Maximale Dreistigkeitswerte

Die Diskussion um den Diesel-Skandal nimmt bisweilen absurde Züge an. Ich fordere Grenzwerte für Dreistigkeit in der Diesel-Debatte, um die Gesundheit der Öffentlichkeit zu schützen.

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Die Autolobby schießt zurück: Der Diesel-Skandal ist in Wirklichkeit reine Hysterie, Grenzwerte sind wahlweise eigentlich völlig beliebig oder politisch gesetzt – irgendwie aus dem Ausland – um die deutsche Autoindustrie zu zerstören. Eine Art Dolchstoß mit adminstrativen Mitteln, weil dem deutschen Autobauer auf dem Felde – Pardon der Straße – ja nicht beizukommen ist.

Sie halten diese Darstellung für übertrieben? Dass unabhängige Fachmagazine wie "Auto Motor und Sport" ganz unschuldig fragen, wie schlimm die Stickoxid-Belastung durch Diesel denn nun wirklich sei, überrascht mich nicht. Aber auch der "Focus", der gerne als seriöses Nachrichtenmagazin gelten will, haut voll rein: Spricht von "Dieselpanik" und "Grenzwertlüge", "Expertenrat" und "simplen Fakten", die die Politik ignoriert.

Wesentlicher Pfeiler der Argumentation ist jeweils die Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) für Stickoxide, die bei 950 Mikrogramm liegt – sehr viel höher als die Grenzwerte für Straßen. Und was für deutsche Arbeitnehmer zumutbar sei, könne doch für den Rest der Welt nicht schädlich sein. Im weiteren Verlauf argumentiert man dann gerne mal, dass der europäische Grenzwert und die Debatte um Fahrverbote ja rein ideologisch geprägt sei.

Dabei wäre es gar nicht schwierig gewesen, auch Experten zu finden, die den Widerspruch auflösen. Das Bundesumweltamt erklärt dem Wissbegierigen beispielsweise gerne und ausführlich den Unterschied zwischen WHO-Grenzwerten – gelten auch für Säuglinge, Kranke und Greise mit Atemnot – und MAK-Werten – gelten für gesunde Arbeitnehmer, maximal 40 Stunden in der Woche. Und vielleicht ist der MAK-Wert ja in Wirklichkeit viel zu hoch? Der "Stern" jedenfalls interviewt Anette Peters vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München. Die hält den bestehenden europäischen Grenzwert für viel zu hoch. Er müsste dringend noch weiter gesenkt werden.

Was mich an der ganzen Debatte stört, ist nicht, dass es unterschiedliche wissenschaftliche Einschätzungen zu dem Problem gibt. Was mich nervt, ist das postfaktische Geraune der Auto-Lobby, die so tut, als hätte sie den Sachverstand für sich allein gepachtet. Als gäbe es eigentlich gar keinen wissenschaftlichen Grund für Schadstoff-Grenzwerte in der Luft und mit ein bisschen Menschenverstand müsste man ja einsehen, dass das alles übertrieben ist.

Ich fordere in den Diesel-Debatte deshalb jetzt endlich ein Punktesystem für argumentative Geisterfahrer. Wer mehr als zehn Punkte kassiert, wird mit Missachtung gestraft und gilt in Debatten unter Erwachsenen mindestens einen Monat lang nicht mehr als satisfaktionsfähig.

Wer behauptet, er argumentiere nur mit gesundem Menschenverstand, während die Gegenseite die Welt ausschließlich ideologisch gefärbt betrachtet, kassiert drei Punkte. Wer im Brustton der Überzeugung vertritt "Niemand" wolle doch Fahrverbote, kassiert wegen besonders aggressiver Dreistigkeit gleich vier. Und wer in seiner Schein-Argumentation die maximale Dreistigkeitskonzentration von einem Dobrindt überschreitet, ist mit fünf Punkten dabei.

(wst)