Post aus Japan: Eine autonome Erfahrung

In Nippon posaunt man es nicht gerne heraus: Einige Autohersteller haben autonome Fahrfunktionen schon jetzt erschwinglich in die Mittelklasse eingeführt. Doch freihändiges Fahren ist weiterhin tabu, zeigt ein Autotest.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Wenn ich von meiner Insel aus die Diskussion in den Medien verfolge, gewinne ich den Eindruck, dass Roboterautos schon vor der Tür stehen. Besonders Tesla scheint mit seinem vollmundig angekündigten "Autopilot" die Erwartung geschürt zu haben, dass wir Fahrer das Lenkrad bald dem Auto anvertrauen können. Deutsche Premiummarken zeigen wie Mercedes mit dem Drive Pilot, dass sie auch oben auf der Welle mitschwimmen. Nur die japanischen Hersteller scheinen den Eindruck zu erwecken, am Lenkrad zu dösen. Aber dieser Eindruck täuscht wie ich erst jüngst in mehreren Tests buchstäblich erfahren konnte.

Japans Branchenprimus Toyota lässt seinen neuen Camry zwar noch nicht allein langfristig die Spur halten. Aber die Rivalen Nissan und Honda haben Tesla-ähnliche Technik bereits so unaufgeregt im Massenmarkt eingesetzt, dass es viele Beobachter gar nicht mitbekommen haben.

Renault-Partner Nissan rührt noch am eifrigsten die Werbetrommel für sein ProPilot genanntes System, dass derzeit auf der Autobahn selbstständig die Spur halten kann. Aber Honda versteckt genau die gleiche Fähigkeit als Unterpunkt in seinem Honda-Sensing-Paket unter dem wenig einprägsamen Kürzel LKAS.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

LKAS steht für Lane Keeping Assist System. Und wie die Systeme der Konkurrenz steuert es, kombiniert mit einer aktiven Cruise Control, in einer Spur auf der Autobahn. Der Unterschied: Kunden müssen dafür nicht teure Boliden aus Kalifornien oder Süddeutschland kaufen. Es funktioniert in der Mittelklasse, in meinem Fall einem der beliebtesten Familienvans Japans, dem Honda Stepwagon.

Bei dem Gefährt handelt es sich um einen busähnlichen Kastenwagen auf der Basis eines normalen Mittelklasse-PKWs. Meine Version bot sechs Insassen Platz und hatte neben zwei automatischen Schiebetüren eine Heckklappe, die man sowohl hochklappen oder teilweise wie eine normale Tür öffnen konnte. Ein 150-PS-Motor sorgte drehmomentstark für durchaus rasanten Vortrieb im Stadtverkehr – und das alles für unter 25.000 Euro, wenn ich den Wagen gekauft hätte.

Die autonome Fahrfunktion lässt sich bei Honda mit zwei Knopfdrücken am Lenkrad aktivieren. Wenn man nicht selbst Gas geben und bremsen will, muss man zuerst den Tempomaten einschalten, der selbstständig Abstand von Fahrzeugen hält. Ein Druck auf eine zweite Taste lässt ein Auto zwischen zwei gestrichelten Linien im Tacho erscheinen. Damit ist LKAS aktiviert. Und sobald das System sich sicher ist, füllen sich die gestrichelten Linien mit weißer Farbe und das Auto übernimmt die Fahrt.

Freihändig funktioniert das ganze nur kurz. Schon nach ein paar Sekunden verlangt das System wie bei der Konkurrenz, wenigstens eine Hand wieder ans Lenkrad zu legen. Denn noch sind weder der rechtliche Rahmen noch die Technik so weit, das Auto in allen Umständen sich selbst zu überlassen wie sich rasch zeigte.

Hin und wieder verlor das System kurz die Fahrbahnerkennung auf der normalen Autobahn. Und wie Nissans ProPilot rief das LKAS auf den scharfen, schnell gefahrenen Kurven auf Tokios enger Stadtautobahn regelmäßig um Hilfe. Aber das wundert mich nicht. Auch mein Herzschlag beschleunigt sich noch immer, wenn ich Tokios innerstädtische Schnellstraßen befahre, die sich entweder zig Meter auf Stelzen oder in Tunneln kurven- und steigungsreich durch die Megacity winden.

Gelegentliche Pfeiler in der Straßenmitte, Einfahrten von rechts und links mit minimaler Beschleunigungsspur erhöhen den Reiz noch. Und die Japaner sind daher vorsichtig. Sie untertreiben lieber als mit vielversprechenden Namen zu hohe Erwartungen an die Fähigkeiten der Autos zu wecken.

Mich würde mal interessieren, wie sich die Systeme Teslas und der deutschen Konkurrenz auf Tokios Stadtautobahn behaupten. Ich glaube, nicht besser. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass die Japaner ihren Rivalen wenigstens in Japan bald eine Nasenlänge voraus sind. Denn kein Land der Welt ist bereits soweit, den Autos auf den Zentimeter genaue dreidimensionale Straßenkarten und vor allem Satellitenortung unterstützend zur Verfügung zu stellen.

Am Dienstag stellte der Technikkonzern Mitsubishi Electric den GPS-Satelliten Michibiki 4 der Presse vor. Er ist Teil eines eigenen japanischen GPS-Systems aus erst vier und später sieben Satelliten, das ab April 2018 die Präzision der Ortung für Autos, Bahnen, autonomen Landmaschinen und zur Not Japans Militär von bisher drei bis zehn Metern auf wenige Zentimeter erhöhen soll.

Darüber hinaus ist Mitsubishi Electric der technische Federführer in einem Konsortium, mit dem Japans Autobauer und Landkartenhersteller Japans Straßen in hochpräzise 3D-Karten verwandeln. Diese Karten sind notwendig, damit Autos auch selbst vorausschauend autonom fahren können, vielleicht sogar auf Stadtautobahnen.

Der Fortschritt ist rasch. Das Gemeinschaftsunternehmen Dynamic Map Platform will 2018 Japans 30.000 Autobahnkilometer vermessen haben. Darüber hinaus diskutieren die Japaner mit internationalen Kartenhersteller wie TomTom oder Here von Audi, BMW und Mercedes über gemeinsame Standards für die Kartendaten.

Mitsubishi Electric versucht überdies, sein daheim gewonnenes Knowhow weltweit zu versilbern. Am Dienstag kündigten die Japaner mit dem deutschen Autozulieferer Bosch und den kleineren Firmen Geo++ und u-blog das Joint-Venture Sapcorda Services GmbH an, das zentimetergenaue Positionierung von fahrenden Autos auch nach Europa bringen soll. Dies bestätigt mich in meiner Meinung, dass Japans Autobauer keineswegs zu den Nachzüglern gehören, sondern allenfalls andere Schwerpunkte setzen. Sie posaunen das nur nicht so laut hinaus.

Selbst ist das Auto (14 Bilder)

Im Jahr 2014 stellte Google sein eigenes autonomes Auto vor. Die Vision war es, kleine Zweisitzer mit Elektro-Antrieb zu entwickeln, die komplett auf Lenkrad und Pedale verzichten. Das Projekt Google Driverless Cars firmiert heute unter der Bezeichnung Waymo.
(Bild: Waymo)

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