Schweiz nimmt sich Zeit für Atomausstieg und eigene Energiewende

Vor kurzem hat auch die Schweiz ihren Atomausstieg beschlossen. Mit einem erneuerbaren Rohstoff ist das Nachbarland schon heute ganz besonders gesegnet – aber vielleicht nicht mehr auf lange Sicht.

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Schweiz nimmt sich Zeit für Atomausstieg und eigene Energiewende

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Franziska Scheven
  • dpa
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Auch die Schweiz bekommt nun ihre Energiewende. Im Frühjahr besiegelten die Eidgenossen bei einer Volksabstimmung mit fast 60 Prozent Zustimmung den Atomausstieg. Künftig sollen – ähnlich wie beim großen Nachbarn Deutschland – vor allem erneuerbare Stromquellen Haushalte und Industrie versorgen. Allerdings ist noch offen, wann genau die fünf Nuklearmeiler vom Netz gehen.

Während in Deutschland die letzten Atomkraftwerke 2022 abgeschaltet werden sollen, beschloss die Schweiz nur, dass ab 2018 keine weiteren gebaut werden dürfen. "Die Atomkraft ist ein Auslaufmodell", betonte Bundespräsidentin Doris Leuthard in einem TV-Interview. "Aber wir brauchen Zeit, um sie mit heimischer, sauberer Energie zu ersetzen."

Der Atomkritiker Rudolf Rechsteiner, Ökonom und Dozent für erneuerbare Energien an der ETH Zürich, hätte den Komplettausstieg gern so früh wie möglich. "Die Schweiz kann alle Atomkraftwerke jederzeit abstellen, ohne dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist", schrieb er in einer Studie. Es sei über eine Dauer von 15 Jahren fast 10 Milliarden Euro teurer, die alten Anlagen weiterlaufen zu lassen, als die ausfallende Menge Strom am Markt zuzukaufen.

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Doch so funktioniere das in der Schweiz nicht, sagt Rolf Wüstenhagen, Professor für das Management erneuerbarer Energien an der Universität St. Gallen. "Hier wurde immer wieder abgestimmt, um sich langsam auf einen Kompromiss zu einigen, den alle langfristig akzeptieren und mit dem man arbeiten kann." Anders als etwa Deutschland oder Spanien vor ihren jeweiligen Atomausstiegen ist die Schweiz in einer komfortablen Situation. Sie deckt schon knapp 60 Prozent ihres Strombedarfs aus Wasserkraft. Rund ein Drittel kommt nach Angaben des Bundesamtes für Energie aus der Atomkraft. Dafür sind jetzt Alternativen nötig.

Umgerechnet 422 Millionen Euro an Fördermitteln gibt es für den Ausbau der Erneuerbaren, ein Drittel davon geht in die Wasserkraft. Für diese Energiequelle hat die Schweiz ideale Voraussetzungen. In den Alpen gibt es häufige Niederschläge, Schmelzwasser aus Gletschern und starke Gefälle. Hier entspringen einige der längsten Flüsse Europas wie Rhein und Rhône. Es sind bereits 643 Wasserkraftwerke mit einer Leistung von jeweils mehr als 300 Kilowatt in Betrieb.

Das Potenzial der Wasserkraft sei allerdings in höher gelegenen Alpenregionen durch das langfristige Schmelzen der Gletscher gefährdet, warnen Forscher der Universität Bern. Denn auf lange Sicht könnte dort weniger Schnee und Eis liegen – und damit auch weniger Schmelzwasser für die Kraftwerke vorhanden sein. Laut der Universität sollen bis 2100 viele Gletscher weitgehend verschwunden sein. Dann sollen nach ihrer Prognose nur rund 25 Prozent der heutigen Fläche und des heutigen Volumens der Schweizer Gletscher noch vorhanden sein.

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Am Kraftwerk des Stausees Mattmark im Kanton Wallis, dessen Staumauer der größten Erddamm Europas ist, rechnen Forscher aufgrund des Klimawandels mit einem Rückgang der Stromproduktion um 30 Prozent bis zum Ende des Jahrhunderts. Das Kraftwerk liegt auf 2200 Höhe Metern und bezieht Wasser aus sieben Gletschern. Es produziert im Jahr 607,5 Millionen Kilowattstunden.