Kommentar zu AKKs Netz-Schelte: Ein Angriff auf die Grundlage jeder Freiheit

Annegret Kramp-Karrenbauer ist empört, weil plötzlich jeder seine Meinung sagen darf, ohne die CDU zu fragen.

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"Filter des Schreckens": Demonstration in Hannover gegen Artikel 13

Bots auf einer Demonstration in Hannover.

(Bild: Marvin Strathmann)

Lesezeit: 4 Min.
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Die CDU hat es geschafft. Endlich geht ihre Videoantwort auf Rezo und andere Youtuber viral: Annegret Kramp-Karrenbauer steht an einem Pult, zwei Mikros fangen ihre Worte auf, das CDU-Logo wiederholt sich im Hintergrund. Sie wundert sich, warum denn in Deutschland jeder seine Meinung sagen darf. Einfach so. Ohne vorher die CDU zu fragen. Und das auch noch in diesem Internet.

Damit greift Kramp-Karrenbauer die Grundlage unserer Freiheit an: das Grundgesetz und die Meinungsfreiheit.

Ein Kommentar von Marvin Strathmann

Marvin Strathmann arbeitet als Redakteur für heise online. Zuvor hat er für Chip Online, Focus Online, Zeit Online und die Süddeutsche Zeitung über Digitales geschrieben.

2 Minuten und 11 Sekunden ist das Video lang, das die Nachrichtenagentur Reuters verbreitet und daher auf vielen Nachrichtenseiten läuft. Es stammt aus einer Pressekonferenz der CDU-Chefin vom Montag. Sie frage sich, was in diesem Land los wäre, wenn 70 Zeitungsredaktionen gemeinsam gegen eine Wahl von CDU oder SPD aufrufen würden. "Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen", sagt Kramp-Karrenbauer. Nun würde sich eine Frage stellen: "Was sind Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich?"

Kramp-Karrenbauers Vergleich ist nicht durchdacht. Wenn 70 Zeitungsredaktionen gemeinsam einen Kommentar auf Seite 1 veröffentlichen wollen, dann dürfen sie das. Selbst wenn alle 327 Tageszeitungen, 21 Wochenzeitungen und 6 Sonntagszeitungen in Deutschland Rezos Video transkribieren und den Text drucken würden (mit seiner Erlaubnis), dann dürfen sie das. Auch am Tag vor der Wahl. Einfach so. Ohne Erlaubnis der Regierung oder der CDU.

"Das ist eine sehr grundlegende Frage, über die wir uns unterhalten werden", droht Kramp-Karrenbauer. Sie klingt wie eine Schutzgelderpresserin, die sich nur wenig Mühe gibt, ihre wahren Absichten zu verschleiern. Kramp-Karrenbauer droht aber nicht einem kleinen Lampenladen und zerdeppert zum Beweis ein paar Glühbirnen, sondern sie droht einem der wichtigsten Gesetze, die es in Deutschland gibt: Dem 5. Artikel des Grundgesetzes mit dem Satz "Eine Zensur findet nicht statt".

Artikel 5 wird im Netz wohl am radikalsten angewandt. Niemand muss sich mit einem Blogpost oder Videokommentar an alle strikten Regeln des Rundfunkstaatsvertrags oder die eher losen Regeln des Pressekodex‘ halten. Jeder kann im Netz zum Verleger, Intendanten oder Radio-Produzenten werden und Millionen Menschen erreichen.

Und das Publikum likt und teilt. Es liegt im Wesen des Internets, dass einzelne Videos, Texte und Audio-Beiträge plötzlich öfter angeschaut werden als der Tatort Sonntagabend. Meinungsäußerungen im Wahlkampf zu regulieren ist etwa so, als müsste Amazon um 18:00 Uhr das digitale Rolltor runterlassen, weil dann Ladenschluss ist.

Diese Macht im Netz darf natürlich nicht ohne Regeln auskommen. Denn Medien können Menschen stark beeinflussen, das zeigt etwa der Nationalsozialismus. Sinnvolle Gesetze zur Beleidigung oder Volksverhetzung gelten daher auch im Netz, Plattformen wie Youtube oder Twitter können in die Verantwortung genommen werden. Rezo hat aber nicht beleidigt und gehetzt, sondern seinem Publikum seine Meinung gesagt, gestützt mit Belegen.

Mit Ihren Beschränkungsfantasien hängt Kramp-Karrenbauer im Altland fest, im Land des Ladenschlusses und der Rundfunklizenzen. Das Netz bietet die große Chance, dass jeder mit seiner Meinung ein großes Publikum erreichen kann, auch wenn er keine Druckerpresse oder ein Fernsehstudio im Keller hat. Artikel 5 unterstützt sie dabei und das schon sehr lange.

In einem Urteil von 1958 packten die Verfassungsrichter die großen Geschütze aus, um die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Folgerichtig kommen sie zu dem Schluss: "Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt". Kramp-Karrenbauer greift diese Grundlage jeder Freiheit an – und damit die Basis unseres Zusammenlebens.

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(str)