Abhör-Gesetz vor dem Verfassungsgericht: "Sehr genau prüfen, was der BND tut"

In Karlsruhe wird ab Dienstag darüber verhandelt, ob der BND ausländischen Datenverkehr abhören darf. Ein Interview mit dem Juristen Ulf Buermeyer.

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Abhör-Gesetz vor dem Verfassungsgericht: "Sehr genau prüfen, was der BND tut"

Ulf Buermeyer

(Bild: GFF/Daniel Moßbrucker)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt am Dienstag und Mittwoch dieser Woche über eine Beschwerde ausländischer Journalisten gegen die Ausspähung internationalen Datenverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Gegenstand der Beschwerde ist das 2016 erweiterte BND-Gesetz, dass dem deutschen Auslandsnachrichtendienst auch die Überwachung der "Telekommunikation von Ausländern im Ausland" an Netzknoten wie dem DeCIX in Frankfurt ermöglicht.

Dagegen geht die Organisation "Reporters Sans Frontières" im Namen einiger internationaler Journalisten und Menschenrechtsanwälten vor. Für den deutschen Ableger der "Reporter ohne Grenzen" und die großen Journalistenverbände koordiniert die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) die Klage. Dabei geht es aber nicht nur um die Rechte von Journalisten, betont der Vorsitzende der GFF, Ulf Buermeyer, am Montag in Karlsruhe beim Interview mit heise online: "Die verfassungsrechtliche Würdigung dessen, was der BND tut, betrifft nicht in erster Linie die Pressefreiheit."

heise online: Mit der Verhandlung zur Verfassungsmäßigkeit des BND-Gesetzes hat sich Karlsruhe die erste von einer ganzen Reihe von Beschwerden gegen die nach den Snowden-Enthüllungen novellierten Überwachungsgesetze herausgegriffen. Es sind ja auch noch Klagen gegen das Bundesverfassungsschutzgesetz, gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen das G10-Gesetz, das BKA-Gesetz und den Staatstrojaner anhängig. Will Karlsruhe das Thema Überwachung sozusagen von außen nach innen abarbeiten?

Ulf Buermeyer: Ich denke, dass sich das Verfassungsgericht dieses Verfahren ausgewählt hat, weil sich daraus sehr spannende generelle Fragen zur Verfassungsdogmatik ergeben. Das Gericht kann hier eine Antwort geben, ob die Grundrechte tatsächlich alle deutschen Behörden binden. Oder ob es Behörden gibt, die sich eine Extrawurst braten können. Meine Hoffnung ist, dass die Verfassungsrichter ein für alle Mal klarstellen werden, dass selbstverständlich die gesamte deutsche Exekutive und auch alle anderen Staatsorgane an den Grundrechtekatalog gebunden sind, wie es ja auch Artikel 1 Absatz 3 vorsieht.

Die Ausweitung von Grundrechten auf Bürger anderer Länder wurde auch schon mal als Grundrechteimperialismus bezeichnet. Immerhin sind diese Bürger ja auch deutschen Gesetzen nicht unterworfen, oder?

Ehrlich gesagt halte ich das Argument des Grundrechtsimperialismus für abwegig. Unter Imperialismus versteht man üblicherweise, dass ein Macht anderen Menschen ihre Regeln aufzwingt. Hier geht es im Gegenteil darum, auch Menschen im Ausland vor etwaigen Übergriffen deutscher Behörden zu schützen. Das ist das Gegenteil von Imperialismus. Es ist eher ein Export von Rechtsstaatlichkeit und Deutschland kann auf diese Weise mit guten Beispiel bei der Umsetzung des Prinzips vorangehen, dass Menschenrechte universell gelten.

Wie ist es denn mit der universellen Geltung anderer Grundrechte. Wäre der BND nicht gebunden, dürfte er auch töten?

Das Grundgesetz unterscheidet in der Tat bei einigen wenigen Grundrechten zwischen Deutschen und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. In dem Verfahren geht es aber um das Telekommunikationsgeheimnis, also die Garantie, ohne staatliche Überwachung über das Netz kommunizieren zu dürfen. Dies ist ausdrücklich nicht als "Deutschenrecht" ausgestaltet, sondern es ist ein universelles Grundrecht, das alle Menschen gleichermaßen schützt. Eine Auslegung, dass das Recht auf Privatsphäre nur für Deutsche gilt, würde übrigens auch internationalen Menschenrechtsstandards widersprechen. Verfassungsrechtler und auch Gerichte fassen die "Deutschenrechte" inzwischen auch mit spitzen Fingern an, eben weil internationale Vereinbarungen zu den Menschenrechten keine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit treffen.

Die Beschwerdeführer sind Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten. Zielen sie ausschließlich auf Sonderrechte für diese Berufsgruppen? Wäre die Klage durch einen Ausnahmeparagraphen für die sogenannten Berufsgeheimnisträger erledigt?

Nein, keineswegs. Die Beschwerdeführer haben wir ausgewählt, weil sie als Journalistinnen und Journalisten in ihrer Arbeit besonders gravierend von den Folgen der Internetüberwachung betroffen sind. Aber die verfassungsrechtliche Würdigung dessen, was der BND tut, betrifft nicht in erster Linie die Pressefreiheit. Das Grundrecht, das wir gerügt haben, ist das Telekommunikationsgeheimnis und damit zusammenhängend einige Datenschutzfragen.

