Rettungspaket für Diesel

Während die Autokonzerne mogeln, zeigt ein kleines Unternehmen, wie sich Dieselfahrzeuge entgiften lassen – und bietet die Lösung als Nachrüstset für 1500 Euro an.

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Von
  • Clemens Gleich

Der Dieselskandal trifft viele Autofahrer durch Wertverluste und die angedrohten Fahrverbote. Wer sich im Vertrauen auf dessen Sauberkeit einen Diesel-Pkw nach Euro 5 kaufte, kann ebendiesen Wagen vielleicht bald nicht mehr zum Pendeln in die Stadt benutzen. Gleichzeitig sinken dadurch die Gebrauchtwagenpreise, sodass auch der Kauf eines neueren, saubereren Modells schwieriger wird. Deshalb könnten sich auch aufwendigere Lösungen lohnen. Eine solche hat jetzt die Firma Twintec vorgestellt, die schon früher Abgas-Nachrüstlösungen verkaufte. Sie bringt Euro-5-Diesel auf Stickoxidwerte, wie sie für die aktuell für Neuzulassungen gültige Abgasnorm Euro 6 verlangt werden.

8/2017

Twintecs "BNOx" genanntes System ist eine SCR-Anlage zum Nachrüsten. SCR steht für "Selective Catalytic Reduction". Dabei wird Ammoniak (NH3) dem Abgas beigemischt, das am Katalysator selektiv Stickstoffoxide (NO und NO2) reduziert. Aus dem Auspuff kommen dann nur noch harmloser Stickstoff und Wasserdampf. Das Ammoniak wird nicht als solches mitgeführt, sondern entsteht unter Hitze aus wässriger Harnstofflösung, die an Tankstellen unter dem Namen AdBlue verfügbar ist. Herstellereigene Lösungen spritzen das AdBlue meistens vor dem Kat ins heiße Abgas ein. Twintecs Lösung dagegen verdampft das AdBlue zuvor in einem eigens konstruierten Verdampfer und dosiert dann den Dampf ins Abgas. Bei warmem Motor liefert das Abgas selbst die nötige Hitze, ansonsten schaltet sich ein elektrisches Heizelement hinzu.

Damit BNOx in möglichst vielen Fahrzeugen funktioniert, gibt es keine Verbindung zur Bordelektronik, sondern nur einen eigenen, komplett getrennten Regelkreis. Je ein NOx-Sensor vor und nach dem SCR-Kat regeln die zudosierte Menge an Harnstofflösung.

Der Nachteil dieser Lösung: Da das System keinen Zugriff auf die aktuellen Motordaten hat und das Ammoniak zudem erst noch per Verdampfung herstellen muss, reagiert es träger als eine vom Werk her eingebaute Lösung. Wohl deshalb setzt Twintec hinter den SCR-Kat noch einen Ammoniak-Sperrkatalysator. Er oxidiert überschüssiges Ammoniak zu Stickstoff und Wasserdampf, damit der schädliche Stoff nicht in die Umwelt gelangt.

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Im Prinzip funktioniert Twintecs Aufbau so ähnlich wie SCR-Anlagen in Nutzfahrzeugen. Kein Wunder: Das Dortmunder Unternehmen hat seine bestehende Nachrüstlösung für Omnibusse einfach auf Pkw-Dimensionen herunterskaliert. Sie besteht aus Standardkomponenten der entsprechenden Zulieferer. Nur den Verdampfer hat Twintec selbst konstruiert.

Bei unabhängigen Tests senkte der Umbau die Stickoxid-werte drastisch um bis zu 99 Prozent. Die Zeitschrift "auto motor und sport" ermittelte bei einem umgerüsteten VW Passat Variant 1.6 TDI (Baureihe B7) im normalen Straßenbetrieb bei warmem Motor nur noch 49 Milligramm pro Kilometer. Der Grenzwert für Euro 6 liegt bei 80 Milligramm – auf dem Prüfstand, wohlgemerkt.

Auf ähnliche Werte kommt auch der ADAC. Beim sogenannten Ecotest auf dem Prüfstand emittierte der Passat 50 Milligramm, im kommenden WLTP-Zyklus 95 Milligramm bei kaltem und 35 Milligramm bei warmem Motor. Ein nicht umgebauter Vergleichs-Passat stieß unter diesen Bedingungen satte 748 Milligramm aus. Die schlechteren Kaltstartwerte will Twintec noch beheben. Auf der Autobahn maß der ADAC bei konstanten 130 Kilometern pro Stunde nur zehn Milligramm Stickoxide pro Kilometer, beim Vergleichswagen waren es 742.

(Bild: Statistik der Woche: Quo vadis Diesel?)

Es geht also. Man kann Dieselabgas gut entgiften. Der Aufwand, den die Autobauer sich und ihren Kunden nicht zumuten wollten, ist überschaubar. Er besteht vor allem in einem genügend großen Tank für AdBlue. Der nachgerüstete Passat hat einen 18-Liter Tank, der zusammen mit der Elektronik statt eines Reserverads in der Reserveradmulde liegt. Im schlechtesten Fall müsste er alle 6000 Kilometer nachgefüllt werden, in den Tests wären es 9000 Kilometer. Die zusätzlichen AdBlue-Kosten für Autofahrer liegen demnach bei unter 20 Cent pro 100 Kilometer. Der Dieselverbrauch erhöhte sich bei den Tests allerdings um drei bis fünf Prozent. Hauptverursacher dürfte das 400-Watt-Heizelement sein. Twintec rechnet damit, dass der Umbau rund 1500 Euro kosten wird.

Welche Modelle genau im Mitteltunnel und in der Reserveradmulde genügend Platz haben für eine BNOx-Umrüstung, ist noch offen. Twintec hat das System jedenfalls flexibel genug ausgelegt, um es an möglichst viele Autofahrer verkaufen zu können. Dazu müsste allerdings gewährleistet sein, dass die Politik solche Umrüstlösungen auch zulässt.

Bisher haben Politik und Hersteller dazu nur Bekundungen abgegeben. Schon Software-Updates bringen gewisse Fortschritte: Der ADAC maß nach VWs Software-Nachrüstung im Realbetrieb an einem Golf ohne SCR-System Verbesserungen zwischen 50 und 60 Prozent. Hat der Motor bereits eine SCR-Anlage, dürfte das Potenzial noch größer sein. Allerdings kommt es auf den Einzelfall an. Im Extremfall können Kunden sogar Nachteile entstehen, denn für die bestmögliche Abgasreinigung muss eine ganze Palette an Maßnahmen koordiniert werden: Abgasrückführung, Freibrennen des NOx-Speicherkatalysators, Reduzierung des "Thermofensters", in dem die Abgasreinigung abgeschaltet wird. Folge können etwa Leistungsverluste sein, weil sich die Auspuffanlage zusetzt.

Welche Maßnahmen der Gesetzgeber verlangt, wird er wahrscheinlich gemeinsam mit der blauen Plakette entscheiden, die alle Diesel unterhalb von Euro 6 aus entsprechenden Umweltzonen aussperrt. Wie es jetzt nach der Bundestagswahl weitergeht, ist ungewiss. Euro-5-Dieselfahrer müssen also noch einige Monate zittern. (bsc)