KI-Pionier Douglas Lenat: Comeback der Expertensysteme

Nach mehr als 30 Jahren könnte symbolische KI reif für die Anwendung sein, meint der Mathematiker und Physiker Douglas Lenat.

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Wirtschaftsfaktor Künstliche Intelligenz

(Bild: dpa, Axel Heimken/dpa)

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Nach über dreißig Jahren beharrlicher Arbeit ist Douglas Lenat sicher, dass seine KI jetzt reif ist für reale Anwendungen. "Wir haben eine große, breit angelegte Ontologie des menschlichen Wissens“, erklärte Lenat gegenüber Technology Review (neue Ausgabe 5/20 am Kiosk oder online bestellbar). "Das ist ein Aufwand, den man nur einmal treiben muss. Entwickler können nun relativ schnell neue Anwendungen schaffen, ohne in mühsamer Kleinarbeit über Jahre hinweg eigene Expertensysteme bauen zu ­müssen."

Der Mathematiker und Physiker Douglas Lenat promovierte 1976 in Stanford mit einer Arbeit über ein Programm, das neue mathematische Theoreme entdecken konnte, indem es auf grundlegende Konzepte aus der Mengen­lehre und logische Regeln aufbaute.

Lenat erkannte jedoch schon bald, dass es eine breite Wissensbasis bräuchte, um solche Systeme robuster zu machen. Er nannte sein Projekt "Cyc" – abgeleitet vom englischen "Encyclopedia". Eine "symbolische" KI, die aus einer Art großen Wissensgraphen und Modulen zum Ableiten logischer Schlüsse aus diesem Wissen besteht. Im Unterschied zu einfachen Wissensgraphen kann CycL, die Programmiersprache von Cyc, auch solche Sätze erfassen, die Logiken höherer Ordnung enthalten. "Jeder Satz, den man in englischer Sprache verfassen kann, lässt sich auch in CycL darstellen", sagt Lenat.

TR 5/2020

Weil der KI-Forschung zu diesem Zeitpunkt jedoch eine Menge Skepsis entgegengebracht wurde, flüchtete Lenat mit seinem Projekt zunächst unter das Dach eines Regierungskonsortiums. Später, in einem privaten Unternehmen, verfolgte er das Projekt jedoch unermüdlich weiter. "In den 80er- und 90er-Jahren haben wir dem System fundamentale Konzepte beigebracht: was Wetter ist zum Beispiel, wie Menschen Kleidung verwenden und welche Emotionen es gibt“, sagt Lenat. Sie füllten ihre Datenbank mit etwa 1,5 Millio­nen taxonomisch geordneten Basisbegriffen wie Mensch, Auge, Nacht und verknüpften sie mit rund 25 Millionen Regeln.

Zu der Aussage, dass Menschen nachts schlafen, gehört etwa, dass sie sich hinlegen und die Augen schließen. "Diese Regeln zu programmieren hat mehrere Jahrzehnte gebraucht, obwohl sechzehn Menschen an dem Projekt gearbeitet haben." Die Öffentlichkeit erfuhr jedoch nicht viel von diesen Fortschritten. Bis auf einzelne, sporadische Veröffentlichungen war es still um Cyc. Bis jetzt.

Verschiedene Partnerprojekte haben Lenat zufolge nun gezeigt, dass in der Regel nur noch sehr spezifisches Fachwissen ergänzt werden müsse, um eine Anwendung zu programmieren. "Heute bilden wir Dinge in Cyc ab wie die Dicke der Wandung einer Öl-Pipeline oder wie lange man braucht, um einen CT-Scan durchzuführen.“ Statt wie früher Jahre am Aufbau eines Expertensystems zu arbeiten, geht die Programmierung neuer Anwendungen jetzt also vergleichsweise schnell.

Wenn es nach Forschern wie Gary Marcus geht, muss dieser hybride Ansatz dringend ausgebaut werden, um KI-Systeme robuster zu machen. Marcus, ehemals Professor an der New York University und mittlerweile Chef des von ihm gegründeten Unternehmens Robust AI, ist davon überzeugt, dass KI noch immer "ein Versprechen ist, das allzu oft nicht erfüllt wird". Denn die Erfolge, die in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet des Deep Learning gemacht wurden, verschleierten häufig, dass lernende Systeme keinerlei echtes Verständnis der zu lösenden Probleme entwickelten.

Um vom Lernen zum "tiefen Verständnis“ zu kommen, sei es nötig, auf die über sechzigjährige Tradition der symbolischen Wissensverarbeitung in der KI zurückzugreifen, sagt Marcus. "Diese Systeme waren gut darin, logische Schlüsse zu ziehen, aber nicht gut darin, zu lernen", erklärt er. Lernende Systeme wiederum können nicht gut verallgemeinern und abstrahieren. (bsc)