Zwischen den Fronten

Was können Kommunen gegen Luftverschmutzung und Verkehrschaos unternehmen? Wir haben Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund und Verkehrsforscher Stephan Rammler gefragt.

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TR: Herr Landsberg, sind Sie erleichtert über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es relativ hohe Hürden für Fahrverbote gibt?

Landsberg: Ich bin nicht erleichtert, aber mit dem Urteil können wir, wenn auch nicht einfach, leben. In der öffentlichen Diskussion ist immer wieder der Eindruck erweckt worden, das Gericht habe flächendeckende Fahrverbote gefordert oder zugelassen. Tatsächlich aber hat es deutlich unterschieden zwischen zonalen und streckenbezogenen Verboten. Was wir jetzt in Hamburg erleben, ist nicht mehr als eine Umleitung. Ob sie etwas bringt, da habe ich große Zweifel.

Das Problem bleibt also bestehen: Die Luftschadstoffe überschreiten die Grenzwerte.

Landsberg: Das ist richtig, aber es wird in der Öffentlichkeit immer so getan, als sei gar nichts geschehen. Das stimmt nicht. Wir hatten ursprünglich 90 Städte mit Überschreitungen, jetzt haben wir 70 Städte, von denen 50 in diesem Jahr möglicherweise den Grenzwert einhalten werden. Dann bleiben nur noch 20 Städte. Ich sage nicht, dass das gut ist, ganz im Gegenteil. Aber es wird immer nur Schuld zugewiesen.

Würde eine blaue Plakette für moderne Diesel helfen?

Landsberg: Die blaue Plakette ist für Hunderttausende Autofahrer eine klare Enteignung, sie löst überhaupt kein Problem. Sie ist letztlich nichts anderes als ein Fahrverbot. Und wer soll es kontrollieren? Die Polizei sagt mit Recht: Wir haben andere Sorgen.

Rammler: Fahrverbote können nur das letzte Mittel der Verkehrspolitik sein. Die Städte brauchen keine Verbote oder Gerichtsurteile, sondern eine nationale Politik, die ihnen den Rücken stärkt. Das gilt auch für Europäische Union und Länder. Die Ursachen haben mit der unregulierten Verkehrsnachfrage zu tun, mit E-Commerce und dem Konsumverhalten, mit den kriminellen Handlungen der deutschen Autoindustrie. Das sind die wirklichen Probleme, die aber woanders gelöst werden müssen.

Auf Bundesebene?

Rammler: Was ich gerade von der nationalen Politik erlebe, ist eine konzertierte Aktion mit der deutschen Autoindustrie, das Dieselthema im Sande versickern zu lassen. Die nationale Ebene hat viele, viele Jahre versagt bei der Regulierung der Automobiltechnologie entsprechend den tatsächlichen technologischen Innovationsmöglichkeiten. Wir wissen, dass Regulationen und Standards für Technologiedynamik sorgen. Das große Problem ist die Feigheit der nationalen Politik gegenüber der Autofahrernation gewesen. Und das wird jetzt runtergekocht auf die Kommunen.

Hat die Bundespolitik die Kommunen im Stich gelassen?

Landsberg: Ich fühle mich nicht im Stich gelassen, weil ich die Diesel-Gipfel mit der Kanzlerin gut fand: Da ist auch Geld geflossen.

Könnten die Städte und Kommunen nicht mehr tun als jetzt? Indem Sie die Verantwortung immer auf die obere Ebene abschieben, tun Sie ein bisschen so, als wäre die Kommunalpolitik nicht Teil des politischen Systems.

Landsberg: Das ist nicht so einfach, weil die Lage in jeder Stadt anders ist. Die Dinge sind so komplex, dass es die einfache Lösung nicht gibt. Sicher kann man sagen: Viele Städte hätten vielleicht früher mehr tun müssen. Aber das sind sehr dicke Bretter. Ich sage nicht, dass wir die nicht bohren müssen, nur können wir das nicht so schnell, wie alle sich das möglicherweise vorstellen.

Aber das Stickoxid-Problem ist doch schon seit 2008 bekannt.

Landsberg: Ja, aber es hat in der Vergangenheit nicht so die mediale und politische Öffentlichkeit erreicht wie jetzt.

Rammler: Sie als Journalisten wollen knackige Aussagen, während wir beide versuchen, mit Kräften dafür zu argumentieren, dass dieses Politikfeld so komplex ist, dass knackige Aussagen tunlichst zu vermeiden sind. Da kann man nicht sagen: Die und die sind schuld. Es ist ein Zusammenspiel über 50, 60, 70 Jahre. Entscheidungen, die aus der Logik der damaligen Situation heraus getroffen wurden, bestimmen die Spielräume für die Zukunft. Natürlich können wir uns schnell darauf einigen, dass vielleicht zu wenig getan wurde. Wenn es um die Gestaltung der urbanen Ballungsräume geht, dann haben die Kommunen in der Vergangenheit selber eine sehr automobilorientierte Politik betrieben. Das muss sich in meinen Augen ändern, und das ändert sich auch gerade. Und es braucht auf der kommunalen Ebene durchaus mehr experimentelle Bereitschaft und den Mut, seiner Stadtbevölkerung zu sagen: Das verbrennungsmotorische Auto ist nicht die beste aller Lösungen für die Zukunft.

Herr Landsberg, haben Sie den Mut?

Landsberg: Der Individualverkehr, wie wir ihn heute kennen, wird in den Städten keine Zukunft haben. Aber das zu sagen, müssen Sie sich erst mal trauen in der Kommunalpolitik. Über Jahrzehnte haben wir Städte für Autos gebaut, das war aber gesellschaftlicher Konsens. Nun wollen wir die Verkehrswende, also müssen wir die Menschen mitnehmen. Und nichts ist dem Deutschen ein größeres Schreckgespenst, als wenn er mit einem Auto, das er guten Gewissens gekauft hat und das er für umweltfreundlich hielt, nicht mehr hierhin und dorthin fahren darf.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 68 - Strategie: Bürgernähe statt Technikwahn

Seite 72 - Analyse: Vision und Realität am Beispiel dreier Pioniere

Seite 74 - Einzelhandel: Lokale Internetplattformen als Alternative zu Amazon und Co.

Seite 76 - Streitgespräch: Was tun gegen Luftverschmutzung und Verkehrschaos?

Seite 80 - Wohnungsbau: Nutzungsdichte statt Baudichte

(grh)