Das Genom vergibt Noten

Eine DNA-Analyse von über einer Million Menschen zeigt Korrelationen zwischen bestimmten Genen und der Anzahl der absolvierten Schuljahre.

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Steckt der Schulerfolg in den Genen?

(Bild: "School's out forever" / C.P.Storm / cc-by-2.0)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

Die bislang größte genetische Studie im Bereich der menschlichen Kognition hat über 1000 mögliche Verbindungen zwischen der Genausstattung einer Person und ihrem Schulerfolg gefunden – konkret, wie weit sie oder er im Bildungssystem kommt.

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Bei der Studie wurde die DNA von 1,1 Millionen Menschen analysiert. Forscher aus 40 Institutionen waren beteiligt. Sie entwickelten ein Scoring-System, mit dem sich anhand der Gene eine zumindest grobe Voraussage machen ließ, wie gebildet ein Mensch ist.

Diejenigen mit der geringsten genetischen Punktzahl hatten eine nur zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, einen Uniabschluss erreicht zu haben. Beim höchsten Quintil sah es ganz anders aus: Hier lag der Wert bei 50 Prozent.

Es ist nicht überraschend, dass Schulerfolg zumindest teilweise von den Genen bestimmt ist. Untersuchungen von identischen Zwillingen, die an verschiedenen Orten groß wurden, zeigen so zum Beispiel erstaunliche Ähnlichkeiten. Doch bis vor kurzem fehlten der Forschung noch die notwendigen Werkzeuge, jene Gene aufzufinden, die das menschliche Verhalten beeinflussen.

Geändert hat sich mittlerweile, dass Forscher deutlich größere Personengruppen untersuchen können. Dies erlaubt ihnen, sich winzige Unterschiede im Genom anzusehen und wie diese miteinander agieren. So lässt sich zumindest teilweise erklären, warum eine Person besonders groß ist und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ausfällt, eine häufige Krankheit – etwa Diabetes – zu erleiden. Sogar das Kognitionsniveau ist bestimmbar.

"Die neue Studie wird Markstein sein für diese neue Art der Sozialwissenschaften", meint Eric Turkheimer, Psychologe an der University of Virginia, der die Untersuchung kennt. "Es ist eine sehr erfolgreiche Anwendung neuer genetischer Techniken, die außergewöhnlich ist."

Die nun entdeckten und mit Bildung in Verbindung stehenden Gene könnten es Forschern erlauben, "Fragen zu stellen, wie individuelle Gene zu den biologischen Abläufen beitragen, die Gehirn und Lernfähigkeit bestimmen".

Die Studie, die versucht, DNA mit Bildung zu korrelieren, gehört zu den ersten ihrer Art, bei der die Gene von mehr als einer Million Menschen gleichzeitig überprüft werden. Sie enthält unter anderem mehr als 400.000 DNA-Profile, die in Großbritannien im Rahmen des nationalen UK-Biobank-Projekts gesammelt wurden. Weitere 365.536 Datensätze stammen von 23andMe, einer Firma aus San Francisco, die Gentests für Endkunden offeriert.

Einige Forscher sagen, dass die neuen Erkenntnisse zum Lernpotenzial von Kindern aus ihrer DNA eine Form neuartiger genetischer Intelligenztests erlauben könnte. Mit diesen könnten Eltern oder Schulen dann besonders förderungswürdige Schüler auffinden – oder zumindest feststellen, warum einige Probleme haben.

Die Autoren halten allerdings extrem wenig davon, wie sie im Internet schreiben. Das Scoring-System sei ein wissenschaftliches Werkzeug – nicht mehr. "Jede praktische Anwendung dieser oder ähnlicher Studien – durch Einzelpersonen oder die Politik – wäre extrem verfrüht und lässt sich durch die Forschung auch nicht belegen."

Laut Daniel Benjamin, einem Verhaltensökonomen an der University of Southern California, der zu den Hauptautoren der Studie zählt, betont zudem, dass die Vorhersagemodelle noch viel zu unzuverlässig seien, als das man sie auf einzelne Personen anwenden könnte. Die genetischen Varianten, die er und seine Kollegen gemessen haben, könnten zudem nur rund 11 Prozent der Variabilität zwischen einzelnen Personen in Sachen Bildungserfolg erklären.

"Bis dieser Wert besser ist und wir die auslösenden Faktoren verstehen, habe ich ein ziemlich flaues Gefühl, die Methodik zur Vorhersage individueller Resultate zu verwenden", sagt Benjamin. Es müsse noch viel mehr Arbeit geleistet werden, "bis wir uns überhaupt darüber unterhalten können, das Verfahren derart einzusetzen".

Dennoch ist die DNA bereits jetzt ein besseres Vorhersagewerkzeug für die Frage, wie lange eine Person in der Schule bleibt, als die Tatsache, ob eine Person in einem reichen oder armen Haushalt aufwächst. Fast so gut ist das Verfahren, um vorherzusagen, wie hoch das Bildungsniveau der Eltern ist.

Wie genau Gene die Tendenz zu mehr oder weniger Bildungserfolg bestimmen, ist noch völlig unklar. Sie könnte auch aus den Auswirkungen anderer Eigenschaften, etwa Pflichtbewusstsein, Intelligenz oder sogar Körpermasse resultieren. Die Effekte der Genausstattung haben zudem viel mit ihrem sozialen Kontext zu tun. In einer Gesellschaft ohne funktionierendes Schulsystem kann die DNA beispielsweise kaum etwas über das später erreichte Bildungsniveau aussagen.

"Das sind keine Gene, die überall den gleichen Effekt haben", sagt Turkheimer. "Stattdessen beeinflussen sie das Endergebnis auf subtile, mit dem Kontext in Verbindung stehende Art und Weise, die sich schwer nachverfolgen lässt." Die Effekte könnten daher nur in enormen Testpopulationen erkannt werden.

(bsc)