Ausländische Informatiker retten den deutschen Automobilbau

Die deutsche Automobilindustrie sucht händeringend nach Informatikern. In Deutschland wird sie nicht fündig und setzt deshalb auf ausländische ITler.

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Auto, E-Auto, Lagerhalle, VW
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Von
  • Peter Ilg

Das Blatt hat sich gewendet. In der Automobilindustrie werden weniger klassische Ingenieure gesucht, dafür mehr Informatiker. Dies ist die Haupterkenntnis der Studie "Ingenieure und ITLer: Berufsperspektiven", des Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Fahrzeugvernetzung, automatisiertes Fahren und Elektromobilität sind die technischen Gründe für den Wandel der Arbeitswelt im Automobilbau. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es die Internationalisierung dieser Industrie.

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Das hat zwei Konsequenzen: Ausländische IT-Experten arbeiten in der Fahrzeugindustrie in Deutschland oder die Softwareentwicklung wird ins Ausland verlagert. Die Ursachen dafür sind ein dauerhaftes Defizit an Informatikern in Deutschland und keine Aussicht auf eine Besserung dieser Situation.

Davon geht auch ZF in Friedrichshafen aus, einer der weltweit größten Automobilzulieferer. Antriebs- und Fahrwerkstechnik sind das Stammgeschäft der Firma. Mit der Übernahme des amerikanischen Konkurrenten TRW Automotive 2015 hat sich ZF über Nacht verdoppelt und Sicherheitstechnik als neuen Geschäftsbereich eingekauft. Radar, Kamera, Airbag und Sicherheitsgurte kamen dazu – und damit das Know-how der neuen Kollegen in diesen Bereichen.

"Durch den Deal hatten wir weitere Produkte für autonomes Fahren und Softwarespezialisten darin gewonnen", sagt Martin Frick, Wirtschaftsinformatiker und Leiter Personalmarketing bei ZF in Friedrichshafen. "Seit vier, fünf Jahren steigt unsere Nachfrage nach IT-Spezialisten für die Trendthemen der Automobilbranche", weiß Frick. Heute steht in drei von vier Stellenzeigen, dass Bewerber IT-Kenntnisse benötigen. Das betrifft sowohl Berufseinsteiger als auch Berufserfahrene.

Das Gros der von ZF gesuchten Mitarbeiter braucht einen MINT-Abschluß. Physik, Mathematik, Mechatronik und vor allem Informatik. Ob nun klassische Informatik, technische oder eine spezielle wie die Automobilinformationstechnik. Worin sich ein Job als Informatiker im Automobilbau zu dem in der IT-Branche unterscheidet, beschreibt Frick so: "Wir programmieren keine Webseiten, unsere Produkte sind auf der Straße unterwegs und müssen zuverlässig in jeder Situation funktionieren." Das sind Spurhalte-, Notbremsassistent oder Airbag.

Weil es für die moderne Mobilität aber in Deutschland nicht genügend Informatiker gibt, hat ZF im vergangenen Jahr ein Technologiezentrum in Hyderabad in Indien eröffnet. 800 indische IT-Spezialisten programmieren und testen dort Software für automatisiertes Fahren. Bis 2020 soll der Mitarbeiterbestand auf 2500 ansteigen. "In Indien gibt es viele und gut qualifizierte Informatiker", weiß Frick. IT hat dort einen hohen Stellenwert: Was das Auto in Deutschland ist, ist die IT in Indien. "Und ja: wir bekommen die Mitarbeiter dort zu niedrigeren Personalkosten als hier", sagt Frick. Aber auch in Indien wachse der Wettbewerb und damit stiegen die Gehälter.

In Deutschland wird die Automobilbranche indes immer beliebter als Arbeitgeber angehender Informatiker. Mit BMW, Audi, Daimler und Bosch sind gleich vier Unternehmen dieser Industrie unter den Top Ten im Absolventenbarometer 2018 des Marktforschungsunternehmens Trendence. In diesem Jahr hat BMW sogar den Softwareriesen Microsoft vom zweiten Platz verdrängt.

Aufgrund ihrer allgemeinen Ausbildung können Informatiker in beiden Branchen arbeiten, den Unterschied macht der Anwendungsfall. In der Fahrzeugindustrie ist die Domäne das Auto. Für das gibt es auch spezielle IT-Studiengänge, etwa Automobilinformationstechnik an der Hochschule Konstanz. "Der wesentliche Unterschied in der Ausbildung unserer Absolventen zu denen der Informatik ist der Bezug zu technischen Systemen im Automobilbau. Sie können sofort loslegen", sagt Professor Florian Lang, Leiter des Studiengangs. Der Informatiker braucht Zeit zur Einarbeitung in die Fahrzeugsysteme, dafür ist er aber breiter ausgebildet. Weil es aber nur eine Handvoll spezieller Studiengänge gibt, stammt das Gros der Informatiker im Automobilbau aus allgemeinen Informatikstudiengängen in Deutschland oder dem Ausland.

So ist das bei Car IT in Ulm, einer hundertprozentigen Tochter von BMW. Bis 2012 war dort der Entwicklungsstandort für Smartphones von Nokia angesiedelt. Als der aufgelöst wurde, hat ihn BMW mitsamt 60 Mitarbeitern übernommen. Michael Böttrich, Ingenieur der Elektrotechnik, ist einer von ihnen und heute Abteilungsleiter Software Infotainment. Fahrerassistenzsysteme und autonomes Fahren sind die beiden anderen Geschäftsbereiche der Ulmer.

Inzwischen ist der Mitarbeiterbestand auf 230 angewachsen. "Fast jeder bei uns entwickelt Software", sagt Böttrich. Die Hälfte der Mitarbeiter sind Ausländer, sie kommen aus 40 Ländern. Schwerpunkte sind Osteuropa, Indien und China. Auch BMW lässt im Ausland entwickeln, weil es in Deutschland nicht ausreichend IT-Fachkräfte gibt. Deshalb haben die Münchner mit Critical Software aus Portugal im Oktober ein Joint Venture namens Critical TechWorks gegründet. Das Unternehmen entwickelt Software für Fahrzeuge und neue Geschäftsmodelle. Damit soll der Eigenanteil an BMWs Software erhöht werden. An den portugiesischen Standorten Lissabon und Porto sind bereits rund 200 Mitarbeiter beschäftigt, bis Ende 2019 sollen es 500 werden.

(olb)