Klassiker neu gelesen: Crashtest Mobilität

Der Systemforscher Frederic Vester nimmt 1995 den Verkehr in den Blick. Seine Analysen und Prognosen sind schon damals schlüssig.

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"Daß" statt "dass", "Mark" statt "Euro" und 360 ppm Kohlendioxid in der Luft statt 410 – würde der Leser nicht regelmäßig über so etwas stolpern, käme er kaum auf die Idee, ein mehr als 20 Jahre altes Buch zu lesen. Die Probleme wie Stau und Luftverschmutzung waren dieselben wie heute, und Vester analysierte schon damals, warum isolierte Gegenmaßnahmen wie etwa der Bau neuer Straßen kaum etwas bringen.

Vester (1925–2003), Mitgründer des BUND sowie Mitglied des Club of Rome, war von Hause aus Biochemiker und hat sich dann der Systemforschung zugewandt. In zahlreichen populärwissenschaftlichen Werken erklärte er den Umgang mit komplexen Systemen in so unterschiedlichen Disziplinen wie Pädagogik, Medizin, Stadtplanung, Energie, Ökologie – und eben Verkehr.

Ende der Achtziger untersuchte er für Daniel Goeudevert, den damaligen Deutschland-Chef von Ford, die zukünftige Rolle des Autos. Die Ergebnisse erschienen 1990 unter dem Titel "Ausfahrt Zukunft". Der 1995 veröffentlichte Band "Crashtest Mobilität" baut darauf auf, erweitert aber den Fokus auf den gesamten Verkehr.

Seine zentrale These lautet, dass man Verkehr nur als vernetztes System begreifen kann, und sich bei jeder Einzelmaßnahme fragen muss, wie sie sich auf die anderen Elemente des Systems auswirkt. Positiven Einfluss haben laut Vester vor allem eine Verteuerung des Sprits, kleinere Autos sowie eine bessere Verknüpfung der einzelnen Verkehrsmittel.

Das klingt heute trivial. Tatsächlich liefert das Buch halbwegs informierten Lesern keine grundlegenden Aha-Erlebnisse. Trotzdem lohnt sich die Lektüre, denn sie führt vor Augen, wie wenig von dem, was bereits vor 20 Jahren hinlänglich bekannt war, Einfluss in die Verkehrspolitik gefunden hat.

Zudem legt Vester einige prognostische Punktlandungen hin. Zum Beispiel: "Warum sollten die Autobauer der Zukunft keine Speicherbatterien und Energieboxen herstellen oder auch deren Vertrieb und Service in eigener Regie übernehmen können?" Genau das tat Tesla gut zwei Jahrzehnte später.

Daneben gibt es auch einige Ideen, die aus heutiger Sicht utopisch bis skurril wirken – etwa ein Autozug, in den kleine Stadtwagen quer hineinpassen.

Frederic Vester: "Crashtest Mobilität", Heyne, 1995, 383 Seiten, antiquarisch

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(jle)