Heizen statt abschalten

Ein lange verfemtes Konzept erlebt mit der Energiewende eine Renaissance: Statt Windräder bei Netzengpässen abzuregeln, soll ihr Strom Gebäude heizen. Früher war es Verschwendung, künftig dürfte es sinnvoll sein.

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Von
  • Ralph Diermann
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Wenn ein schnöder Tauchsieder zu einem Schlüssel für die Energiewende werden soll, gibt es eigentlich nur zwei Deutungsmöglichkeiten: Entweder pfeift die Umstellung auf erneuerbare Energien aus dem letzten Loch. Oder der Tauchsieder ist nicht so schnöde, wie er klingt.

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Für den Block C des Kraftwerks Reuter in Berlin gilt Letzteres: Wenn der Tauchsieder dort eingesetzt wird, dürfte es sich um einen der größten im weltweiten Kraftwerksbereich handeln. Vor allem aber steht er für ein Konzept, ohne das der Weg in die CO2-arme Wirtschaft kaum möglich wird: Strom in großem Umfang in Wärme zu verwandeln.

Seit 1969 versorgt das Kraftwerk Reuter Berlin mit Fernwärme. Bisher wurde sie mit Steinkohle erzeugt und war lediglich ein Nebenprodukt der Stromproduktion. Nun wird der Kohlekessel unter anderem durch einen elektrischen Durchlauferhitzer ersetzt. Wie ein riesiger Tauchsieder erzeugt die Anlage dann ausschließlich Heizwärme mit einer Leistung von 120 Megawatt – das entspricht rund 60.000 handelsüblichen Wasserkochern.

Ausgerechnet Strom? Angesichts des hohen Kohleanteils im Strommix gilt es eigentlich als Umweltfrevel, elektrisch zu heizen. Doch die sogenannte "Power-to-Heat"-Anlage in Berlin ist anders konzipiert: Betreiber Vattenfall will sie nicht im Dauerbetrieb laufen lassen, sondern nur dann, wenn gerade viel Windstrom zur Verfügung steht. Damit werde die Fernwärme klimafreundlicher, so der Versorger. Vor allem aber soll die Anlage helfen, die Windkraft besser ins Energiesystem einzubinden. Kommt es nämlich bei starkem Wind und geringer Stromnachfrage zu Netzengpässen, müssen Windräder häufig abgeregelt werden – eine Situation, die mit dem weiteren Ausbau der Windkraft immer öfter auftreten könnte. Power-to-Heat-Anlagen mindern in solchen Fällen den Druck auf die Netze, indem sie den Strombedarf erhöhen.

Das wirtschaftliche Kalkül von Vattenfall: Bei großen Einspeisemengen und geringer Nachfrage sinken die Preise an der Strombörse. Damit könnte sich das Heizen mit elektrischer Energie schnell lohnen. Gut zwei Dutzend Power-to-Heat-Anlagen nutzen das Konzept in Deutschland bereits, sie sind allesamt jedoch um ein Vielfaches kleiner als das Großprojekt von Vattenfall.

Genug Grünstrom gibt es schon jetzt: 2016 wurden etwa drei Terawattstunden abgeregelt, um die Netze nicht zu überlasten. Langfristig könnten bis zu zehn Terawattstunden in die Wärmeversorgung fließen, wie Berechnungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) für das Jahr 2050 zeigen – vorausgesetzt, mehr als die Hälfte des heimischen Wärmebedarfs wird durch Wärmenetze gedeckt. Um den überschüssigen Strom sinnvoll zu nutzen, eignen sich aber nicht nur große Power-to-Heat-Anlagen wie das Vattenfall-Projekt. Zwei weitere Varianten sind ebenfalls möglich:

- Blockheizkraftwerke (BHKW): Sie produzieren neben Strom auch Fernwärme und wären laut DLR etwa in gleichem Maße in der Lage, Abregelungen zu vermeiden. "Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie nicht abhängig vom Wärmebedarf, sondern stromgeführt betrieben werden", sagt Hans Christian Gils vom Institut für Technische Thermodynamik des DLR. Das bedeutet: Drängt viel Windstrom in die Netze oder ist die Nachfrage nach Strom gering, werden die Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) gedrosselt; kommt eine Flaute oder steigt der Bedarf, werden sie wieder hochgefahren. In Dänemark – wo der Anteil der Windenergie am Strommix bereits bei vierzig Prozent liegt – wird dieses Instrument bereits intensiv genutzt. Entscheidend dafür ist ein ausgedehntes Fernwärmenetz: In Dänemark ist fast jedes Gebäude innerhalb geschlossener Siedlungen an ein Wärmenetz angeschlossen. In Deutschland hingegen heizen nur 14 Prozent aller Haushalte auf diese Weise.

