Der Kiffer ist König

Illegale Märkte im Darknet arbeiten verblüffend erfolgreich mit Händlerbewertungen, Moderatoren und Treuhandsystem – auch ohne bürgerliches Gesetz im Rücken. Kann der legale Online-Handel daraus lernen?

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Der Kiffer ist König

(Bild: Shutterstock)

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Der Kunde ist sauer. "Dieser Verkäufer ist ein Betrüger!", schreibt er im Internet. "Ich habe meine Bestellung nicht bekommen, und auch nach 24 Stunden hat er nicht auf meine Nachricht reagiert." Ein anderer Nutzer rät ihm zur Geduld: "Warte noch ein bisschen. Der Verkäufer ist sauber. Mich hat er nie betrogen." Aber auch ein zweiter Kunde klagt, weil er keine Lieferung bekommen hat. Nun bietet der Administrator seine Hilfe an: "Danke für den Hinweis. Der Verkäufer wird überprüft. Nach weiteren Untersuchungen können wir ihn innerhalb von 24 Stunden sperren."

Das klingt auf den ersten Blick wie ein typischer Dialog in den Kommentarspalten bei Amazon oder eBay. Aber in diesem Fall hat sich der Frust im Darknet entladen, jenem Teil des weltweiten Datennetzes, das anonyme, unzensierte und sichere Kommunikation ermöglicht – und damit auch Marktplätze für Drogen, Waffen und andere illegale Waren anzieht.

Ihr Marktanteil ist zwar noch klein, aber er wächst sehr dynamisch. Den Umsatz des globalen Drogenmarktes schätzt das UN-Büro für Drogenkriminalität 2015 auf 321 Milliarden Dollar. Lediglich 150 bis 180 Millionen davon entfielen auf das Darknet. Aber drei Jahre zuvor wurde der Umsatz des Marktplatzes Silk Road, der seinerzeit faktisch eine Monopolstellung innehatte, auf nur 22 Millionen Dollar geschätzt. Kriminologen, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler interessieren sich dafür, wie sich trotz fehlender staatlicher Regulierung ein offensichtlich gut funktionierender Handel etablieren konnte. Weil die Darknet-Märkte völlig jenseits staatlicher Regulierung operieren, sind sie eine Art ökonomisches Labor für eine Laisser-faire-Wirtschaft.

TR 04/2018

(Bild: 

Technology Review 04/2018

)

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 04/2018 der Technology Review. Das Heft ist ab 22.03.2018 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

In puncto Nutzerfreundlichkeit und Kundenservice stehen die Cryptomarkets ihren legalen Pendants jedenfalls kaum nach. Die Angebote sind fein säuberlich nach Kategorien geordnet ("Cannabis", "Ecstasy", "Psychedelics") und oft sogar bebildert. Und die Qualität der angebotenen Waren ist hoch. Der Mediziner Fernando Caudevilla aus Madrid, der mit der Organisation Asociación Bienestar y Desarrollo Drogenkonsumenten berät, veröffentlichte 2016 im "International Journal on Drug Policy" die Ergebnisse einer Stichprobenstudie: Von 219 Proben, die anonyme Käufer bei ihm und seinen Kollegen abgegeben hatten, entsprachen 91 Prozent tatsächlich der Werbung und wiesen einen "hohen Reinheitsgrad" auf.

"Cryptomarkets nutzen viele der Werbetechniken, die man vom legalen Handel kennt", sagt Emily Wilson, Chefanalystin beim IT-Sicherheitsspezialisten Terbium Labs. "Werbung, Rückerstattungen und Holiday Specials funktionieren in der realen Welt – und sie funktionieren auch im Dark Web." Wenn es zum Streit kommt, greifen ähnliche Mechanismen zur Konfliktlösung, die man ebenfalls aus dem klassischen Online-Handel kennt. Vergleichbar wie bei Amazon oder eBay können Kunden beispielsweise nach einem Kauf eine Bewertung abgeben, die sich auf die Reputation des Händlers auswirkt – und damit auf die Preise, die er erzielen kann. Nick Janetos von der University of Pennsylvania und Kollegen haben beispielsweise ermittelt, dass ein Verkäufer mit vielen Bewertungen und hoher Reputation im Schnitt 20 Prozent höhere Preise erzielen kann.

