häufig durch eine höhere Motorleistung und höheres Gewicht der Dieselfahrzeuge aufgezehrt."

Ein rascherer Übergang zu alternativen Antrieben könnte sich auch für die Autobauer rechnen – "indem sie effizientere Benzinfahrzeuge sowie Hybrid- und Elektrofahrzeuge anbieten". Investitionen, die in die komplexere Dieseltechnik flössen, ließen sich umschichten.

Die Debatte hatte zuletzt an Schärfe gewonnen. In Bayern beriet die Regierung mit Audi und BMW über Maßnahmen gegen Luftverschmutzung, im Bundestags-Wahlkampf setzen vor allem die Grünen auf das Thema. Der Autoverband VDA schlug eine Initiative für Software-Nachrüstungen in der Elektronik alter Euro-5-Diesel vor, um Fahrverbote zu vermeiden.

Am 2. August ist ein "Diesel-Gipfel" im Umweltministerium geplant. Die Verunsicherung der Kunden zeigt sich mittlerweile deutlich. So lag der Anteil des Diesels an den deutschen Neuzulassungen im ersten Halbjahr 2017 nach Angaben der Kraftfahrt-Bundesamts noch bei 41,3 Prozent, nach 46,9 Prozent im Vorjahreszeitraum. Der schwedische Autobauer Volvo hat angekündigt, sich Schritt für Schritt vom reinen Verbrennungsmotor zu verabschieden: Von 2019 an werde jedes neue Modell einen E-Motor haben.

Die Beratungsfirma E&Y sieht den Dieselmarkt unter Druck: "Im Juni entschieden sich nur 38,8 Prozent aller Neuwagenkäufer für einen Selbstzünder – vor einem Jahr waren es noch 46,0 Prozent." Ein Grund sei die anhaltende öffentliche Diskussion etwa über Fahrverbote.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
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(kbe)