CO2 wird Super

Forscher und Start-ups wollen Kohlendioxid auffangen und daraus klimafreundlichen Brennstoff herstellen. Der Wettlauf um die beste Technologie ist in vollem Gange, erste Experten sehen bereits eine Alternative zu Elektromobilität und Heizöl kommen.

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Von
  • Rainer Kurlemann
  • Peter Fairley
  • James Temple

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 12.10.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Die blaue Beleuchtung verleiht der Anlage einen besonderen Zauber. Es spiegelt sich in den Glasbehältern und Edelstahltanks und lässt selbst das Gewirr von Plastikschläuchen futuristisch aussehen – selbst den Ansaugstutzen für Luft, der bei ungefärbter Betrachtung eher an das Heizungsrohr eines Kaminofens erinnert. Die Anlage besitzt nur die Dimension eines größeren Kühlschranks, aber sie hat es in sich: Mit ihr möchte die Firma Gensoric Kohlendioxid aus der Luft in Energie verwandeln. Aus dem Klimagas soll der Treibstoff der Zukunft werden. „Unsere Anlage filtert Kohlendioxid aus der Umgebungsluft und verwandelt es in den Energieträger Methanol“, sagt Geschäftsführer Lars Krüger. Wenn das System ausgereift ist, möchte er die neue Technologie namens Willpower an Hausbesitzer und Wohnungsbaugenossenschaften verkaufen, die das Methanol in der Heizung oder in Blockheizkraftwerken verbrennen. „Wir wollen Privatleute befähigen, sich selbst CO2-neutral mit Wärme und Warmwasser zu versorgen.“

Das sind große Worte – aber nicht nur. Erstens steht seit Kurzem eine erste Pilotanlage in einem Container im Schatten eines Wasserkraftwerks am Baldeneysee nahe Essen. Das Stauwehr betreibt der Energieversorger Innogy, und die ehemalige RWE-Tochter hat Gensoric angeboten, dort ihre Technologie auszuprobieren. Zweitens ist Lars Krüger nicht der einzige Unternehmer, der Kohlendioxid als Rohstoff entdeckt hat. Viele Entwickler – junge Ingenieure in Start-ups, aber auch alteingesessene Unternehmen – träumen von einem zweiten, klimafreundlichen Leben des Treibhausgases. Chemiefirmen wie Covestro (siehe TR 5/2017) wollen daraus Kunststoffe und Schäume herstellen oder es als Basis für Kosmetikprodukte verwenden.

Der mit Abstand größte Traum ist jedoch, mit CO2 Erdöl und Erdgas zu ersetzen, Heizungen zu befeuern und Autos anzutreiben. Was hinten aus dem Auspuff oder oben aus dem Schornstein rauskommt, soll nach seiner chemischen Verwandlung vorn wieder hineinlaufen. Es wäre der perfekte Kreislauf, angepasst an das Prinzip der Natur: Tiere oder Menschen atmen CO2 aus, Pflanzen nehmen das Gas auf und verwandeln es in Biomasse, die wiederum Energie liefert. Die Energie der Sonne hält den Kreislauf in Gang. Beim menschlichen System nähme Strom aus Solaranlagen, Windrädern oder Wasserkraftwerken diese Rolle ein. Stammt der Strom vollständig aus erneuerbaren Energien, wäre das klimaneutrale Heizwerk – und vor allem der CO2-freie Verbrennungsmotor – erschaffen.

Knapp 70 Milliarden Liter Sprit werden jedes Jahr allein in Deutschland verfahren. „Wir könnten die Mobilität dazu nutzen, das unvermeidliche CO2 weiterzuverwenden“, erklärt Robert Schlögl, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion. Die deutsche Autoindustrie springt gern darauf an, könnte sie mit dieser Technologie doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen Kohlendioxid aus der Luft entfernen und den Klimawandel bremsen. Und zum anderen den Verbrennungsmotor und damit zumindest einen Teil ihrer Milliardengewinne retten. Der Automobilzulieferer Bosch etwa wirbt dafür, dass die Beimischung synthetischer Treibstoffe zum herkömmlichen Diesel die Klimabilanz des Verkehrs sofort verbessern könne. „Anders als beim großflächigen Umstieg auf Batterieantrieb können die bestehende Infrastruktur und bewährte Technologie weitergenutzt werden“, sagt auch Schlögl.

Deshalb ist um die Produktion von synthetischen Brennstoffen ein Wettstreit entbrannt. Gensoric setzt auf Methanol als lagerfähiges Zwischenprodukt. Kleine, autarke Einheiten sollen in Hauskellern stehen, die Energie für das CO2-Recycling sollen Photovoltaik-Anlagen liefern. Das zu Sonnenzeiten produzierte Methanol könnte in einem 1000-Liter-Tank gelagert werden, bis die Heizung es anfordert. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) hat für Gensoric verschiedene Szenarien mit Realdaten berechnet. „In einem Niedrigenergiehaus ist es möglich, mit einer Kombination aus Photovoltaik und unserer Anlage über das gesamte Jahr bei Wärme und Warmwasser autark zu werden“, sagt Krüger. Bei der Planung von neuen Wohnquartieren oder im ländlichen Raum gebe es genug Platz für Photovoltaik. Anfang 2018 will Gensoric mit dem Bau der ersten Pilotanlagen beginnen.

(rot)