Regieren mit Orwell

In schönster Doppeldenk-Manier setzt das Kabinett die Gesetze der Logik außer Kraft: Der Stickoxid-Grenzwert soll gleichzeitig gelten und nicht gelten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.

In ihren immer verzweifelter anmutenden Versuchen, etwas gegen Dieselfahrverbote zu unternehmen, hat die Bundesregierung nun einen neuen Verbündeten entdeckt: George Orwell, genauer gesagt das von ihm ersonnene „Doppeldenk“. Die Wikipedia definiert es als „Denken, bei dem zwei widersprüchliche oder sich gegenseitig ausschließende Überzeugungen aufrechtzuerhalten und beide zu akzeptieren sind.“ Damit setze „die herrschende Kaste die Gesetze der Logik außer Kraft“.

Die Pressemeldung des Bundesumweltministeriums zur „Novelle des 13. BimSchG“ strotzt vor solchen Gehirnverrenkungen. Ein paar Beispiele:

  • „Damit werden bundesweit einheitliche Regeln für Verkehrsverbote eingeführt, falls diese von den zuständigen lokalen Behörden aufgrund von anhaltend hoher Belastung mit gesundheitsschädlichem Stickstoffdioxid erlassen werden.“

Bundesweit einheitliche Regelungen? Seit Jahren betteln Städte und Gemeinden genau darum, und zwar in Form einer schlichten, einfach zu kontrollierenden Blauen Plakette. Doch davon wieder kein Wort. Stattdessen bekommen sie nun einen technischen Overkill in Form einer automatischen Kennzeichenüberwachung.

  • „Der Entwurf stellt klar, dass Diesel-PKW mit den Abgasnormen EURO 4 und 5 von Fahrverboten ausgenommen werden, wenn sie im realen Fahrbetrieb geringere Stickstoffoxidemissionen unter 270 Milligramm pro Kilometer ausstoßen. Dieser Wert wird sich für viele Fahrzeuge nur durch eine geeignete Nachrüstung mit einem zusätzlichen Stickoxidkatalysator erreichen lassen. (…) Ausgenommen werden aus Verhältnismäßigkeitsgründen alle Diesel-PKW mit der Abgasnorm EURO 6.“

Bis Euro 5 gibt es also einen genau bezifferten Grenzwert, für Euro 6 nicht. Dabei stoßen letztere real im Schnitt 507 mg NOx/km aus, wie das Umweltbundesamt schreibt. Fassen wir zusammen: Euro-6-Diesel dürfen knapp doppelt so viel emittieren wie ältere Fahrzeuge, brauchen aber trotzdem nicht nachgerüstet zu werden. Das also versteht das Kabinett unter „Verhältnismäßigkeit“.

  • „Der Gesetzentwurf stellt weiterhin klar, dass Verkehrsverbote (…) bis zu einem Wert von 50 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel in der Regel nicht erforderlich sind. In diesen Gebieten ist davon auszugehen, dass der europarechtlich vorgegebene Luftqualitätsgrenzwert für NO2 von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel bereits aufgrund der Fördermaßnahmen, die die Bundesregierung schon beschlossen hat, der Software-Updates und der Maßnahmen der lokalen Behörden eingehalten werden kann. Der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wird dadurch nicht verändert.“

Hier wird es endgültig orwellsch: Der Grenzwert wird nicht verändert, wir brauchen uns aber nicht mehr an ihn zu halten? Der Grenzwert gilt und er gilt nicht? Welchen Teil des Wortes „Grenzwert“ habt Ihr nicht verstanden?

Und was genau bedeutet dieses ominöse „ist davon auszugehen“? Ob die Maßnahmen wirken oder nicht, lässt sich messen. Wenn sich die 40 Mikrogramm dadurch tatsächlich erreichen lassen, sind Fahrverbote ohnehin vom Tisch. Und wenn nicht – ja, was dann? Gehen wir eben weiter von irgendwas aus. In dieser logischen Endlosschleife will sich die Koalition offenbar häuslich niederlassen. Ich bin gespannt, was die EU-Kommission und die Gerichte dazu sagen.

(grh)