Der gordische Verkehrsknoten

Verglichen mit der Komplexität des Verkehrs war die Energiewende eine Fingerübung. Doch Maßnahmen gegen Stau, Lärm und Luftverschmutzung können auch ganz einfach sein.

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Der gordische Verkehrsknoten

Der US-Technik-Pionier Elon Musk will kleinbusähnliche Shuttles durch Tunnels sausen lassen, um das Stauproblem in Städten zu lösen.

(Bild: Rendering:  Boring Company)

Lesezeit: 4 Min.

Wo soll man bloß anfangen? Bei der Luft, bei den Staus, bei den Unfällen, beim Lärm, beim Flächenverbrauch? Von welcher Seite man sich dem Thema Mobilität auch nähert, stets verheddert man sich in einem Knäuel aus Abhängigkeiten und Nebenwirkungen. Wer etwa den Autoverkehr mit einer grünen Wellen beschleunigen will, muss damit rechnen, weitere Autos anzulocken. Und wer darüber nachdenkt, wie sich der Verkehr generell reduzieren ließe, erkennt schnell, dass die Ursache jenseits des Verkehrssektors liegt: Viele Menschen arbeiten im Zentrum, wohnen aber in Vorstadtsiedlungen.

Um diesen gordischen Knoten zu zerschlagen, müssten sich Bund, Länder, Kommunen, Verkehrsbetriebe, Autohersteller, Softwarefirmen, Umweltverbände, Immobilienentwickler und Bürger eigentlich zusammensetzen und so etwas wie einen Masterplan entwickeln (siehe TR 7/2018, S. 76). „Zurzeit sind wir von einem solchen Entscheidungsprozess jedoch meilenweit entfernt, da Populismus und Halbwahrheiten den Status quo glorifizieren und für die Allgemeinheit sinnvolle Anpassungen bereits im Keim ersticken“, schreibt Verkehrsforscher Martin Randelhoff (zukunft-mobilitaet.net).

Mangels Konzept schießen die Städte nun oft aus der Hüfte. Hamburg etwa erlässt für ältere Diesel Fahrverbote auf bestimmten Strecken, was vielleicht die Luftwerte an einzelnen Messstationen verbessert, in Summe aber zu noch mehr Verkehr führt, weil die Leute Umwege fahren. Doch gibt es wirklich keine Maßnahmen, die relativ kurzfristig wirken, ohne gleich einen ganzen Rattenschwanz an unerwünschten Nebenwirkungen nach sich zu ziehen?

Martin Randelhoff hat zehn Ansätze miteinander verglichen (siehe Tabelle S. 68). Die schlechte Nachricht: Keine Maßnahme konnte in allen Bereichen punkten. Die gute: Einige von ihnen sind trotzdem relativ einfach umzusetzen und wirksam.

Die meisten Fliegen mit einer Klappe schlagen würde eine „Verbesserung der Raumordnung“ – also unter anderem die stärkere Durchmischung von Wohn- und Gewerbesiedlungen oder die Nachverdichtung der Städte, etwa durch die Bebauung von Brachen oder die Aufstockung von Gebäuden. Dadurch müssten die Menschen nicht mehr so weite Strecken zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen oder zur Schule zurücklegen. Und Verkehr, der gar nicht erst entsteht, hat keinerlei Nebenwirkungen. Will man ganze Städte auf diese Weise umbauen, wird es allerdings teuer und langwierig.

Oft würde es schon helfen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. „Bei jeder raumwirksamen Entscheidung in der kommunalen Planung sollten die Wechselwirkungen auf die Verkehrsströme bedacht werden“, wie Randelhoff schreibt. Im Moment ist davon wenig zu sehen: Im Süden Hannovers etwa, auf einem ehemaligen Industriegelände von Continental, beginnt gerade der Bau der „Wasserstadt Limmer“ für mehrere Tausend Menschen. Die Entscheidung dazu fiel 2003. Noch immer aber streiten sich Region und Stadt Hannover darüber, ob die neue Siedlung per Bahn oder per Bus angebunden werden soll. Ein anderes Beispiel ist die Gemeinde Poing nahe München. Sie hat ihre Einwohnerzahl in den letzten 25 Jahren glatt verdoppelt, weil die hohen Mieten in München die Menschen ins Umland getrieben haben. Trotzdem ist die S-Bahn-Anbindung immer noch auf dem Stand von 1972, wie die ARD-Reportage „Mit Vollgas in den Verkehrskollaps“ Ende Juli berichtete.

Wenn die Städte und ihre Verkehrsgesellschaften nicht flexibel genug auf neue Anforderungen reagieren, werden private Anbieter die Lücke füllen – und zwar auf eine Weise, die den Städten kaum gefallen dürfte. Besonders eindrücklich zeigen dies die vielen Sharing-Angebote, die deutsche Städte erobern wollen. Sie sollen in der Theorie den Verzicht auf das eigene Auto erleichtern und die Menschen dadurch dem ÖPNV in die Arme treiben. In der Praxis drohen sie hingegen, den öffentlichen Verkehr zu kannibalisieren.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 66 - Neustart: Die Verkehrswende kann einfach sein – wenn man sie wirklich will

Seite 72 - E-Roller: In US-Städten tobt ein Kampf um die Scooter-Vermietung

Seite 74 - Trends: Exotische Vehikel für die Kurzstrecke

Seite 76 - Drohnen: Transportunternehmen testen den Luftweg

Seite 78 - ÖPNV: Eine bessere Vernetzung soll Reisen bequemer machen

Seite 79 - Essay: Freie Fahrt für freie Maschinen

Seite 80 - Lufttaxis: Die ersten Kleinflieger werden marktreif

Seite 82 - Auto-Apps: Eine einheitliche Schnittstelle erleichtert digitale Dienste rund ums Fahrzeug

(grh)