Automobile Fernbeziehung

Algorithmen hin, Sensoren her – bis autonome Autos völlig ohne menschliche Hilfe zurechtkommen, dürfte noch einige Zeit vergehen. Münchener Forscher arbeiten deshalb am „teleoperierten Fahren“. Von Modellautos kennt man es ja, aber wie fühlt es sich an, einen ausgewachsenen Wagen fernzusteuern?

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Ob ich es mal richtig krachen lassen soll? Ich nehme mir ein Herz und trete aufs Gas. Die Wege wirken plötzlich viel enger, vor allem in den Kurven. Ich denke an Johannes Feiler und lasse es bei elf Kilometern pro Stunde gut sein. Schließlich ist er es, der sich in diesem Moment mit einem Audi Q7 über den Garchinger Campus der TU München schaukeln lassen muss. Ich selbst sitze währenddessen rund hundert Meter entfernt an einer Art Fahrsimulator.

Abgesehen davon, dass ich gerade einen realen 2,5-Tonner über reale Straßen steuere, erinnert das Ganze an ein Videospiel. Tatsächlich stammen Lenkrad und Pedale vom Computerzubehör-Hersteller Logitech. Dazu kommen noch drei im Halbkreis aufgestellte 22-Zoll-Bildschirme, die mir ruckelnde Bilder von einer Front- und zwei Seitenkameras zeigen. Ich sehe ein Stück Motorhaube, aber wo genau das Auto aufhört und wie viel Platz noch bis zum Bordstein ist, kann ich allenfalls erahnen.

Der Projektverantwortliche Jean-Michael Georg, wie Feiler wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik, gibt mir einen Tipp: In einem weiteren Fenster laufen die Echtzeitbilder eines Lidarsensors an der vorderen Stoßstange, umgerechnet in die Vogelperspektive. Ich sehe ein blaues Viereck als Auto, drumherum die Hindernisse sowie zwei grüne Kurven, die zeigen, wohin das Auto mit dem aktuellen Lenkwinkel fahren würde. Tatsächlich komme ich mit diesem Hilfsmittel sehr viel eleganter um die Ecken als mit den Kamerabildern. „Es gab schon ein paar ziemlich starke Lenkausschläge“, erzählt mir Feiler später, „aber nichts Dramatisches.“ Und eingreifen musste er auch nicht.

Noch muss hierzulande aus Sicherheitsgründen immer jemand hinter dem Lenkrad sitzen. Doch für die Vision völlig unbemannter Taxis oder Shuttle-Busse ist die Forschung der Münchener ein wichtiger Zwischenschritt. Kalifornien hat Ende Februar bekannt gegeben, autonome Autos künftig auch völlig ohne Fahrer zuzulassen – wenn die Betreiber ihre Wagen jederzeit fernsteuern können. Andere US-Bundesstaaten sehen das zwar lockerer, aber durch seine Größe hat Kalifornien erheblichen Einfluss darauf, wohin die Reise geht.

Jean-Michael Georg glaubt, dass selbstfahrende Autos auf absehbare Zeit weder völlig ohne menschliche Hilfe auskommen werden noch auf jede beliebige Verkehrssituation reagieren können. Selbst wenn die Elektronik mit 99,9 Prozent der Fälle im Verkehr zurechtkommt, dürfte das verbliebene Zehntelprozent bei einer wachsenden Zahl von autonomen Autos zum Problem werden und Unfälle oder Staus verursachen – vor allem, wenn es sich um autonome Taxis oder Shuttle-Busse handelt, die gar kein Lenkrad mehr haben und zum Teil ohne Menschen an Bord umherfahren (Autonomie-Level 4 bis 5).

Jedes Mal, wenn ein solches Fahrzeug seine „Systemgrenze“ erreicht, könnte sich ein Teleoperator einklinken und den Wagen manuell wieder ins vertraute Fahrwasser bugsieren. Zum Beispiel, wenn die eigene Fahrspur zugeparkt ist und der Algorithmus sich weigert, über eine durchgezogene Mittellinie zu fahren. Oder für die letzte Meile durch dichten Stadtverkehr, für den das System nicht ausgelegt ist. Auch ein teleoperierter Parkservice ist denkbar.

Den Forschern der TU München schwebt noch ein weiteres Szenario vor – für das autonome Fahren auf „Level 3“, wie es einige Hersteller schon anbieten. Der Fahrer kann sich dabei im Prinzip zurücklehnen und die Elektronik fahren lassen. Zur Not muss er aber immer noch innerhalb einer bestimmten Zeitspanne eingreifen können. Doch die ständige Überwachung der Elektronik dürfte anstrengender und langweiliger sein, als selbst zu fahren. Und wenn es weder möglich ist, in Ruhe seine E-Mails zu beantworten noch ein Nickerchen zu machen, wozu soll ein Autopilot dann gut sein? Die Level-3-Phase könnte sich also als Tal der Tränen auf dem Weg zum vollautonomen Auto erweisen. Es sei denn, ein Teleoperator kann zur Not die Kontrolle übernehmen.

(grh)