Alter Lungenfacharzt spielt die Medien wie ein Casio-Keyboard

Klartext: Politik auf Lunge geraucht

"Über hundert" Lungenfachärzte haben einen offenen Brief unterzeichnet. Von über 4000, aber egal, ein glücklicher Andreas Scheuer will mit der EU sofort neue Grenzwerte verhandeln, zum Wohle unserer heiligen römischen Autoindustrie deutscher Nation

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Dieser Tage geistert ein merkwürdiger Streit durch die Medien. Sie ahnen es: Heute sprechen wir über die Lungenärzte-Geschichte. In einem offenen Brief schreibt Dr. Dieter Köhler von Schwächen der Wissenslage im Bezug auf Feinstaub und Stickoxide. Darin prangert er Schwächen der Epidemiologie an, die keinem Epidemiologen neu sind, weil er sie selber gleich ins Abstract seiner Studien schreibt. Er nimmt Zigarettenraucher als Argument für eine freiwillige Selbstmedikation mit NOx und Feinstaub, worin er genauso viel vermischt wie eine epidemiologische Metastudie, allerdings nichts von den entstehenden Fehlern zu korrigieren sucht. Dazu schreibt er Dinge, die wahr sind, aber nie jemand bestritten hat, also Allgemeinplätze zu „Korrelation ist keine Kausalität“. Daraus wurde, was er wahrscheinlich beabsichtigt hat: ein Politikum.

Der wissenschaftliche Diskurs nervt. Ruft die Bild!

Zwar behauptet Dr. Köhler, er wolle die überemotionalisierte Diskussion versachlichen, wählt dann aber den Weg der Emotionen, nämlich den der Medien. Warum zum Beispiel drückt Dr. Köhler gerade jetzt dieser Schuh? Wenn er die Methoden beim Zustandekommen der strengen Grenzwerte schlecht fand (wo ich durchaus bei ihm bin), warum kritisierte er das nicht dann, als diese Dinge entschieden wurden, als man am sinnvollsten etwas tun konnte? Als Lungenfachmann wird er diese Diskussion doch sicher auf dem Schirm gehabt haben?

Stattdessen ploppt er seinen Brief mit bestem Timing direkt an den Moment, an dem die DUH die öffentlichen Emotionen so überreizt hat, dass dieser kleine Verein dem deutschen Normalbürger schlimmer erscheint als die Betrüger bei Volkswagen. Köhlers Koautor: Thomas Koch, am KIT im Bereich Kolbenmaschinen tätig, früher beim Daimler in der Motorenentwicklung. Ich glaube an den Zufall. Ich weiß um die Eigenheit des Zufalls, dass er Häufungen zeigt (weil zu mehr Gleichmäßigkeit nicht-zufällige Kräfte wirken müssten). Aber hier handelt es sich um eine Verkettung von Umständen, die der Zufall in etwa so wahrscheinlich hervorbringt wie den koordinierten Sprung sämtlicher Atome meiner Teetasse vom Tisch herunter.

Emotionen sind wichtiger als neue Erkenntnisse

Dr. Köhler sagt, er habe das Schreiben „aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung“ verfasst. Die Entwicklung passte ihm schon im vergangenen Jahr nicht, als er etwas dazu im Ärzteblatt schrieb, zu dem in einer Folgeausgabe ein Kollege widersprach. So läuft das halt in der Wissenschaft. Am Ende kommt manchmal ein Erkenntnisgewinn heraus, selbst wenn der nur darin besteht: „Neue Erkenntnisse könnte Experiment X liefern.“ Und genau hier verliert mich Herr Köhler am meisten: Seine genannten Schwächen könnten, sollten, müssten mit gezielter Forschung angegangen werden, für die aktuell ein breites öffentliches Interesse existiert und mit diesem potenzielle Forschungsgelder. Das hätte er mal verlangen sollen, dann hätten Wissenschaftler zustimmend genickt – allen voran Epidemiologen, die ja ihre Rechenmodelle mit den Ergebnissen erheblich verbessern könnten.

Stattdessen appelliert er an den gesunden Menschenverstand, der immer das glaubt, was eine schlüssige Geschichte erzählt. Die liefert Köhler gleich mit, im perfiden Narrativ, dass es Interessenkonflikte gebe, von denen nur er frei sei. Das ist natürlich eine Supersau, die wir Medien dann durchs Dorf peitschen können. Ich schwinge hier mein Peitschchen fleißig mit. Weiterbringen wird uns das nicht, es zahlt nur meine Rechnungen. Und Dr. Köhler freut sich. Vielleicht hat er einfach die Nase voll vom wissenschaftlichen Diskurs mit der blöden Faktendebattiererei immer. Der Laie sei der neue Leser.

Lieber in der Welt, der Zeit und der FAZ stehen statt im miefigen Ärtzeblatt. Diese Publikationen können dann – je nach eigener politischer Ausrichtung – schön mit Auslassungen spielen, die schon bei der Relevanz anfangen. In absoluten Zahlen haben 112 Mitgliedsärzte der „Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V.“ (DGP) seinen Rundbrief unterzeichnet. Klingt erstmal super, wie so viele absolute Zahlen.

Ich traue keiner Statistik, aber jeder urbanen Legende

In Relation zur Mitgliederzahl, die kontaktiert wurden, schaut es schon wieder anders aus: Der Verein hatte zur Zählung Ende 2017 4028 Mitglieder. Es geht also um rund 3 Prozent. Der Rest der Gesellschaft bleibt zu weiten Teilen eher bei der aktuellen Ansicht, dass auch geringe Konzentrationen schädlich sein könnten. Das tun sie zur selben Sicherheit, aus der heraus auch die sehr niedrigen Grenzwerte entstanden.