Atommüll: Einblicke in das finnische Endlager Onkalo

Der finnische Reaktor Olkilouto 3 hat seinen regulären Betrieb aufgenommen. Doch wie weit ist das Endlager Onkalo? Der Autor Robert Macfarlane hat es besucht.

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Atommüll: Das Versteck

Onkalos komplexes System aus Tunneln und Kammern.

(Bild: Posiva Oy)

Stand:
Lesezeit: 21 Min.
Von
  • Robert Macfarlane
Inhaltsverzeichnis

Finnland setzt auf Atomstrom: Der finnische Reaktor Olkiluoto 3 ist in den regulären Betrieb übergegangen und liefert nun Strom aus dem Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). Unterdessen wartet das Endlager Onkalo, das seit gur zwei Jahrzehnten auf der Insel Olkiluoto angelegt wird, auf die Inbetriebnahme. Mit der Genehmigung, den Atommüll im Untergrund der Insel zu lagern, wird für 2024 gerechnet.


Der englische Autor Robert Macfarlane hat für sein Buch "Im Unterland" (2019) unter anderem die Lagerstätte Onkalo während des Baus besucht. An dieser Stelle veröffentlichen wir einen Ausschnitt daraus erneut. Der Text erschien erstmals unter dem Titel "Das Versteck" in Ausgabe 9/2019 von MIT Technology Review.


Tief im Felsgestein der Insel Olkiluoto im Südwesten Finnlands wird gerade ein Grab gebaut. Es soll nicht nur die Menschen überleben, die es sich ausgedacht haben, sondern die gesamte Spezies. Es soll ohne weitere Pflege die nächsten 100.000 Jahre unversehrt überstehen und selbst eine kommende Eiszeit überdauern. Vor 10.000 Jahren flossen drei große Flusssysteme durch die Sahara. Vor 100.000 Jahren begann der anatomisch moderne Mensch seinen Auszug aus Afrika. Die älteste Pyramide ist circa 4.600 Jahre alt, die älteste noch stehende Kirche keine 2.000 Jahre.

Dieses finnische Grab ist mit Sicherungshüllen umschlossen, deren Standards ihresgleichen suchen: sicherer als die Grüfte der Pharaonen, sicherer als jedes Hochsicherheitsgefängnis. Was hier begraben liegt, so hofft man, wird sein Grab niemals verlassen, es sei denn durch die Bewegung der Erde selbst.

Das Grab ist ein Experiment in posthumaner Architektur, es heißt Onkalo, die finnische Bezeichnung für "Höhle" oder "Versteck". In Onkalo sollen hochradioaktive Abfälle versteckt werden, die vielleicht dunkelste Materie, die der Mensch je produziert hat.

Seit der Mensch Atommüll produziert, versucht er heraus­zufinden, wie man ihn entsorgen kann. Uran entstand vor 6,6 Milliarden Jahren bei Supernova-Explosionen und ist Teil des Weltraumstaubs, aus dem unser Planet besteht. Es kommt in der Erdkruste ebenso häufig vor wie Zinn oder Wolfram und lagert in den Felsen, auf denen wir leben. In langwierigen, kostspieligen, wundersamen, gefährlichen Versuchen hat der Mensch herausgefunden, wie sich Uran in Energie umwandeln lässt. Wir wissen, wie wir mit Uran Strom erzeugen und Tod bringen können, aber wir wissen immer noch nicht, wie wir es ent­sorgen sollen, wenn es sein Werk getan hat. Über eine Viertelmillion Tonnen hochradioaktiver Abfälle warten derzeit schätzungsweise weltweit auf ihre Endlagerung, wobei jährlich circa 12.000 Tonnen hinzukommen.

Uran wird in Erzminen in Kanada, Russland, Australien, ­Kasachstan und bald vielleicht auch im Süden Grönlands ­abgebaut. Das Erz wird gebrochen und zermahlen, dann das Uran mit Säure herausgelöst, in Gas umgewandelt, angereichert und zuletzt wieder verfestigt zu Pellets geformt. Ein einzelnes Pellet mit angereichertem Uran, einen Zentimeter im Durchmesser, einen Zentimeter lang, setzt ungefähr die gleiche ­Menge Energie frei wie eine Tonne Kohle. Die Pellets werden in glänzende Brennstäbe verpackt, die meist aus einer Zirconium-Legierung bestehen und gut gebündelt tausendfach in den ­Reaktorkern eingesetzt werden, wo schließlich die Kernspaltung ausgelöst wird. Bei der Kernspaltung entsteht Wärme, die Dampf in eine Turbine drückt, deren Welle einen Stromgenerator antreibt.

Endlager Onkalo (8 Bilder)

Blick auf den oberirdischen Teil der Endlagerungsstätte Onkalo.
(Bild: Posiva)

Erreicht die Kernspaltung den Punkt, an dem sie langsam und damit ineffizient geworden ist, müssen die Brennstäbe ausgetauscht werden. Sie sind aber immer noch extrem heiß und tödlich radioaktiv. Das unbeständige Uranoxid strahlt weiterhin Alpha- und Betateilchen und Gammawellen ab. Stünde man neben einem unbedeckten Bündel Brennstäbe, das gerade aus dem Reaktorkern kommt, würde die Radioaktivität in den Körper eindringen, die Zellen zerstören und die DNS schädigen. Vermutlich würde man binnen weniger Stunden unter Bluten und Erbrechen sterben.

Deshalb werden die verbrauchten Brennstäbe, von Wasser oder einer anderen Flüssigkeit abgeschirmt, maschinell aus dem Reaktor geholt und zunächst meist für einige Jahre in tiefen unterirdischen Becken gelagert, bevor sie zur Wiederaufbereitung oder Endlagerung in Castoren weitertransportiert werden. In den Becken saugt das Wasser geduldig den Partikelregen aus den Brennstäben auf. Weil dieser Regen das Wasser erwärmt, muss es permanent zirkulieren und gekühlt werden, damit es nicht verdampft und die Brennstäbe freilegt, was eine Katas­trophe zur Folge hätte.

Doch selbst nach Jahrzehnten sind die Brennstäbe immer noch heiß, giftig und radioaktiv. Es gibt nur einen Weg, wie sie der Biosphäre keinen Schaden mehr zufügen können: den langfristigen natürlichen Zerfall. Bei hochradioaktiven Abfällen kann das Zehntausende Jahre dauern, in denen die abgebrannten Brennstoffe sicher gelagert werden müssen, ohne Kontakt zur Luft, zur Sonne, zu Trinkwasser, zu Leben.