Kommentar: Neun dumme Ideen, um Fahrverbote zu verhindern

Städte wollen Fahrverbote unbedingt verhindern. Heraus kommen bizarre Ideen, die mehr über die Autonation Deutschland verraten, als einem lieb sein kann.

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Neun dumme Ideen, um Fahrverbote zu verhindern

(Bild: fuyu liu / shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
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Fahrverbote verhindern? Nichts lieber als das, sagen sich viele Stadt-Verantwortliche. Vielleicht aber sollten sie doch lieber ihre Gedanken auf neue Ziele lenken. Denn bislang kommen vor allem bizarre Ideen heraus, die mehr über die Autonation Deutschland verraten, als einem lieb sein kann.

Da steht er nun, der weiße Container, direkt am vierspurigen Theodor-Heuss-Ring in Kiel. Er soll 40.000 Kubikmeter Luft pro Stunde reinigen. Der Hersteller selbst sagt, dass sechs solcher Anlagen notwendig seien, um einen 200 Meter langen Straßenabschnitt von zehn Prozent der Schadstoffe zu befreien. Macht aber nichts, denn die nächste Luftmessstation ist nur 40 Meter entfernt. Kiel hat also eine Maschine aufgestellt, deren primäre Aufgabe es ist, einer anderen Maschine frische Luft zuzufächeln. Da werden sich die Menschen aber freuen!

Noch mal Kiel: Dort spielt der sozialdemokratische Oberbürgermeister mit dem Gedanken, die linke der beiden Fahrspuren neben der Messstation für Diesel zu sperren – möge deren Stickoxidfahne doch bitte auf die andere Straßenseite wehen. An sich eine löbliche Idee, wenn die Spur konsequenterweise komplett für Autos gesperrt würde. Dann hätten auch die Radfahrer wieder jenen Platz, der ihnen kurz zuvor genommen wurde. Denn oben genannter Luftstaubsauger steht mitten – wirklich mitten! – auf dem Radweg. Ein wunderbares Signal an alle Bürger, die erwägen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu kommen. „Was hätten wir denn machen sollen? Wenn wir den Container auf den Fußweg stellen, gäbe es auch Ärger“, zitiert der NDR einen Sprecher der Stadt. Ihn auf die Fahrbahn oder auf einen Parkplatz zu stellen war in Kiel offenbar nicht einmal eine gedankliche Option.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel, seit 2006 Redakteur bei Technology Review, mag Autos eigentlich. Besonders in Museen.

Ende November 2018 novellierte die Koalition das Bundesimmissionsschutzgesetz. Darin erklärt sie eigenmächtig die europäischen Stickoxid-Grenzwerte für – nun ja, für was eigentlich? „Der Gesetzentwurf stellt klar, dass Verkehrsverbote (…) bis zu 50 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel in der Regel nicht erforderlich sind“, heißt es in der Presseerklärung. „Der Grenzwert von 40 Mikrogramm wird dadurch nicht verändert.“ Was denn nun – der Grenzwert wird nicht verändert, aber wir brauchen uns nicht mehr an ihn zu halten? Der Grenzwert gilt, und er gilt nicht? Vor welchem Gericht dieser Welt glaubt die Bundesregierung damit durchzukommen?

Wir schreiben das Jahr 1999. Gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten beschließt Deutschland Luftgrenzwerte, die auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO beruhen. Gut zwanzig Jahre lang kann kaum jemand etwas Falsches daran erkennen. Doch plötzlich findet Bundesautoverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), dass die EU diese Grenzwerte dringend überprüfen sollte. Dabei läuft eine solche Bewertung schon längst. Ende 2019 sollen die Ergebnisse vorliegen. Scheuer sollte sich wenig Hoffnung machen: „Die #Grenzwerte, wenn verändert, würden NUR STRENGER“, twitterte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella Anfang Februar.

