Freie Fahrt für freie Maschinen

Könnten autonome Autos helfen, das Verkehrschaos in den Städten zu bekämpfen? Im Prinzip ja – wenn man gleichzeitig Fußgänger abschafft.

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Freie Fahrt für freie Maschinen

Autonomes Fahrzeug.

(Bild: Waymo)

Lesezeit: 4 Min.

Was wäre, wenn? Wenn nicht die Autos in den Städten das Problem wären, sondern die Autofahrer? Die Egoisten, die sich mit überdimensionierten SUVs durch den Stoßverkehr drängeln, um sich so gegenseitig zu täglichem Stau zu verurteilen? Die genervten Büroangestellten, die Fahrradfahrer in Zentimeterdistanz überholen und mit Auffahrunfällen regelmäßig ganze Straßenzüge lahmlegen, und die völlig überforderten Lieferanten, die ihre Transporter an den unmöglichsten Stellen parken?

Wäre es nicht viel vernünftiger, das Fahren rationalen Maschinen zu überlassen, die den Transport von A nach B als nüchternes mathematisches Problem behandeln? Ein Problem, das für eine maximale Anzahl von Menschen mit einem minimalen Aufwand an Zeit und Energie zu lösen ist? Es gibt eine Menge Experten, die glauben, KI könnte in diesem Fall helfen.

Kara M. Kockelman von der University of Texas etwa träumt von einer Flotte von öffentlich verfügbaren, miteinander vernetzten Vehikeln. Autos, die von einem zentralen Flottenmanagement beschafft und betrieben werden, die jederzeit und überall verfügbar wären und den gesamten Mobilitätsbedarf einer Stadt optimiert abarbeiten – durch geschickte Zusammenfassung von Fahrten und die optimale Auslastung von Straßen.

Tesla-Chef Elon Musk schwärmt nicht nur aus Marketinggründen dafür, dass Schwärme miteinander vernetzter autonomer Autos pro Zeit und Straße dreimal mehr Menschen transportieren könnten als menschlich gesteuerte Vehikel. Der effizientere Verkehrsfluss würde bedeuten, dass viel weniger Straßen und Parkraum benötigt werden als heute. Aktuelle Simulationsstudien haben zudem ergeben, dass autonome Autos bis zu 40 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen, weil der Verkehr besser fließt und unnötige Bremsvorgänge vermieden werden. Ganz zu schweigen von der erhöhten Sicherheit: 2017 gab es allein in Deutschland 3177 Verkehrstote – überwiegend durch menschliches Versagen.

Die schillernde Vision hat allerdings ihren Preis. Technisch gesehen sind Menschen für autonome Autos im besten Fall extrem komplizierte Hindernisse. Im schlimmsten Fall sind sie für den autonomen Verkehr sogar toxisch. Der britische Autor und Verkehrsspezialist Christian Wolmar nennt das den "Holborn-Effekt" – benannt nach der gleichnamigen Londoner U-Bahn-Station. Ein korrekt konfiguriertes autonomes Auto, spottet Wolmar, würde jeden Morgen stunden-lang dort stehen, weil Tausende von Pendlern aus der Station strömen und einfach so über die Straße gehen, ohne sich um Verkehrsregeln oder rote Ampeln zu kümmern. Aus Sicherheitsgründen müsste das Auto warten – auch wenn es eigentlich fahren dürfte.

Die naheliegende Lösung für dieses Problem ist, den Menschen komplett aus der Gleichung zu streichen – indem autonomen Autos exklusive Fahrspuren zugewiesen werden, die für Menschen verboten sind. KI-Pionier Andrew Ng hat das bereits 2016 vorgeschlagen, allerdings hat er es etwas diplomatischer als "Anpassung in der Infrastruktur" formuliert. Eigentlich müsste dieser Raum dem konventionellen Autoverkehr genommen werden. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass die damit einsetzende Verdrängung schließlich die schwächsten Verkehrsteilnehmer treffen wird: die Fußgänger. Autonome Autos werden den Verkehr in den Städten also vielleicht reduzieren, sie werden zu weniger Unfällen führen – die Städte wohnlicher machen werden sie nicht.

Wer glaubt, dass diese Gefahr bestenfalls hypothetisch ist, weil Autofahrer sich den Spaß am eigenen Fahren nicht nehmen lassen, sollte auf den US-Verkehrsplaner Jeff Speck hören. Speck verweist auf den"technischen Imperativ", vor dem bereits der Soziologe Neil Postman gewarnt hat.

Jede neu Technologie, die menschliche Tätigkeiten bequemer mache, sei letztendlich nicht aufzuhalten, auch wenn ihr Einsatz teuer und schädlich sei. "Autonome Autos können unsere Städte besser machen", erklärte er auf einer Tagung amerikanischer Bürgermeister. "Aber das zu erreichen bedeutet einen Haufen Arbeit." Ob sich die Menschen die Arbeit machen? Leider lehrt auch das die Vergangenheit: Oft wird der einfache Weg zur Lösung gesucht, nicht der bessere.

(wst)