Verriss des Monats: Fahrschuhe

Die autonomen Pantoffeln kommen – und mit ihnen ein gut getarnter Generalangriff auf unsere Wachsamkeit.

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Von
  • Peter Glaser
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Japanische Kaufhäuser sind faszinierende Orte. In seinem Film Sans Soleil ("Unsichtbare Sonne") zeigte der Filmemacher Chris Marker 1983 eine Ausstellung von Schätzen aus dem Vatikanmuseum, die hinter Panzerglas zu sehen waren. Marker meinte in den Augen der Besucher einen Abglanz von Industriespionage wahrzunehmen und vermutete, dass die Japaner bald mit einer leistungsfähigeren und verbilligten Version des Katholizismus auf den Markt kommen werden.

Zwar wurden sie dabei von den Spaniern überholt (die Kathdrale von Barcelona war die erste, in der LED-Kerzen in Betrieb genommen wurden). Aber Marker – der als einer der Miterfinder der Katzenvideos gilt und sich mit der Videoreportage Chats Perchés auf die Spur der Graffiti-Katzen begab, die seit 2oo1 überall in Paris auftauchten – hätte mit seinem Sinn für sonderbare Details wohl zweifellos seine Freude gehabt an einem aktuellen Innovationsanfall des Autoherstellers Nissan.

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Um nochmal kurz zu einem kulturellen Hintergrund auszuholen: Das 1611 im japanischen Nagoya begründete Kaufhaus Matsuzakaya ist eines der ältesten Kaufhäuser der Welt. In der seit Beginn des 20. Jahrhunderts im westlichen Stil gehaltenen Filiale an der Flaniermeile Ginza in Tokio durften Kunden im Jahr 1924 erstmals in Japan einen Laden betreten, ohne am Eingang die Schuhe ausziehen zu müssen.

Nun will Nissan ab März den Gästen eines Ryokan – eines traditionell eingerichteten japanischen Hotels – selbstfahrende Hausschuhe anbieten. Gedacht als eine High-Tech-Hommage an eine japanische Tradition, rollen die Pantoffel auf Knopfdruck zum Hoteleingang. Das Hotel will auch ähnlich ausgerüstete Tatami-Matten und -tische vorführen. Alles fährt. Anlaß für die abgefahrene Ausstattung ist eine Technologie zum Selbsteinparken, die seit Oktober 2017 in ein Elektrofahrzeug der Autofirma eingebaut wird.

Es gibt eine verbreitete und nicht ganz unberechtigte Skepsis sogenannten "intelligenten" Lösungen gegenüber, die sich meist mehr auf neue technische Möglichkeiten konzentrieren, als einfach effektive Lösungen zu liefern. Warum fährt man dann auf ein solches – unbestreitbar ulkiges – Gimmick ab? Nissan bringt die Hightech-Pantoffeln raus, um "das Bewusstsein für automatisierte Fahrtechnologien und ihr Potenzial jenseits von Fahranwendungen zu schärfen".

Inzwischen nimmt die Angst vor möglicherweise verheerenden Auswirkung der Automatisierung zu, Stichwort Jobkiller, Stichwort böse Künstliche Intelligenz. Noch ist es bei uns üblich, unverblümt zu warnen, aber diese Direktheit wird nicht nur durch Political Correctness korrodiert.

Eine nukleare Form der Niedlichkeit greift an – "Kawaii" nennt der Japaner das begriffliche Bedeutungsbermudadreieck zwischen süß, kindlich und attraktiv. Es hat sich zu einem umfassenden ästhetischen Konzept ausgewachsen und fördert längst auch hierzulande den Unwillen, erwachsen zu werden. So findet sich die Niedlichkeits-Ikone Hello Kitty unter anderem im Auspuffdesign und auf Motoröl-Dosen.

Über den fehlenden Mund des Kätzchens sagt die Zeichnerin Yuko Shimizu, dass sich so jede Emotion des Betrachters auf das Wesen projizieren lasse. Die Vorteile neuer Technologien in einem ungefährlichen, unterhaltsamen Kontext sichtbar zu machen, soll die Menschen beruhigen. Im Film droht der brutale Terminator mit dem Ende der Welt. In Wirklichkeit bekommen wir selbstfahrende Hausschuhe und gleiten grinsend in den Untergang.

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