Lässt sich die Beschwerde durch ein Versprechen abweisen, dass Unbescholtene – und natürlich deutsche Grundrechtsträger – immer effektiver ausgefiltert werden?

Wir verweisen ganz ausdrücklich darauf, dass die automatischen Filterungen, so wie sie der BND bisher vorsieht, ganz offenkundig nicht funktionieren. Selbst wenn man von 98 oder 99 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit ausgeht, bedeutet das immer noch, dass ein oder zwei Prozent der Verkehre nicht ausgefiltert werden, obwohl sie Deutsche betreffen. Schon deswegen ist die Überwachung grundsätzlich nach den Maßstäben zu beurteilen, die auch für Deutsche gelten. Denn selbst bei Annahme der konservativen Prozentzahlen geht es immer noch mindestens um Zehntausende, vielleicht sogar Millionen von Kommunikationsvorgängen deutscher Bürger, die der BND eigentlich gar nicht überwachen dürfte. Die Unterscheidung in Deutsche und Ausländer ist schon vor diesem Hintergrund aus unserer Sicht nicht haltbar.

Könnte eine bessere Kontrolle das BND-Gesetz aus Ihrer Sicht retten?

Wir erhoffen uns selbstverständlich vom Verfassungsgericht auch, dass es konkrete Vorgaben für eine bessere Kontrolle der Arbeit des BND aufstellt. Bislang ist der Dienst ja offenkundig kaum kontrolliert und kann weitgehend schalten und walten, wie er will. Rechtsverstöße werden allenfalls zufällig durch eine nachgelagerte Kontrolle aufgedeckt. Der Dienst kann sich aber im Prinzip ans Recht halten oder auch nicht. Wir erhoffen uns daher sehr, dass die Richter Vorgaben für eine bessere Kontrolle machen. Aber, am Kernproblem, dass der BND das Internet ohne konkreten Verdacht allgemein überwachen kann, ändert eine solche Kontrolle nichts. Wir streben mit unserer Beschwerde an, dass die nicht zielgerichtete, allgemeine Überwachung des Internet für verfassungswidrig erklärt wird.

Die Bundesregierung hat mit allerlei Tricks versucht, die Abweisung der BND-Beschwerde wegen Verfahrensfragen zu erwirken, das hat aber offensichtlich nicht verfangen in Karlsruhe, oder?

Zunächst einmal muss man sagen, dass es keinerlei Belege dafür gibt, dass der BND in der Tat besser für die Sicherheit sorgen kann, wenn er die komplette Internetkommunikation abfängt. Sobald es konkrete Hinweise auf ein schweres Verbrechen oder die Planung eine solchen gibt, kann und soll überwacht werden. Alle Menschen unter Generalverdacht zu stellen, ist dagegen vollkommen unverhältnismäßig. Die Warnungen, die der BND derzeit durch die Person seines ehemaligen Präsidenten verbreiten lässt, entsprechen doch eher den typischen Sprechblasen eines Geheimdienstes, der alle möglichen Horrorszenarien an die Wand wirft, ohne konkret zu werden. Das kann in einem Rechtsstaat einfach nicht ausreichen. Wir erhoffen uns vom Bundesverfassungsgericht daher auch, dass es den BND endlich an rechtsstaatlichen Kriterien misst. Es muss konkret geprüft werden, ob die standardmäßigen Grundrechtseingriffe durch den Geheimdienst erforderlich sind und welchen Ertrag sie konkret bringen. Es reicht nicht aus, dass der Dienst sich ständig hinter den angeblichen Erfordernissen der Geheimhaltung verbirgt und sich damit Blankoschecks ausstellen lässt.

Ist es angesichts der geplanten zwei Verhandlungstage noch denkbar, dass die Verfassungsrichter die Klage als grundsätzlich unbegründet zurückweisen?

Aus einer rechtlichen Perspektive kann das Gericht sicherlich in jede Richtung entscheiden. Wenn man die Praxis der Arbeit des Verfassungsgerichts anschaut, darf man eine solche mündliche Verhandlung als Signal werten, dass die Richter die Beschwerde jedenfalls für zulässig und teilweise auch für begründet halten. Sonst würden sie wohl kaum eine solch umfangreiche Verhandlung durchführen.

Was ist in der Verhandlung zu erwarten?

Ich denke, dass das Bundesverfassungsgericht sehr genau prüfen wird, was der BND überhaupt tut. Er versteckt sich ja bislang hinter dem Argument der Geheimhaltung und möchte am liebsten gar nichts darüber preisgeben, was und wie er überwacht. Der Verhandlungsgliederung kann man entnehmen, dass das Verfassungsgericht diese Art der Geheimniskrämerei nicht mitzumachen gedenkt. Aus Sicht der GFF möchte ich sagen: Wir haben viel zu lange auf pauschale und nicht nachprüfbare Beteuerungen von Geheimdiensten gehört. Auch Geheimdienste müssen sich an rechtsstaatlichen Kriterien messen lassen, wenn sie Grundrechte einschränken wollen. Denn sonst könnten sich Geheimdienste in Grunde mit unbelegten Aussagen eigene Rechtsgrundlagen schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch. (vbr)