Atommüll: Einblicke in das finnische Endlager Onkalo

Seite 3: Die Zukunft vor der Gegenwart schützen

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"Hiermit verkapseln wir die Brennstäbe für die langfristige Lagerung", sagt er und zeigt auf einen zweieinhalb Meter langen Zylinder aus Kupfer mit einem halben Meter Durchmesser. Er klopft mit den Knöcheln darauf. Es schallt.

"Keine Nachbildung – alles echt. Wissen Sie, was ein Kilogramm Kupfer kostet? Das ist der beste Aufbewahrungsbehälter überhaupt: Weil es nicht reagiert."

In dem Kupferkanister befindet sich ein weiterer, guss­eiserner Behälter, der innen so aufgeteilt ist, dass er wie ein Tic-Tac-Toe-Brett aussieht, mit Lücken für die Quadrate. In diese Lücken werden die Brennstäbe mit der Zirconium-Legierung gesteckt, die die Pellets mit dem ausgebrannten Uran enthalten. Ein voller Behälter wiegt an die 25 Tonnen und wird in ein wasserabsorbierendes Bett aus Bentonit-Ton gelegt, das sich 450 Meter unter der Erde in einer ausgestochenen Röhre befindet, tief im Felsgestein aus Gneis und Granit.

Ich murmele die Schichten der Einbettung von innen nach außen vor mich hin: Uran, Zirconium, Eisen, Kupfer, Bentonit, Gneis, Granit. In Onkalo wurde Uran in Zirconium in Eisen in Kupfer in Bentonit in Hunderte Meter Fels gehüllt, um die Zukunft vor der Gegenwart zu schützen.

Im Ausstellungsbereich steht auch eine lebensgroße Nachbildung von Albert Einstein, mit Stift in der Hand am Schreibtisch sitzend, vor sich ein Blatt Papier.

"Schauen Sie, wer auch hier ist!", sagt Pasi und geht mit mir zu Einstein hinüber.

Der Mann sieht mitgenommen aus. Sein Gummigesicht, das im besten Licht vielleicht noch eine schwache Ähnlichkeit aufwiese, hat sich vom Hals gelöst. Durch das klaffende Loch sehe ich Streben und Scharniere aus Metall.

"Drücken Sie auf den Knopf", drängt mich Pasi und zeigt auf einen roten Schalter auf ­unserer Seite des Schreibtischs, der eine Interaktion zwischen Besucher und Ausstellungsstück ermöglicht.

Ich drücke.

Einsteins Oberkörper dreht sich zu uns und rastet ruckelnd ein, sodass die rechte Hälfte seines grauen Schnurrbarts herunterklappt und sich über seine Oberlippe legt. Vom Band spricht auf Finnisch eine Stimme, die ich nicht für die des Physikers halte.

Pasi runzelt die Stirn, dann lehnt er sich über den Schreibtisch und drückt vorsichtig mit dem Daumen den Einstein'schen Bart wieder an.

Über flaches, gerodetes Land nähern wir uns dem Eingang zum Versteck. Die Birken, Kiefern und Espen wurden gefällt, die Baumstümpfe aus der Erde gezogen, um neben der Landstraße eine quadratische Lichtung auszuheben. Ein doppelter Maschendrahtzaun hält Elche, Streuner und Terroristen vom Gelände fern. Schnee auf grauem Kies. Der Sturm hat nachgelassen. Im Zentralgebäude aus gelbem Wellblech bietet ein Automat Energydrinks der Marke Battery feil.

Die Landschaft, unter der das Versteck ruht, wurde vom Gletschereis flachgewalzt, das sich in den letzten zwei Millionen Jahren darübergeschoben hat. Haushohe Findlinge liegen verstreut zwischen den Bäumen, wo das letzte Eis sie abgelegt hat. Die Gletscher scheinen noch nicht lange fort zu sein, fast so, als würden sie bald wiederkehren.