Verfassungsschutzchef will IP-Adressen von Abrufern von Enthauptungsvideos

Die Präsidenten der deutschen Geheimdienste haben in einer ersten öffentlichen Anhörung im Bundestag Teile ihres Wunschzettels präsentiert. Ganz oben stehen Befugnisse zum "Zurückhacken" und Abhören von WhatsApp und Co.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 240 Kommentare lesen
Verfassungsschutzchef will IP-Adressen von Abrufern von Enthauptungsvideos
Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Vor allem wegen anhaltender Gefahren im Bereich "islamistischer Terrorismus" drängen die Chefs der deutschen Geheimdienste auf noch mehr gesetzliche und technische Kompetenzen. "Wir brauchen einen vollen Werkzeugkasten, mit dem wir in der Lage sind, die Probleme unserer Zeit zu lösen", erklärte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, am Donnerstag in der ersten öffentlichen Anhörung der Nachrichtendienstleiter im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags. Er sage dies nicht als gewöhnlicher Lobbyist, sondern als Mitverantwortlicher "für die Sicherheit in diesem Land", die ihren Preis habe.

Der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch erwiderte, dass die große Koalition den Kasten der Geheimdienste bereits "ganz schön angefüllt" habe. Er wollte wissen, was da überhaupt noch offen bleibe jenseits einer aufgebohrten Vorratsdatenspeicherung. Maaßen erwiderte, dass er seinen Wunschzettel zunächst der neuen Bundesregierung vorlegen werde. Mit Teilen davon "aus dem technischen Bereich" hielt er aber nicht hinterm Berg: "Mich würde interessieren: Wer schaut sich gerade auf seinem Computer Enthauptungsvideos an, die auf einem Server in Malaysia liegen. Ich würde gern die IP-Adressen bekommen und mit unserer Gefährderdatenbank abgleichen."

Laut Maaßen gibt es rund 10.000 Salafisten in Deutschland, wobei der Übergang zum Dschihadismus fließend sei. Rund 1800 Personen zählten zum islamistischen Risikopotenzial, rund 700 davon würden als polizeiliche Gefährder geführt. Die Staatsschützer könnten nicht alle davon 24 Stunden lang observieren, sondern müssten "priorisieren", wofür sie nach dem Fall des Berliner Attentäters Anis Amri ein neues Bewertungsverfahren eingeführt hätten. Diesen habe die Polizei durchgehend für einen Gefährder gehalten, deswegen sei der Verfassungsschutz außen vor gewesen. Hier sei zwar von Versagen zu sprechen, "aber es betrifft nicht meine Behörde". Diese sei weiter vorab zuständig, wenn eingeschätzt werden müsse, ob etwa ein Salafist auf dem Weg zum Gefährder sei.

Um das Treiben von IS-Hintermännern besser ausleuchten zu können, hätte Maaßen auch gern einen einfacheren Zugriff auf Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram. Derzeit könne auch bei einem Nachrichtenaustausch nach Deutschland oder mit Deutschen zwar auf Basis des G10-Gesetzes in Einzelfällen eine Überwachung angeordnet werden. Er wolle aber "die ganze Kommunikation" aus IS-Hochburgen wie Raqqa in Richtung Deutschland. Einige Journalisten, die beruflich auf dieser Strecke telefonierten und besonders geschützt seien, könnten herausgenommen werden. "Alle anderen" sollten die hiesigen Geheimdienste aber auf dem Radar haben.

In bestimmten Fällen müsse es ferner die Möglichkeit für ein "Hack-Back" geben, plädierte Maaßen für eine Rechtsgrundlage für einen "Rückschlag" bei IT-Angriffen. Nötig seien zudem weitere niedrigschwelligere Reaktionsmöglichkeiten. So sollten etwa "deutsche Daten" gelöscht werden dürfen, "die auf fremde Server abgeflossen sind". Dadurch hätten Informationen unschädlich gemacht werden können, die aus dem Bundestagshack stammten. Wichtig wäre es auch, "Angriffsserver zu infizieren", "um Strukturen aufklären und Daten abgreifen zu können".

Dass sich Vorhersagen umfassender Desinformationskampagnen rund um die Bundestagswahl nicht erfüllten, lag laut Maaßen daran, dass die politischen Kosten dafür wohl als zu hoch eingeschätzt worden seien. Das BfV habe aber natürlich Cyberangriffe wahrgenommen, die auf russische Interventionen wie in den USA oder Frankreich hingewiesen hätten. Eine unmittelbare Einflussnahme habe sich im deutschen Wahlsystem aber auch als schwieriger erwiesen.

