Wie groß ist der Vorsprung von Tesla?

Nach langem Zögern setzt die deutsche Autoindustrie jetzt auf Elektrifizierung, muss dazu aber erst einmal zum Pionier Tesla aufschließen. Nach Ansicht von Experten hat der die Nase immer noch meilenweit vorn.

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Wie groß ist der Vorsprung von Tesla?

(Bild: Tesla)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sascha Mattke
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Es ist noch gar nicht lange her, da wiesen Manager deutscher Autohersteller die Idee von reinen Elektroautos als geradezu absurd zurück. Das hat sich mittlerweile drastisch geändert – sowohl VW als auch BMW und Mercedes haben sich Elektrifizierung auf die Fahnen geschrieben und eigene Elektro-Modelle auf den Markt gebracht oder angekündigt. Nach Ansicht von Experten aber haben sie sich damit so viel Zeit gelassen, dass der Pionier Tesla einen Vorsprung von mehreren Jahren herausfahren konnte.

Das gilt zum einen für die Fahrzeuge selbst. In ersten Tests des Audi E-Tron aus dem VW-Konzern zeigte sich, dass das deutsche Auto deutlich mehr verbraucht als das Model X von Tesla, das bereits seit einigen Jahren auf dem Markt ist. Ähnlich sieht es beim EQC von Mercedes aus, der seit diesem Mai produziert wird: Hier liegen noch keine aktuellen Testdaten vor, aber laut den NEFZ-Angaben kommt das Model X mit einer Ladung fast 100 Kilometer weiter. BMW will seinen ersten echten Tesla-Konkurrenten iNext erst 2021 auf den Markt bringen.

Schon hier zeigt sich also, dass die deutschen Platzhirsche offenbar unterschätzt haben, wie schwierig es ist, zu vertretbaren Kosten ein Elektroauto mit guter Reichweite zu entwickeln. Bei der Kernkomponente Akkus setzten sie bislang voll auf Zulieferer – was laut Medienberichten bei Audi bereits dazu geführt hat, dass das für dieses Jahr geplante Produktionsziel für den E-Tron nicht eingehalten werden kann. Das Gleiche gilt für den Aspekt autonomes Fahren: Während die Deutschen lediglich zugelieferte Systeme dafür einsetzen, entwickelt Tesla neuerdings sogar den Chip für die Computer in seinen Autos selbst.

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Und auf diesem zukunftsträchtigen und komplexen Gebiet, das schwieriger in den Griff zu bekommen sein dürfte als bloße Batterieproduktion, hat Tesla derzeit einen Vorsprung von vier Jahren. Das jedenfalls ist die Meinung von ARK Invest, einer Anlagegesellschaft aus den USA, die sich auf Chancen durch disruptive Innovationen spezialisiert hat. Deren Investment-Chefin Cathie Wood sorgte bereits im April für Aufsehen, als sie ein Kursziel für Tesla von im Bestfall 4000 Dollar auf Sicht von fünf Jahren nannte.

Dies war noch vor der Vorstellung des neuen Tesla-Chips für "Full Self Driving" (FSD), also die Funktionen, die Autos von Tesla in Zukunft autonom fahren lasen sollen. Anfang Mai dann veröffentlichte ARK Invest eine kurze Analyse des Chips. Als wichtigstes Konkurrenzprodukt werden darin Auto-Prozessoren von Nvidia genannt. Das aktuelle Nvidia-Modell Pegasus sei aber "deutlich größer, teurer und stromhungriger als Teslas FSD". Mit 500 Watt verbrauche ein Pegasus-Prozessor siebenmal so viel wie der FSD-Chip von Tesla, außerdem würde er wegen seiner Größe in ein Model 3 nicht einmal passen.

Dass Tesla zu niedrigen Kosten und mit weniger Strombedarf einen gut etablierten Chip-Hersteller schlagen kann, lässt sich laut ARK Invest leicht erklären: Ähnlich wie früher Apple sei das Unternehmen vertikal integriert und könne so Hardware und Software effizienter aufeinander abstimmen: "Die Chips von Nvidia müssen eine große Zahl von Architekturen für neuronale Netze und Sensor-Umgebungen wie Lidar unterstützen, Teslas System dagegen nur die Sensoren und das neuronale Netz der eigenen Fahrzeuge."

Das verringere dramatisch die Komplexität und erhöhe die Effizienz. Dass Tesla den Konkurrenten aus der klassischen Autoindustrie weit voraus ist, hat zuletzt selbst der Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess eingeräumt.

Die Vorteile der eigenen Marken sieht er auf der Produktionsseite, während Tesla technologisch vorn sei. Allerdings sei der Vorsprung keineswegs uneinholbar, und Volkswagen werde den Kampf gegen den Pionier gewinnen, sagte er.

Andere sind sich da nicht so sicher. Der Vorsprung von Tesla sei so groß, dass man sich fast schon Sorgen wegen fehlenden Konkurrenzdrucks machen müsse, sagt Lex Fridman, der sich am MIT mit autonomem Fahren beschäftigt.

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Die meisten anderen Hersteller seien heute kaum in der Lage, drahtlose Updates an ihren Infotainment-Systemen vorzunehmen, spottete der Forscher in einem Interview. Tesla dagegen mache dies seit Jahren regelmäßig für das gesamte Fahrzeug-System.

Zum Thema autonomes Fahren sagte Fridman, auch mit der Entscheidung, dafür statt teurer Lidar-Systeme normale Kameras samt raffinierter Software einzusetzen, habe sich Tesla Vorteile verschafft. Zwar sei es derzeit einfacher, funktionierende Selbstfahr-Systeme auf Lidar-Basis zu bauen, Kameras aber lieferten die "reicheren, tieferen Daten". Die sicheren Autos von morgen würden deshalb wohl mit Kameras arbeiten – und Tesla habe bereits eine Flotte von 450.000 Fahrzeugen mit dem eigenen Autopiloten auf den Straßen, die massenhaft Daten für das dahinter stehende Maschinenlern-System zurückmelden.

(sma)