Klartext: PR-Job Elektroautofahrer

Bitte versachlicht die E-Auto-Diskussion

Wenn sich die Elektroauto-Fans der ersten Stunde äußern, dann tun sie das mit großer Liebe zu ihrem Hobby, dem BEV-Fahren. Genau deshalb sind ihre Äußerungen für Otto Normalpendler unbrauchbar bis kontraproduktiv. Wir brauchen mehr Realismus

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Die erste Generation von Elektroautofahrern bestand fast ausschließlich aus Enthusiasten. Natürlich schätzten sie den smoothen Antrieb, doch das tut jeder, der einen Elektroantrieb ausprobiert. Ihre Hingabe ging deutlich weiter. Sie wollten zeigen, dass ein Elektroauto das einzige Familienauto sein kann. Sie wollten zeigen, dass BEV (Battery Electric Vehicle, batterieelektrisches Fahrzeug) fahren wirtschaftlich sein kann. Sie wollten zeigen, dass man mit dem BEV große Ferntouren unternehmen kann. Viele Leser werden sich an Berichte aus dieser Zeit erinnern: Mit dem Tesla S zum Nordkap. Mit dem Smart ED durch die USA. Mit dem Smart ED zum Nordkap. Und so weiter.

Die Avantgarde weiß über alle Einschränkungen und Probleme früher BEV am besten Bescheid, denn sie bestimmten ihren Mobilitätsalltag. Sie reagieren auf Probleme jedoch nicht wie ein Golf-Fahrer, der einfach nur zur Arbeit kommen will. Nein, sie reagieren darauf wie Verliebte auf Probleme mit Geliebten: „Najaa, das ist halt so, ist doch ganz nett.” Vielleicht erinnern Sie sich noch an typische Fälle: Wenn das Auto liegenbleibt, dann kann man beim Strom betteln nette Leute kennenlernen. Wenn man langsamer fährt, sieht man mehr von der Gegend. Häufigere, längere Pausen sind eh gesünder. Sowas. Und ein großer Teil der Avantgarde kann sich bis heute nicht aus der Verliebtheit lösen. Das macht ihre Tipps für Otto Normalfahrer praktisch unbrauchbar.

„Koschda quasi gar nix!”

Es fängt ganz basal bei den Kosten an. „Man kann mit 1,50 Euro auf 100 Kilometer fahren”, las ich letztens wieder. Auf Nachhaken folgte die Erklärung: Wenn man einen Tesla S mit der größten Batterie von 0 auf 100 Prozent Akkustand am Schnelllader der Firma X volllädt, kommt man auf diesen Preis, weil Firma X eine Pauschale pro Ladevorgang nimmt. Diesen Tarif so auszuloten, mag zwar physikalisch möglich sein, aber es ist logistisch derart absurd, dass man schon an absichtliche Irreführung glaubt. Ist es aber nicht. Es ist Verliebtheit. Verliebtheit in einen tollen Antrieb, in eine Utopie, in eine simple Idee.

In Wahrheit mit realistischer Logistik ist Fahrstrom für Haushaltsstrompreise zu haben, wenn ein langsamer AC-Lader reicht, und für etwas mehr, wenn es unterwegs die Druckbetankung mit Gleichstrom sein soll. Die reinen Energiekosten können hier bei gleicher Geschwindigkeit schnell über denen von Dieselkraftstoff liegen. Auch die immer herangeführten Wartungskosten sind zwar wirklich billiger, aber nicht so viel billiger, dass sie den Mehrpreis eines BEV sicher planbar über die Lebenszeit der Batterie herausholen. Seit den ersten, einfacheren E-Antrieben haben sich komplexe Thermo-Management-Systeme durchgesetzt, die das Antriebssystem zwar langlebiger und temperaturrobuster, aber auch komplexer gemacht haben. Ob ein BEV über 25 Jahre und alle Reparaturen billiger ist als ein (komplexerer) Verbrenner-Antrieb, hängt nach aktuellem Wissensstand von der Haltbarkeit der Batterie ab. Je nach Temperaturen und Schnelllade-Häufigkeit hält die manchmal deutlich kürzer oder deutlich länger als vorher geschätzt.