Rezo-Video: So einfach ist die Lösung nicht

Die aufgeregte Debatte um das Rezo-Video lenkt von den eigentlich wichtigen Fragen ab, meint TR-Redakteur Wolfgang Stieler.

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Rezo-Video mit Missverständnis

(Bild: Screenshot aus dem Video von Rezo "Zerstörung der CDU")

Lesezeit: 4 Min.

Das war mal ein erfolgreicher Mediencoup: Rezo, ein junger Youtuber mit blauen Haaren, geigt der CDU vor der Europawahl mal so richtig die Meinung. Das Video wird Millionen mal geklickt, und prompt stürzt die CDU bei der Europawahl ab.

Da kann es nur eine Erklärung für geben: Rezo ist schuld. Wie der Rattenfänger von Hameln hat er offenbar große Teile der jungen Generation dazu verführt, auf keinen Fall CDU oder SPD – die kriegt auch ein bisschen ihr Fett weg – zu wählen. Prompt denkt die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer öffentlich darüber nach, ob es nicht "Regeln für politische Meinungsmache" im Internet in Wahlkampfzeiten" geben müsste. "Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen", erklärte Kramp-Karrenbauer.

Unterdessen springt BILD auf den Zug auf, und veröffentlicht den bürgerlichen Namen von Rezo, während im Netz eine neue Verschwörungstheorie kursiert, die den bis dahin unpolitischen Youtuber als Marionette finsterer Mächte darstellt, die unsere Demokratie destabilisieren wollen. Kannste Dir nicht ausdenken.

Dabei ist das umstrittene Video meiner Meinung nach maßlos überschätzt. Gut, der Mann ist ganz eloquent und phasenweise auch recht witzig. Aber die Mischung aus Nachhilfe in Staatsbürgerkunde, motivierenden Einsprengseln und extremer Faktenhuberei – voll krass viele Links mit Belegen, eyh! – läuft auf ein einziges – im Kern sehr gefährliches – Argument hinaus: Es gibt "voll viele" Experten, die sich alle einig sind, dass die Klimakrise "fucking heftig" ist. Und die sagen uns, was wir machen müssen, um den Klimawandel zu stoppen. Wir müssen es einfach nur tun – und schon ist das Problem gelöst.

Echt jetzt? Sachzwanglogik? Politik des gesunden Menschenverstandes – ganz "ohne Ideologie"? Diktatur der Technokraten? Das soll die Lösung sein?

Nicht, dass ich missverstanden werde. Ich bin, was die Bekämpfung des Klimawandels angeht, ein entschiedener Befürworter von staatlichen Interventionen. Nichts bringt unwillige Industriekapitäne so schnell in Bewegung wie scharfe Gesetze.

Aber das ist genau der Punkt. Das ist meine Meinung. Eine politische Einschätzung. Es gibt Dutzende anderer politischer Meinungen dazu. Viele in der Bewegung "Fridays for Future" beispielsweise scheinen in erster Linie auf "kritischen Konsum" zu setzen – eine Art Klima-Pietismus inklusive veganer Ernährung, Verzicht auf Verpackungen und Vermeidung der "Flugschande". Unsere neoliberalen Freunde hingegen träumen immer noch von einem Zertifikatehandel ohne die üblichen Lobby-Beschränkungen.

Das alles sind mögliche Lösungen mit Vorteilen und Nachteilen, die unterschiedliche Interessengruppen berücksichtigen. Es gibt nicht das globale Optimum. Frag' drei Experten, und Du bekommst fünf Meinungen. Aber das ist nicht schlecht, sondern gut. Da fängt politische Gestaltung an. Was alle angeht, sollen alle entscheiden.

Ich kann nur wiederholen, was ich bereits 2017 im Zusammenhang mit dem March for Science geschrieben habe: Wir dürfen "interne Widersprüche nicht verschweigen und zum Beispiel so tun, als sei Wissenschaft per se etwas edles, sachliches, logisches – und unpolitisches. Die vergangenen 50 Jahre – insbesondere die Umweltbewegung – haben ja deutlich gezeigt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse eben nicht politikfrei sind. Es hat genügend Fälle gegeben, in denen wissenschaftliche Fragestellungen eben nicht von der Suche nach Erkenntnis geleitet waren, sondern oft auch von ganz anderen Interessen."

Alles andere wird uns auf die Füße fallen. Eher früher als später.

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(wst)