- Strombetriebene Wärmepumpen: Jeder dritte Neubau wird mittlerweile damit ausgestattet. "Technisch ist eine vom Stromangebot abhängige Steuerung der Wärmepumpen überhaupt kein Problem", erklärt Juri Horst, Leiter des Arbeitsfelds Energiemärkte beim Saarbrücker Forschungsinstitut izes. "Schon heute haben viele Versorger Zugriff auf Wärmepumpen ihrer Kunden. Sie nutzen diese Möglichkeit bloß noch nicht." Unter anderem, weil sie dafür die Zustimmung der Kunden benötigen, die damit die Hoheit über ihre Heizungsanlage teilen würden.

Dabei sind mit dem Fernzugriff keine Komforteinbußen verbunden, wie ein Pilotprojekt des schwäbischen Versorgers LEW/Lechwerke zeigt. In einer Siedlung bei Augsburg hat das Unternehmen erprobt, wie sich Wärmepumpen und andere Verbraucher sowie Batteriespeicher so fernsteuern lassen, dass das lokale Stromnetz gleichmäßiger ausgelastet wird. Nach Angaben des Versorgers hätten die teilnehmenden Haushalte bei einer abschließenden Auswertung praktisch keine Klagen geäußert. Um vier bis sechs Terawattstunden könnte der Abregelbedarf laut DLR mithilfe von Wärmepumpen reduziert werden.

Ein Problem bleibt allerdings bestehen: Menschen wollen es auch dann warm haben, wenn draußen die Windräder gerade nicht auf Hochtouren laufen. Als Backup müssten also fossile Energieträger einspringen. Besser wäre es allerdings, Wärme so lange zu speichern, bis die Stromflaute vorbei ist. "Nur mit Speichern lässt sich das Potenzial von Power-to-Heat- und stromgeführten KWK-Anlagen voll ausschöpfen. Das zeigen die Erfahrungen aus Dänemark", sagt DLR-Forscher Gils. Die Speicher würden immer dann beladen, wenn gerade viel Windenergie in die Netze drängt oder die Stromnachfrage gering ist.

Vattenfall will dazu eine Art riesige wassergefüllte Thermoskanne im Netz installieren. Aber ebenso möglich sind kleinere Varianten in Gebäuden. In Kombination mit einer Wärmepumpe sind sie oft sogar schon vorhanden. So können Haushalte von den nächtlichen, günstigeren Tarifen ihrer Versorger profitieren. Ähnliches wäre auch für elektrische Nachtspeicherheizungen möglich, wie Pilotprojekte von RWE sowie den Stadtwerken Wunsiedel gezeigt haben.

Doch diese Konzepte reichen höchstens für ein paar Tage. Gerade im Winter kann es jedoch zu länger anhaltenden Dunkelflauten mit wolkenverhangenen, windstillen Tagen kommen. Einer der interessantesten Ansätze für Wärmespeicher ist daher eine Idee des Schweizer Forschungsinstituts Empa. Statt mit Wasser arbeiten die dortigen Forscher mit Natriumhydroxid. Die Chemikalie gibt Wärme ab, wenn sie mit Wasser in Kontakt gebracht wird. Dabei entsteht Natronlauge. Das Beladen des Speichers erfolgt auf umgekehrtem Weg: Wenn die Natronlauge erwärmt wird, verdampft das Wasser, es entsteht Natriumhydroxid – und der Kreislauf kann erneut beginnen.

"Während der Speicherdauer treten keinerlei Verluste auf", erklärt Empa-Forscher Benjamin Fumey. Um in einem Einfamilienhaus mehrere Wochen ohne Wind und Sonnenschein zu überbrücken, wären rund zwei Kubikmeter Natronlauge nötig. Der Speicher würde damit etwas größer ausfallen als ein herkömmlicher Wasserspeicher für Einfamilienhäuser. Zudem muss das System gut gesichert werden, da Natriumhydroxid stark ätzend ist.

Die Forscher werden ihre Technologie demnächst in einem Musterhaus des Instituts erproben. Gelingt der Test, steht dem Heizsystem der Zukunft eigentlich nur noch ein Hindernis im Weg: flexible Tarife, die überschüssigen Strom so billig machen, dass sich das Beladen der Speicher lohnt. Daran scheitern bisher sämtliche derartige Anlagen – vom BHKW-System bis zum Nachtspeicher.

(bsc)