Elektroautos: IG Metall warnt vor Job-Folgen von Elektromobilität

Die Autoindustrie steht vor großen Umstrukturierungen. Für Elektro-Antriebe braucht man weniger Leute in den Fabriken. Die IG Metall verlangt Perspektiven für die Beschäftigten und sieht die Industrie auf die Umstrukturierungen unvorbereitet.

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(Bild: Kristina Beer)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christian Ebner
  • dpa

Die Autoindustrie ist nach Ansicht der IG Metall in Sachen Arbeitsorganisation schlecht vorbereitet auf eine große Umstellung auf Elektro-Antriebe. Die Beschäftigten müssten für neue Anforderungen systematisch umgeschult werden, sagt der Erste Vorsitzende der Gewerkschaft, Jörg Hofmann. Die Diesel-Skepsis verschärfe die Lage frühzeitig. Hofmann sieht aber auch Perspektiven für neue Jobs.

Der Diplom-Ökonom Jörg Hofmann führt seit Oktober 2015 die stärkste deutsche Gewerkschaft IG Metall. Der 61-Jährige gilt als Tarifexperte, der in seinem Heimat-Bezirk Baden-Württemberg zahlreiche wegweisende Verträge mit den Arbeitgebern ausgehandelt hat. Als Megathemen sieht der Sozialdemokrat, der in den Aufsichtsräten von Bosch und VW sitzt, selbstbestimmte Arbeitszeiten sowie die Digitalisierung der Industrie.

(Bild: IG Metall)

Wie viele Arbeitsplätze hängen in Deutschland direkt am Diesel?

Jörg Hofmann: Von 880 000 Beschäftigten im Fahrzeugbau sind etwa 320 000 Menschen im Antriebsstrang tätig. Während für die Otto-Motoren die Zulieferer weitgehend schon nach Osteuropa abgewandert sind, findet in Deutschland mehrheitlich noch sehr viel Diesel-Produktion statt. Wir schätzen daher, dass über 200 000 Arbeitsplätze vom Diesel abhängen, wenn man die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet.

Bemerken Sie bereits erste Folgen der Diesel-Verunsicherung? Ist schon Kurzarbeit geplant?

Jörg Hofmann: Noch nicht. Aber vor allem die auf Diesel-Komponenten spezialisierten Zulieferer sind schon deutlich betroffen vom Absatz-Rückgang auf dem deutschen Markt. Und wir merken es vor allem beim Investitionsverhalten. Gibt es noch Entwicklungsaufträge für Motoren? Was wird in zukünftige Beschäftigung investiert? Da ist eine allgemeine Zurückhaltung deutlich sichtbar. Im Moment werden in einigen Werken - als eine Vorstufe zur Kurzarbeit - die Arbeitszeitkonten geleert. Daher brauchen wir möglichst schnell wieder Rechtssicherheit in Sachen Diesel. Der Kunde muss wissen, unter welchen Umständen er mit welchem Fahrzeug in Zukunft wohin fahren kann. Solange diese Frage weiter schwebt und sich die Politik um Antworten rumdrückt, wird es diese Unsicherheit um die Beschäftigung weiter geben.

Ist es sinnvoll, eine Jahreszahl für das Ende des Verbrennungsmotors festzulegen?

Jörg Hofmann: Das halte ich für Humbug. Wir wissen gar nicht, wie sich der Verbrennungsmotor weiterentwickelt. Auch Erdgas, synthetische Kraftstoffe oder vielleicht doch noch die Brennstoffzelle könnten zu Optionen werden. Wir bewegen uns in einem technologieoffenen Prozess, in dem es darum geht, die saubersten Fahrzeuge zu produzieren. Und zwar bitte in einer Gesamtbetrachtung über den ganzen Produktions- und Lebenszyklus und nicht nur bei dem, was aus dem Auspuff kommt.

Aber die aktuelle Umstellung auf Elektro-Antriebe scheint nicht mehr aufzuhalten sein?

Jörg Hofmann: Es gibt keinen Weg daran vorbei, den Elektro-Antrieb nach vorne zu bringen, auch wenn noch viele Probleme etwa zu Werkstoffkreisläufen und Infrastruktur zu lösen sind. Wir müssen aus Beschäftigungssicht die Frage stellen: Wo werden die Elektro-Komponenten wie die Batterie industrialisiert? Technologisch sehe ich die deutsche Industrie nicht in einem Wettbewerbsnachteil gegenüber den Asiaten. Wir müssen aber von Pilotanlagen zur Massenproduktion kommen.

Was für Auswirkungen hat die beschleunigte Elektro-Umstellung auf die Beschäftigung ihrer Mitglieder?

Jörg Hofmann: Für die baulich einfacheren Elektroantriebe werden weniger Beschäftigte gebraucht, das kann man drehen und wenden, wie man will. Allerdings wird Innovation in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Fahrkomfort auch dort komplexere Produkte hervorbringen. Außerdem haben wir auch einen Zuwachs von Beschäftigung etwa beim autonomen Fahren, das neue Geschäftsmodelle eröffnet, die mit der klassischen Produktion nichts mehr zu tun haben. Aussagen darüber zu machen, was das für die Beschäftigung im Saldo heißt, ist allerdings reines Lesen in der Glaskugel.

Festzuhalten bleibt: Wenn die deutsche Automobilindustrie sich nicht auf den Weg zu neuen Mobilitäts- und Antriebskonzepten macht, wird sie ihre Innovationsführerschaft verlieren. Diese Transformation in eine umwelt- und klimafreundliche Mobilität ist zwingend. Und da muss auch mancher Manager vom hohen Ross herunter. Zukunftssicherung ist nicht, den letzten Diesel zu verteidigen. Das verlangt aber die Anstrengung, allen Beschäftigten den Weg zu ebnen und damit eine Balance zwischen Beschäftigung und Mobilitätswende zu finden.

Wie kann man die einzelnen Mitarbeiter umschulen?

Jörg Hofmann: Man muss auf die neuen Tätigkeitsfelder qualifizieren. Wir haben zudem den demografischen Vorteil, dass in den kommenden Jahren besonders viele Mitarbeiter aus Altersgründen ausscheiden werden. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt bei der Erstausbildung und bei der Hochschulausbildung die richtigen Schwerpunkte legen. Man wird auch im Fahrzeugbau in Zukunft nicht mehr mit der Erstausbildung durchs sein ganzes Berufsleben kommen. Es ist aber beschämend, wie schlecht vorbereitet wir in solche Prozesse laufen.

Daneben entsteht rund um neue Geschäftsmodelle der Mobilität auch neue Beschäftigung. Aber oft zu deutlich schlechteren und tariflich nicht abgesicherten Arbeitsbedingungen. Und wir werden auch Hunderte Zulieferer haben, denen die Innovationskraft fehlt. Dann ist die Arbeitsmarkt-und Qualifizierungspolitik gefordert.

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(jk)