Unbequeme Wahrheit

Der Netzwerkforscher Neil F. Johnson hat analysiert, was wirklich helfen würde beim Kampf gegen Trolle und Hater. Die Antwort ist nicht schön.

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Online-Hass ist eine moderne Plage. Wer sich in sozialen Netzwerken bewegt, kann schnell den Eindruck gewinnen, dass unter jedem Stein, den man umdreht, mindestens ein Troll lebt.

Versuche, das Phänomen juristisch einzudämmen – zum Beispiel durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – sind nicht nur umstritten. Sie erweisen sich gelegentlich auch als zahnlos, wie erst jüngst der Fall von Beschimpfungen der Grünen-Politikerin Renate Künast gezeigt hat.

Der Netzwerkforscher Neil F. Johnson vom Columbian College of Arts and Sciences hat nun kürzlich in Nature ein Paper vorgelegt, das die Effizienz verschiedener Strategien gegen Online-Hass untersucht.

Fun Fact: Die Anwendung von Netzwerktheorie zur Unterdrückung "falscher" Ideen ist nicht neu. Bereits die Inquisition hat nach einiger Zeit gelernt, dass man vor allem gut vernetzte Häretiker fangen muss, um die Ketzerei einzudämmen, schrieben Paul Ormerod und Andrew Roach bereits 2003.

Aber zurück zu Johnson und Kollegen: In ihrer Arbeit (das Paper ist nicht frei zugänglich, aber eine Zusammenfassung) analysieren die US-Forscher die Struktur verschiedener Hass-Netzwerke auf Facebook und VKontakte. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Cluster über Plattformen hinweg in Kontakt stehen und ein "Netzwerk von Netzwerken" bilden. Auf einer Plattform einzelne Nachrichten zu sperren, einzelne User zu bannen, oder gar größere Usergruppen, könne das Problem sogar verschlimmern, schreiben Johnson und seine Kollegen.

Stattdessen schlagen sie vor, gezielt kleinere Cluster von Trollen aus dem Netz zu entfernen, um die größeren Netze, die sich aus den kleineren bilden, zu schwächen, ohne allzuviel Aufsehen zu erregen. Nach ihren Modellrechnungen hat es sich auch als effizient erwiesen, eine nicht allzu große Zahl zufällig ausgewählter User aus Hass-Clustern auszusperren.

Die weitreichendste Idee schließlich ist die, verschiedene Hass-Gruppen durch gezieltes Lancieren von Postings gegeneinander auszuspielen. Das erinnert mich an einen Comic des Zeichners Peter Puck, dessen Comic-Figur Rudi sich in eine Nazi-Kneipe verirrt hatte. Als Rettungs-Strategie wandte Rudi etwas an, das er den "doppelten Freisler" nannte: Aufstehen, und laut rufen: "Was hast Du grade gesagt? Der Föhrer warr schwuuul? Ährrloser Lompp!" Und schon geht die schönste Schlägerei los – unter den Nazis.

Ob das in der Praxis auch so funktioniert? Ich bin skeptisch – aber der Versuch ist bestimmt amüsant.

Im Kern gibt es mit all diesen schönen Vorschlägen allerdings ein Problem: Sie konzentrieren sich nicht auf einzelne Hassbotschaften, nicht auf das, was gesagt wird, sondern darauf, wer es sagt. Die Netzwerktheorie hilft in diesem Fall, gezielt, einzelne User als Ziele zu identifizieren und "unschädlich zu machen". Das wäre ein ziemlich krasser Paradigmenwechsel. Ob wir den wirklich herbeiführen wollen?

(wst)