"The Biggest Wearable"

Mobilitäts-Trends auf der CES 2019

Das Auto versteht sich immer mehr als "Consumer Electronics" und steht daher jedes Jahr prominenter auf der Show CES in Las Vegas. Wir streiften in Schnellbleiche die Stände auf Mobilitäts- und KI-Neuigkeiten ab. Wie immer gilt: CES-Trends != Kundentrends

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 106 Kommentare lesen
24 Bilder
Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Die klassische Automesse kämpft mit Ausstellerschwund, weil die Autohersteller sich mit ihrem eingeteilten Budget auf anderen Konsumenten-Messen zeigen. Eben war ich auf der Consumer Electronics Show (CES), auf der Mercedes den neuen CLA vorgestellt hat, statt auf die nächste Automesse zu warten. Wahrscheinlich passt es für die Endkunden ganz gut, wenn sie Laptops und Autos in einem Aufwasch live sehen können. Hauptsächlich jedoch lohnt es sich in Sachen Reichweite viel mehr, wenn die großen, allgemeinen Outlets über deine Produkte sprechen statt nur deine Nische. Also schmeißen wir mal alle Mobilität in einen Topf, auf den ich mit dem Edding „Trends 2019“ krakele. Ich habe darauf geachtet, dass wir andere Trends anführen als andere Publikationen.

Trend 1: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral

Die Heise-Kollegen baten mich, bei der Pressekonferenz des VDA (Verband der Automobilindustrie) vorbeizuschauen, um „Flagge zu zeigen“. Das war zum Glück nur fast so langweilig wie erwartet. Interessant, wie sehr die Industrie immer noch von ihrem selbstgemachten Skandal traumatisiert ist. VDA-Präsident Bernhard Mattes spricht von „before“ ohne weitere Konkretisierung, als eine Frage ihn thematisch zum VW-Betrug drückt. Ein bisschen wie bei Harry Potter: „Der Skandal, dessen Namen nicht genannt wird!“

Ich fragte ihn, ob die Hersteller die aktuelle autounfreundliche Kultur irgendwie bekümmern müssten, worauf er in etwa antwortete (die Ansprache war auf Englisch trotz des deutschen Publikums): „Naja, die Verkäufe steigen ja trotzdem immer weiter.“ Man müsse Umweltfreundlichkeit zeigen, aber ein grundsätzliches Problem haben die Hersteller nicht. Wenn die Leute mit Schuldgefühlen kaufen, kaufen sie halt zuvorderst. Wir werden also allen Verkehrsinfarkts zum Trotz weiterhin steigende Autozahlen sehen.

Mercedes bewarb den CLA also Consumer-gerecht als „großes Wearable“, als könne man ihn anziehen, waschen und dann wegschmeißen. Ich glaube schon, dass es sich lohnen würde, der gesellschaftlichen Autokritik zu begegnen, und sei es zunächst einmal nur kommunikativ. Die Kritik ist nämlich berechtigt: Wir brauchen tiefgreifende Änderungen in der individuellen Mobilität. „Wir verkaufen mehr Autos, also ist alles gut“ halte ich für eine erschreckend kurzsichtige Einstellung, und das Feigenblatt „ach ja, Umweltschutz machen wir auch“ ändert daran nichts. Es geht leider um Grundsätzlichkeiten.

Trend 2: Autonome Ernüchterung

Nach den unfassbar überzogenen Erwartungen des Hype Cycle in Sachen Autonomobile stellt sich zum Glück Realismus ein. Ich habe niemanden mehr gesehen, der in unrealistischen Zeiträumen Autonomie auf SAE-Level 5 (vollautomatisches Fahrzeug) verspricht – außer Audi, auf ihrem „2021“ für den AIcon beharren, wenn auch mit der Einschränkung „Level 4 oder 5“. Aber wenn man Audis Versprechungen glauben könnte, würden Audis seit 2017 Level 4 über die Autobahn brausen. Ingolstadts PR hat offenbar bei Tesla eines gelernt: „Einfach mal was raushauen. Digital Pressemeldung first, delivering später.“

Selbst bei Level 4 (vollautomatisch fahren in klar umrissenen Teilsituationen wie etwa Autobahnfahrten) sind die Ankündigungen vorsichtig geworden. Daimler Trucks will „in den nächsten Jahren“ eine halbe Milliarde Euro in die Automatisierung ihrer LKW stecken. Die vage Zeitangabe rührt daher, dass der Betrag projektbezogen gilt statt zeitbezogen: „Das ist der Betrag, den wir brauchen, um zu wissen, ob diese Technik überhaupt funktionieren wird“, sagte Martin Daum, Leiter von Daimler Trucks. Ziel ist es, dass LKW zumindest Autobahnabschnitte ohne Fahrer bewältigen, damit der seine gesetzlich beschränkten Lenkzeiten wirtschaftlicher einsetzen kann.