Daneben sorgt ein Treuhandsystem für die Einhaltung der Spielregeln. In der Regel wandern die Bitcoins nicht direkt an den Verkäufer, sondern zuerst in die elektronische Geldbörse des Cryptomarkets. Erst wenn der Käufer den Erhalt der Ware bestätigt, wird das Geld an den Lieferanten freigegeben. "Cryptomarkets übernehmen einige der Rollen, die staatliche Behörden auf legalen Märkten ausfüllen", bestätigt Judith Aldridge von der University of Manchester, die seit Jahren Drogenmärkte erforscht. Haben die radikalen Libertären vom Schlage eines Peter Thiel also recht? Braucht es gar keinen staatlichen Rahmen, um Märkte florieren zu lassen – unabhängig davon, ob die Ware legal oder illegal ist?

Ganz so heil, wie es zunächst scheint, ist die Welt der Online-Schwarzmärkte jedoch nicht. Die Anonymität erlaubt es beispielsweise einem gesperrten Händler, sofort unter neuem Alias wieder aktiv zu werden. Und Marktbetreiber oder Treuhänder erliegen immer wieder der Versuchung, sich mit dem hinterlegten Geld der Käufer aus dem Staub zu machen. Bei einem der berühmtesten dieser "Exit Scams" erbeuteten die Betreiber des Cryptomarkets Evolution im Jahr 2015 rund zwölf Millionen Dollar in Bitcoins.

Im Oktober 2017 haben zudem DDoS-Attacken (Distributed Denial of Service) zahlreiche Plattformen wie Dream Market, Wall Street oder Trade Route tagelang lahmgelegt. Viele Nutzer der Märkte vermuteten die Polizei hinter den Attacken, was zunächst auch plausibel erschien. Hatten die US-Justizbehörden doch im Sommer den Marktplatz AlphaBay und Europol das Pendant Hansa unter ihre Kontrolle gebracht.

Vieles spricht aber dagegen, dass Ermittlungsbehörden hinter den DDoS-Attacken stecken – denn warum sollten sie die Märkte lahmlegen, statt sie still und leise zu kapern, um an Kunden und Betreiber heranzukommen? Wahrscheinlicher ist es darum, dass konkurrierende Kriminelle die Attacken gestartet haben, um ein größeres Stück vom Kuchen abzubekommen. Scharenweise flohen die Nutzer daraufhin zu den Konkurrenten Dream Market und Trade Route – bis diese Wochen später durch die DDoS-Attacken ausgeschaltet wurden. Nachdem durch Leaks öffentlich wurde, dass ein anonymer Hacker bei Trade Route sensible Daten gestohlen hatte, die er nur gegen ein hohes Lösegeld wieder löschen wollte, zogen die Trade-Route-Betreiber die Notbremse und machten sich mit dem Geld ihrer Kunden auf und davon.

Solchen Problemen lässt sich im Darknet durchaus Herr werden. OpenBazaar beispielsweise ist ein Peer-to-Peer-Markt. Die Software läuft nicht auf zentralen Servern, sondern nur auf den Rechnern ihrer Nutzer. Entsprechend wenig Angriffspunkte bietet sie Hackern und Ermittlern, DDoS-Attacken und Exit Scams. Ähnlich wie bei klassischen Cryptomarkets lässt sich auch hier das Sortiment mit einer Suchmaschine durchforsten und mit Bitcoins bezahlen. Drogen sind ebenfalls im Angebot. die Darknet-Community zeigt wenig Lust auf Veränderungen.

Die meisten Verkäufer sind ihren Marktplätzen dennoch treu geblieben, sagt Terbium-Analystin Emily Wilson. "Denn dort müssen sie sich nicht selbst um den Betrieb und die Sicherheit der Handelsplattform kümmern." Die Käufer haben ebenfalls wenig Interesse am Peer-to-Peer-Modell, denn dort fehlen Moderatoren oder Bewertungssysteme, die für einen fairen Handel sorgen. "Eine Handvoll der etablierten Märkte ist immer noch in Betrieb", berichtet Wilson. "Es sind auch einige neue Märkte entstanden, oder kleinere Märkte wie Zion wurden wichtiger."