Über Personalmangel konnte der Präsident des Inlandsgeheimdienstes nicht klagen: "Wir haben seit 2013 Stellenaufwüchse erhalten, die sich teils schon in Personen niedergeschlagen haben", erklärte er. Allein 2016 habe es 22.000 Bewerber gegeben, von denen mehrere hundert eingestellt worden seien. Dieses Jahr sei die Lage wohl ähnlich. Es gebe aber auch viel zu tun, da auch der gewaltbereite Rechts- und Linksextremismus sowie Cyberangriffe zunähmen. "In all unseren Geschäftsfeldern boomt es", konstatierte Maaßen. Leider sei dies in seinem Fall aber keine gute Nachricht.

Bruno Kahl, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), und sein Kollege vom Militärischen Abschirmdienst (MAD), Christof Gramm, berichteten von einem Stellenwachstum jeweils in der Höhe von zehn Prozent bei ihren Behörden. Damit seien beim BND aber auch "mehr Anforderungen und Aufgaben" verbunden.

Wie Maaßen vermisste Kahl, der seit 15 Monaten an der Spitze des Auslandsgeheimdienstes steht, eine gesetzliche Erlaubnis für spezielle eigene IT-Operationen, die "technisch möglich" seien: "Wenn die Aufklärung so weit abgeschlossen ist, dass feindliche Strukturen erkenn- und Ursachen identifizierbar waren, wäre es sinnvoll, die Angriffsquelle auch auszuschalten". Zudem bräuchte der BND noch eine rechtliche Befugnis für den Einsatz von Staatstrojanern zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung, wie sie der Gesetzgeber jüngst der Polizei gegeben hat.

Sonst sieht Kahl den BND recht gut aufgestellt, er sprach von laufenden "milliardenschweren Beschaffungsprogrammen" für moderne Technik. Darunter sei ein eigenes Satellitensystem, mit dem die Behörde Ziele so definieren können solle, dass "eigene Interessen vorrangig berücksichtigt werden". Alle Hände voll zu tun habe der Dienst nach dem Selektorenskandal und dem Ausspähen von Freunden noch mit der "Neuerfindung" der Abteilung "Technische Aufklärung" (TA), räumte Kahl ein. Eine Unternehmensberatung habe hier dabei geholfen, "die Sinnhaftigkeit von gewissen Abläufen zu durchleuchten" und ein "gewissenhaftes und genaues Controlling-System" einzuführen.

"Wir haben Verfahren entwickelt, in denen die Steuerung von Suchbegriffen, also von Selektoren verantwortlich organisiert wird zwischen verschiedenen Arbeitseinheiten", erläuterte Kahl auf Nachfrage. Damit sei ein "4-Augen-Prinzip institutionalisiert" worden und es gebe nun auch in mehreren Instanzen eine Kontrolle durch Mitarbeiter sowie eine "sehr systematische Dokumentation". Er sei daher "zuversichtlich, dass uns so gut wie keine Fehler mehr unterlaufen". In einem eigenständigen Kontrollgremium zu diesem Bereich seien bisher auch nur "Altfälle" untersucht worden, neue rund um das Abhören von Institutionen etwa auf EU- oder UN-Ebene nicht dazugekommen.

Dass die TA in Pullach im Süden bleibe, während der Großteil des BNDs nach Berlin umziehe, sieht Kahl positiv. Der Raum München habe bei der IT gewisse Standortvorteile: So sei es möglich, dort ein einschlägiges Cluster mit der neuen, von einem führenden BND-Mann geleiteten Entschlüsselungsbehörde Zitis und der Hochschule der Bundeswehr zu bilden, gemeinsam Nachwuchs auszubilden oder Spezialisten durch die Nähe zu Industrieunternehmen anzuwerben.

Die internationale Zusammenarbeit insbesondere mit wichtigen Partnern laufe wie geschmiert, befand der Behördenchef. Diese seien beim Austausch auch von Rohdaten "sehr viel schneller und großzügiger geworden". Der BND müsse nicht um Informationen betteln, sondern habe eher eine Flut zu beklagen. Die Anhörung hatte der Bundestag mit dem umstrittenen Gesetzespaket zur Geheimdienstreform eingeführt, mit dem Schwarz-Rot auf die Snowden-Enthüllungen und die im NSA-Untersuchungsausschuss aufgedeckten Verwerfungen beim BND reagieren wollte. (mho)