USA: Sicherheits-NGO warnt vor Hype selbstfahrender Autos

Das US-Parlament arbeitet an einer Öffnung der Schleusen für selbstfahrende Autos. Kritiker warnen vor zu viel Optimismus: Die Branche mache "unbegründete und übertriebene Vorhersagen" über die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit der autonomen Kfz.

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Weißer Van mit LIDAR

Ein von Waymo aufgerüsteter Chrysler MInivan auf einer Testfahrt in Los Altos, Kalifornien

(Bild: Dllu CC BY-SA 4.0)

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Während das US-Parlament die Verbreitung selbstfahrender Autos beschleunigen will, ruft die Organisation Advocates for Highway and Auto Safety (etwa: Verfechter von Straßen- und Auto-Sicherheit) nach einer Entschleunigung. In einem offenen Brief warnt sie US-Senatoren davor, die Versprechungen der Autoindustrie für bare Münze zu nehmen. Aktuelle Gesetzesvorhaben würden nicht für mehr, sondern für weniger Sicherheit auf den Straßen sorgen.

Vom vernetzten zum autonomen Auto

"Unbegründete und übertriebene Vorhersagen über die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit fahrerloser Technik treiben eine Gesetzgebung voran, die das gegenwärtige Regulierungssystem seiner angemessenen Zuständigkeit und Aufsichtsfunktion beraubt", schreibt die Organisation an die führenden Senatoren beider Parteien, "und damit jedermanns Sicherheit gefährdet – sowohl von motorisierten als auch nicht-motorisierten" Verkehrsteilnehmern. Die bei der Gesetzesreform an den Tag gelegte Eile sei nicht notwendig, zumal die Branche selbst davon ausgehe, dass vollständig autonome Fahrzeuge (Level 5 nach SAE) nicht vor 2030 auf den Markt kommen werden.

Die Entwickler selbstfahrender Autos treiben US-Bundespolitiker seit Jahren zur Eile an: Gefordert werden neue, einheitliche Bestimmungen für die gesamten Vereinigten Staaten. Selbstfahrende Autos sollen statt zu Tausenden zu Hunderttausenden oder Millionen auf öffentlichen Straßen fahren dürfen. Gleichzeitig sollen sie von zahlreichen Sicherheitsvorschriften ausgenommen werden.

Aus Sicht der Branche behindern die bestehenden Regeln die technische Entwicklung. Und je eher zahlreiche selbstfahrende Autos unterwegs seien, umso eher würden von Menschen verursachte Unfälle verhindert und Menschenleben gerettet, lautet das Argument.

Das Repräsentantenhaus hat bereits ein einschlägiges Gesetz, den Self Drive Act, beschlossen. Die Zustimmung des Senats steht noch aus. Dort wird ein ähnlicher, aber nicht identischer Antrag für ein Gesetz zum "AV START" behandelt. Er wird von Senatoren beider Parteien unterstützt, hat also gute Chancen, angenommen zu werden. Anschließend müssten sich beide Kammern noch auf einen gemeinsamen Text einigen, der dann dem US-Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden würde.

"Die Gesetzesanträge versuchen ein 'Problem' zu lösen, das es nicht gibt", meinen allerdings die Advocates for Highway and Auto Safety, "Die Vermarktung fahrerloser Autos wird nicht durch regulatorische Umstände behindert. Vielmehr steht die Branche der komplexen Herausforderung, fahrerlose Technik zu entwickeln und unzählige Betriebsprobleme zu lösen, gegenüber." Dazu zählten unter anderem Wetter, Ampeln und IT-Sicherheit, Tödliche Gefahr gehe zudem von mangelhafter Erkennung von Radfahrern aus.

"Den öffentlichen Verkauf unerprobter autonomer Technik zu erlauben und Herstellern umfassende, gefährliche Ausnahmen von bestehenden Sicherheitsstandards zu gewähren, wird desaströse Konsequenzen für die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Akzeptanz fahrerloser Auto haben", warnt die NGO. Sie ist ein Zusammenschluss von Verbraucherschützern, Medizinern und Vertretern der Versicherungsbranche.

Mit dem Gesetz "AV START" soll der Verkauf Millionen selbstfahrender Autos an Endverbraucher erlaubt werden. Derzeit liegt das Limit bei 2500 Fahrzeugen pro Jahr und Hersteller, zuzüglich zu Testfahrzeugen. Vor einer Anhebung des Limits sei noch mehr Entwicklungs- und Testarbeit zu leisten, meint die NGO.

Eine Klausel, die Herstellern die Deaktivierung von Sicherheitssystemen über Funk gestattet, will die NGO komplett streichen. Solche Eingriffe sollten nur mit Genehmigung durch das Bundesverkehrsministerium zulässig sein.

Außerdem werden Mindestsicherheitsstandards für autonome Fahrzeuge gefordert sowie eine Pflicht der Information potenzieller Kunden über die Leistungsmerkmale und deren Grenzen. Zudem sei darauf zu achten, dass auch die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden.

Diese Werbeanimation musste Ford schleunig korrigieren: Das selbstfahrende Auto fährt durch den Fußgänger auf dem Zebrastreifen durch.

(Bild: Ford (Screenshot))

Pflichten zur Veröffentlichung regelmäßiger Sicherheitsberichte sowie zu Vorkehrungen gegen Hacking sollten auf Level-2-Fahrzeuge ausgedehnt werden. Derzeit sind solche Autos, worunter Teslas mit "Autopilot" fallen, nicht von diesen Bestimmungen erfasst.

Für die Bundesverkehrssicherheitsbehörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) werden mehr Budget, mehr Mitarbeiter und mehr Kompetenzen gewünscht. Und schließlich solle es Bundesstaaten und Kommunen weiterhin erlaubt sein, autonome Fahrsysteme zu regulieren – genau diesen Flickenteppich an Vorschriften aus der Welt zu schaffen ist aber ein zentrales Anliegen von Abgeordneten beider US-Parteien. (ds)