Auch gefälschte Bewertungen ließen sich technisch längst unterbinden. Kyle Soska von der Carnegie Mellon University und Albert Kwon vom Massachusetts Institute of Technology haben mit Beaver bereits 2016 ein System vorgestellt, das Bewertungen von Händlern mit einer Blockchain absichert. Es ist bis heute nicht im Einsatz. Die Darknet-Community ist also keineswegs ein technischer Vorreiter, sondern sogar überraschend innovationsfaul.

Ein treffliches Beispiel dafür ist der Versand. Immer wieder landen Schwarzmarkt-Päckchen in den Fängen von Zoll und Drogenfahndung. Mitte 2017 stellten kanadische Software-Entwickler mit Lelantos ein System für die anonyme und sichere Auslieferung von Paketen vor. Diese laufen über mehrere Lieferdienste nacheinander. In jeder Schicht sind nur der jeweils aktuelle Sender und Empfänger bekannt. Vernetzt und kontrolliert wird die gesamte Lieferkette über "Smart Contracts"-Verträge auf der Basis der Blockchain-Variante Ethereum. Obwohl das System sogar experimentell getestet wurde, hat es bis heute niemand implementiert.

Einzig in Sachen Bezahlung gibt es ein paar Neuerungen: Um ihre kriminellen Bitcoins zu "waschen", also ins legale Finanzsystem zu schleusen, wechseln Händler sie über Tauschbörsen in Euro oder Dollar oder kaufen in Online-Spielen Gegenstände, die sie dann schnell weiterverkaufen. Zudem entstehen immer wieder neue "Mixer"-Dienste, die Coins verschiedener Besitzer mischen, auszahlen und damit die Geldflüsse verschleiern. Auch Bitcoin-Nachfolger wie Zcash, Monero oder Dash werden verstärkt auf den Darknet-Marktplätzen genutzt.

Ein Vorbild für den legalen E-Commerce ist die Darknet-Ökonomie damit aber noch lange nicht. "Der Einfluss findet eher in umgekehrter Richtung statt", sagt die Kriminologin Judith Aldridge. Das funktioniert unter anderem deshalb so gut, weil die Cryptomarkets mit den "normalen" Drogenmärkten des organisierten Verbrechens wenig zu tun haben. Ein Indiz dafür liefert die geografische Verteilung des Darknet-Drogenhandels. Wie Martin Dittus und seine Kollegen vom Oxford Internet Institute herausgefunden haben, befinden sich die größten Märkte in den USA, Großbritannien, Australien, Deutschland und den Niederlanden. "Der Darknet-Handel konzentriert sich bei einer kleinen Zahl sehr aktiver Länder auf die ,letzte Meile'", schreiben die Wissenschaftler. "Die Händler sitzen eher an den Orten des höchsten Konsums als bei den Produzenten."

Meropi Tzanetakis von der Universität Oslo stützt den Befund. Die Kundschaft der Darknet-Plattformen sei zu 80 Prozent männlich, gut ausgebildet, technikaffin, Mitte bis Ende 20 und Gelegenheitskonsument, schreibt sie in einer aktuellen Untersuchung. Wenig Zugang hätten hingegen Menschen mit einem "problematischen oder abhängigen Konsumverhalten", die nicht mehrere Tage auf die Drogenlieferung warten können – oder die nicht über die nötigen technischen und finanziellen Ressourcen sowie digitale Kompetenz verfügen. "Das ist ein sehr kleines Ökosystem, sodass sich viele der Mechanismen nicht skalieren lassen", sagt Darknet-Expertin Wilson. "Auf Anfragen zu reagieren ist viel einfacher, wenn man nur 15 oder 50 Kunden hat. Diesen personalisierten Service kann man bei Millionen von Kunden kaum aufrechterhalten."

(wst)