Freie Fahrt für freie Bürger

Die Hölle friert über: Um Fahrverbote zu umgehen, will die die Bundesregierung nun tatsächlich Pilotversuche starten, bei denen der öffentliche Nahverkehr gratis angeboten wird.

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In der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen: Die Bundesregierung interessiert sich doch tatsächlich dafür, ob man mit einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr die Luft in den Städten sauberer bekommen könnte. Das geht aus einem Schreiben hervor, das die amtierende Bundesregierung laut Politico an die EU-Kommission geschickt hat.

Um Fahrverbote zu umgehen, will die die Bundesregierung nun tatsächlich Pilotversuche starten, bei denen der öffentliche Nahverkehr gratis angeboten wird. Das Ziel ist tatsächlich, "die Zahl der Privatfahrzeuge zu reduzieren". Die Hölle friert über. Dass ich das noch erleben darf.

Natürlich wäre die Dieselgipfel-Koalition nicht sie selbst, wenn es bei der ganzen Sache nicht ein paar Pferdefüße gäbe. Interessant ist schon mal die Auswahl der bedeutenden Metropolen, in denen die Tests laufen sollen: Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim.

(Update: Ja, ich weiß, formal ist eine Großstadt alles, was über 100.000 Einwohner kommt. Und Essen ist mit über 500.000 unter den Top 10 der deutschen Großstädte. Aber Hannover kommt auch über 500.000, und wenn der Versuch hier stattgefunden hätte, hätte ich genauso gespottet. Ist nicht persönlich gemeint, Essen)

Keine wirkliche Großstadt, keine echte Metropolregion. Ich bin sicher, die Ergebnisse werden sich leider nicht auf deutsche Großstädte übertragen lassen - und selbst wenn alles prima läuft, muss man in Hamburg, Berlin oder München noch mal vor vorne anfangen.

Überhaupt ist die Idee zwar gut, sie könnte aber auch zum Opfer ihres eigenen Erfolges werden: Denn wenn tatsächlich viele Menschen auf Bus und Bahn umsteigen, muss das System auch ausgebaut werden. Die FAZ fragt nicht zu Unrecht gleich nach der Folgekosten eines kostenlosen ÖPNV - und wittert schon Steuererhöhungen - und die werden wahrscheinlich primär nicht die Besserverdienenden belasten.

Lustig auch die Tatsache, dass zwar die amtierende Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) das Schreiben unterzeichnet hat, und für die CDU hat Peter Altmaier (kommissarischer Finanzminister) unterzeichnet . Für die CSU ist aber Christian Schmidt Landwirtschaftsministerium) zum Zuge gekommen, der eigentlich nur einmal aufgefallen ist - durch seinen Lobby-Einsatz für das Pflanzenschutzgift Glyphosat. Hatte diese Partei nicht mal was mit dem Verkehrsministerium zu tun?

All das stärkt nicht gerade mein Vertrauen in die Ernsthaftigkeit der Pläne.

Aber selbst wenn die nächste Bundesregierung den ÖPNV tatsächlich flächendeckend ausbauen und radikal verbilligen wollte - wofür im Moment nur wenig spricht - wird das Stickstoff-Problem in den Städten dadurch voraussichtlich nicht gelöst. Es gibt einfach zu viele Menschen, denen das Wohl der Allgemeinheit vollkommen egal ist. Die die morgendliche Fahrt vom Häuschen im Grünen zum städtischen Arbeitsplatz im dicken SUV einfach als Menschenrecht begreifen. Die wird auch ein Gratis-Bus nicht zum Umsteigen bewegen. Das einzige, was wirklich helfen würde, wäre die Zahl der Autos auf den Straßen direkt zu begrenzen. Das geht. Singapur hat die Zahl der Neuzulassung ab Februar 2018 einfach gedeckelt. Es werden nur dann neue Autos zugelassen, wenn alte abgemeldet werden. Man muss es halt nur wollen.

(wst)