TR 3/2019

Technology Review März 2019

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 3/2019 der Technology Review. Das Heft ist ab 21.02.2019 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

„Ich rate den Kommunen und Ländern, sich mit allen juristischen Mitteln zur Wehr zu setzen“, sagte Bundesautoverkehrsminister Andreas Scheuer in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“. „In einer Stadt wie Stuttgart gibt es auch deswegen ein Fahrverbot, weil sie nicht alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft hat.“ Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht interessant: Erstens hat die Deutsche Umwelthilfe bisher regelmäßig vor Gericht gewonnen. So fürchterlich erfolgversprechend scheint der juristische Weg für die Kommunen also nicht zu sein. Zweitens ist es bemerkenswert, dass Scheuer gerade nicht an die Städte appelliert, alle verkehrspolitischen Mittel auszuschöpfen – etwa Radwege, Parkraumbewirtschaftung, Investitionen in den Nahverkehr.

Bei diversen Dieselgipfeln hat die Bundesregierung versucht, den Autoherstellern ein paar Selbstverpflichtungen abzuringen – etwa zur Hardwarenachrüstung. Doch die meisten deutschen Autobauer mauern, und die ausländischen fühlen sich ohnehin nicht angesprochen. Welch eine Überraschung: Schon Ende der 1990er-Jahre hatte die Branche sich beispielsweise verpflichtet, den Flottenverbrauch ihrer Neuwagen zu senken. Richtig nach unten ging er allerdings erst, nachdem die EU im Jahr 2008 einen verpflichtenden Grenzwert beschlossen hatte.

Im November 2018 verschickte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) 1,5 Millionen Briefe an die Halter von älteren Dieseln und warb darin für die Umtauschprämien deutscher Hersteller – praktischerweise gleich mit deren Telefonnummer und Webadresse. Dies ist ein klassisches Beispiel für das verhängnisvolle Prinzip „mehr desgleichen“ des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick („Anleitung zum Unglücklichsein“): Eine Maßnahme wirkt nicht, also muss sie verstärkt werden. Eine entscheidende Ursache für das aktuelle Stickoxidproblem ist die zu große Nähe zwischen dem Staat und der Autoindustrie. Und welche Konsequenz zieht das KBA daraus? Es spannt sich noch stärker vor den Karren der Hersteller.

Die CDU hat auf ihrem Parteitag Anfang Dezember 2018 beschlossen, die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe prüfen zu lassen und ihr die Gelder aus dem Bundeshaushalt zu streichen. Die Bundesregierung hat diese Position übernommen. Ein bemerkenswerter Akt für eine Partei, die sich selbst gern als Vertreter von Recht und Ordnung versteht. Solange der Verband vor Gericht recht bekommt – also erfolgreich gegen existierendes Unrecht vorgeht –, hat er sich doch offenbar um das Gemeinwohl verdient gemacht. Abgesehen davon ändert die Maßnahme weder etwas an der Luftqualität noch an den Grenzwerten.

Um in Sachen Verkehrswende endlich mal ein etwas größeres Rad zu drehen, hat das Bundesverkehrsministerium die „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ gegründet (siehe TR 12/2018, S. 103). Einer ihrer ersten Vorschläge bestand in einem Tempolimit. Das wurde von Bundesautoverkehrsminister Andreas Scheuer augenblicklich als „gegen den Menschenverstand“ abgekanzelt – ein schönes Beispiel für das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Der Vorgang lässt ahnen, wohin die Reise geht: Was auch immer Experten vorschlagen, am Ende schlägt sich die Regierung ohnehin auf die Seite der Autoindustrie.

Allen diesen Vorschlägen ist gemein, dass sie erstens Autoverkehr als unbedingt schützenswertes Kulturgut betrachten, und dass sie zweitens das Problem als erledigt betrachten, wenn es den Kommunen irgendwie gelingt, sich unter den Stickoxid-Grenzwerten durchzuhangeln.

Dabei ist der Autoverkehr an und für sich das Problem, völlig unabhängig von der Luftdebatte: Er verursacht unter anderem Lärm, Flächenverbrauch und Unfalltote. Jede vernünftige Maßnahme sollte deshalb darauf abzielen, den Autoverkehr in den Städten generell zu reduzieren. Das würde nicht nur die Luft besser, sondern auch die Städte lebenswerter machen. Wenn das ohne Fahrverbote geht – umso besser. Dass es der Politik nicht an Fantasie fehlt, hat sie beim Kampf gegen die überhöhten Messwerte reichlich bewiesen. Es wäre schön, wenn sie diese Fantasie für sozialverträglichere Ziele einspannen würde. (anwe)