Meinung: Jetzt Autofirma werden

Die etablierten Autohersteller haben die Zeitenwende sehr wohl verstanden. Deshalb sind sie auch so nervös. Denn für Elektroautos braucht man sie nicht mehr.

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Von
  • Clemens Gleich
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Gleich ist Journalist und beobachtet die Autobranche seit Jahren.

Seit Jahren schreiben die Medien, die Digitalisierung werde den Automarkt radikal verändern. Oder das Elektroauto. Oder die jeweils aktuelle Krise. Wie die meisten monokausalen Argumentationen liegen in Wirklichkeit die Dinge etwas anders. Tatsächlich schält sich langsam heraus, wie sich der Automarkt gerade wirklich verändert.

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Es waren weder die Digitalisierung noch der Wechsel auf einen batterieelektrischen Antriebsstrang noch eine Krise jeweils allein. Nein, alle Faktoren zusammen mit modernen, dezentralen Fertigungsmethoden sorgen dafür, dass der Markt heute komplett anders aussieht als noch vor wenigen Jahren. So viele neue Hersteller aller Größen gab es seit der kambrischen Explosion britischer Roadster nicht mehr, und was wir bisher sahen, war nur ein Anfang.

Das jüngste und vielleicht anschaulichste Beispiel dafür ist die mit Staubsaugern bekannt gewordene Firma Dyson. Auch sie will ein Elektroauto bauen. Kompetenz in Elektromotoren hat sie bereits, das Start-up Sakti3 mit seinen Feststoffbatterien hat das Unternehmen jüngst zugekauft. Aber auch die TU München will mitmischen: Sie baut mit dem aCar ein robustes kleines Allradauto, das in Afrika nicht nur eingesetzt werden, sondern auch mit geringen Investitionen vor Ort in Handarbeit gefertigt werden kann.

Die DHL kaufte den elektrischen Lieferwagenhersteller StreetScooter, der an der RWTH Aachen entstand, und baut seitdem einen Teil ihrer Lieferfahrzeuge selbst. Demselben Umfeld entspringt auch die Firma e.Go Mobile AG, die günstige Elektro-Zweisitzer anbietet, die sich stark an den ständig eingeholten Kundenwünschen orientieren. Das Münchner Start-up Sono beklebt sein erstes E-Auto Sion mit Solarzellen, filtert die Innenraumluft mit Moos und gibt dem Wagen die flexibelste Lade-Entlade-Einheit aller Hersteller.

Er kann zum Beispiel ein anderes Elektroauto mit bis zu 7,6 Kilowatt laden. Das schwedische Start-up Uniti baut einen coolen Flügeltüren-Gleiter mit zwei oder drei Sitzen. Und so weiter und so fort. So sieht eine Branche aus, die frische Morgenluft wittert.

Alle Teile, vom Antrieb bis zur Karosserie, kann sich so ein neuer Hersteller zuliefern lassen und dann auf seine so zusammengestellte Plattform sein eigenes Digitalisierungskonzept setzen. Natürlich ginge dasselbe auch mit einem Verbrenner-antrieb. BRP-Rotax baut interessante Ein- bis Dreizylinder für kleine Fahrzeuge. Einen banalen Vierzylinder gibt es an jeder Ecke.

Dann wird dem jungen Autohersteller jedoch schnell klar, warum fast alle guten Verbrennungs-Automotoren von Autoherstellern kommen: Die komplexen Maschinen fordern einige Erfahrung, sollen sie so problemlos funktionieren, wie Autokunden das gewohnt sind. Das gilt von der Software über Systemintegration und Testläufe bis hin zur Wartung bei den Händlern. Wer "Premium" will, muss eben doch wieder zu BMW gehen. Das Unternehmen verkauft kleinen Herstellern gern einen passenden V8-Motor, aber eben auch zu einem Premium-Preis.

Im Elektrozeitalter aber braucht BMW zumindest für diesen Zweck niemand mehr. Ein elektrischer Antrieb ist schlichtweg einfacher, flexibler und kompakter zu bauen. Das senkt eine Menge Schwellen erheblich. Für E-Autos gibt es komplette Achsantriebe mit Motor, Leistungselektronik und Differenzial.

Bald dürfte es ein halbes Dutzend Zulieferer geben, die so etwas jedem maßschneidern. Kein Anbieter braucht unbedingt eine aufwendige Wartungsinfrastruktur, weil die Kunden bei vorausschauender Konstruktion lediglich einmal im Jahr die Bremsflüssigkeit wechseln müssen, alle vier Jahre mal nach Getriebeöl und Kühlmittel schauen und ansonsten nur Verschleißteile wechseln.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie wichtig eine eigene Fertigung auf dem Automarkt der Zukunft sein wird. Und damit natürlich: Wie viele Menschen die deutschen Hersteller noch beschäftigen werden. Das Modell Apple ist durchaus denkbar – hat die Firma doch gezeigt, wie hoch die Gewinnmarge gänzlich ohne eigene Fertigung sein kann.

(bsc)