Die IAA in Lichte ihrer sinkenden Relevanz-Sonne betrachtet

Klartext: "Wann kommt das?"

Aufbruchstimmung, Elektrosolardings, Örben Mobillitieh, das Geschrei zur IAA ist groß. Gezeigt wird jedoch die übliche Wurstplatte aus SUVs und Modellautos. Viele Hersteller sind nicht mehr vor Ort, doch die Ursachen sind größtenteils hausgemacht

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Die IAA 2017 ist der Wendepunkt der automobilen Fortbewegung. Das lese ich gerade in einer großen Tageszeitung und wundere mich, weil ich nichts dergleichen feststellen kann. Sicherheitshalber habe ich alle Neuheiten durchgeblättert. Wie so oft finde ich die interessantesten Perlen im Hintergrund, zum Beispiel bei den Zulieferern. Aber als Hauptbuffet liegt dasselbe aus wie immer, wie vermutet, wie erwartet, wie Spaghetti und Soße: SUVs und Modellautos. Wenn das ein Wendepunkt sein soll, dann ein Donut mit 360° – ein bisschen Gummirauch und dann Vollgas in dieselbe Richtung weiter.

Die ganze Dieseldiskussion war eher anstrengend als erhellend, aber sie barg in sich doch die große Chance einer Zäsur, für alle Beteiligten. Die Kunden hätten ihre Kaufgewohnheiten hinterfragen können, die Hersteller ihre Kundenerziehungsmaßnahmen, ihre PR, ihre Händler und natürlich ihr Angebot. Kleine, vorher chancenlose Player hatten (und haben noch) eine größere Chance, gehört zu werden. Und so weiter. Ich will nicht abstreiten, dass Teile davon passieren. Nur findet das alles eben nicht auf der Messe in Frankfurt statt.

Der Messestar ist just aCar

Das einzige etwas tiefer gedachte Auto auf der IAA spinnt einen Gedanken fort, der nicht an der Spitze der westlichen Wohlstandsentwicklung stattfindet, sondern in Afrika. Ich spreche vom "aCar", einem Kleinlaster, den ein Amerikaner wahrscheinlich ein "größeres Side by Side" nennen würde: kleine Elektromotoren treiben beide Achsen an, damit der Bauer seine Ernte auf den nächsten Markt fahren kann, und zwar nicht 200 km über die Autobahn, sondern zehn Kilometer Dschungelpiste, was genauso lang dauert, aber einen kleineren Akku erlaubt. Dazu kommt ein einfacher Aufbau, der keine komplexe, teure, hochautomatisierte Fabrik benötigt, sondern stattdessen mit (dort billigerer) Manpower statt Maschinen vor Ort hergestellt werden kann.

Ich führe das Projekt als Vorzeigebeispiel an, weil es sich mit dem nächsten Schritt beschäftigt, den Gemeinden im ländlichen Afrika tatsächlich gehen können: eigene Mobilität, eigene Produktion. Wenn wir Afrikas Staaten fehlende Emanzipation vorwerfen, vergessen wir gern geflissentlich, dass wir den Kontinent mit billiger Kleidung, Gebrauchtwagen, Müll mit Rohstoffen darin und subventionierten Landwirtschaftserzeugnissen überdecken, was als Methode schon immer ein probates Mittel gegen jede Emanzipation war. Ob das mit dem aCar funktioniert, steht selbstverständlich auf einem ganz anderen Blatt, aber die Einstellung dahinter gefällt mir.

Wenn wir uns den nächsten Schritt vorstellen, den Europa sinnvollerweise gehen könnte, dann hilft die IAA mit keiner Idee aus. Ja, da stehen Dinge zum Thema vollautomatisierter Verkehr. Mit Ausnahme einiger weniger Fahrzeuge wie Contis umgebautem EZ-10 sind das jedoch alles Modellautos. Während bei Kundenmodellen das Design noch sehr wichtig ist, das solche Entwürfe vorab zeigen wollen, hat es für eine technologische Revolution erst dann Belang, wenn sie erfolgreich war. Rufen wir uns einen wichtigen Punkt in Erinnerung: Ob das mit dem automatisierten Verkehr überhaupt funktionieren wird, wissen wir noch gar nicht.

Die Fachbetriebe hätten auf der IAA einmal zeigen können, welche neuen Software- und Hardware-Methoden sie derzeit an den Start bringen, um die drängenden Probleme zu lösen. Das taten sie natürlich nicht, weil der klassische IAA-Gänger eben Autolack sehen will und Software eher hasst. Was will man dem dann an abstrakter Methodik zeigen? Dazu kommt die krankhafte Geheimniskrämerei der Autowelt. Wenn ich was zeige, schreibt's Wolfsburg am Ende ab!