Survival-Ratgeber Verkehrskontrolle

Wer einige Verkehrskontrollen erlebt hat, kennt die Untiefen der Navigation zwischen Ego-Felsen und rechtlichen Strudeln. Er kann außerdem viel erzählen.

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Survival-Ratgeber Verkehrskontrolle
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

"Ich kenn' meine Pappenheimer", lautet eine ebenso alte wie falsche Polizistenweisheit. Sie beschreibt die normal menschliche Vorurteilsbildung aus vergangenen Erfahrungen. Wie bei allen Vorurteilsbildungen führt das dann zu Problemen, wenn der Kontrollierte so ähnlich aussieht wie jemand, der schon einmal Ärger gemacht hat. Entgegen der Weisheit kann man Menschen jedoch ihr Ärgerpotenzial nicht an Nasenspitze oder Hautfarbe ansehen. Selbst statistisch schließt sich die Logik kurz: Der Troublemaker sah soundso aus, also kontrolliere ich solche Menschen, also ermittle ich unter ihnen weitere Troublemaker, also habe ich recht; ich hab's beim Ersten schon geahnt. Alle Deutschen ab einer gewissen Winterbräune wissen sehr genau, was ich meine.

Es gibt jedoch auch Pappenheimer ohne Winterbräune. Ich sehe zum Beispiel so typisch deutsch aus, dass man mit mir die Fünfzigerjahre im Ruhrpott illustrieren könnte. Dennoch wurde und werde ich recht häufig kontrolliert. Das liegt an den Faktoren Motorradfahrer, Lebenskilometerleistung, farbenfrohe Fotobekleidung, irgendwo herumstehen und Dinge fotografieren und gelegentlich an ausländischen Kennzeichen, Zitat: "Sie verstehen schon, dass wir Sie anhalten MUSSTEN. Sie haben ein italienisches Kennzeichen." Ah ... ja. Als viel Kontrollierter möchte ich hiermit einige Erfahrungswerte an normal häufig Kontrollierte weitergeben, denn die kommen häufig empört aus einer Kontrolle. Nicht persönlich nehmen: Es kann jeden treffen, wenn es auch nicht jeden gleich häufig trifft. Sorgen müssten wir uns machen, wenn nur noch Pappenheimer kontrolliert werden.

Der wahrscheinlich beliebteste Opener bei jeder Polizeikontrolle lautet: "Sie wissen, warum ich Sie anhalte?". Darin zeigt sich die Hoffnung der Beamten, dass sich der Kontrollierte selbst belastet, weil das Arbeit abnimmt. Sie müssen sich jedoch nicht selbst belasten, mehr noch: Sie sollten sich nicht selbst belasten. Wer gleich ausruft "Ja, ich habe Kennedy erschossen und hier sind 3 kg gestrecktes Kokain, das ich gerade in den Untergrund zum veganen Echsenmenschenbuffet mit Attila Hildmann schmuggele!", der hat den Kontakt zum Boden verloren, auf dem es nur darum geht, einmal die Papiere vorzuzeigen.

Schwarzes Hoodie, "Joghurt"-*zwinkerzwinker*-Flecken am Kapuzenrand, klarer Fall von Pappenheimer. Abführen!

(Bild: Bayerische Polizei)

Besser: Ruhig, freundlich und sachlich den Beamten bitten, seine Wünsche zu äußern. Der Mindestwunsch ist ein Blick in die Papiere. Führerschein, Zulassungsbescheinigung Teil 1 (ex: Fahrzeugschein), und bei Umbauten mit Typ-Teilen die Allgemeine Betriebserlaubnis der Teile (ABE) sollten immer an derselben Stelle im Fahrzeug liegen, am Motorrad gegen Feuchtigkeit gesichert. Eigentlich müssen Sie auch den Personalausweis oder Reisepass vorzeigen können, danach hat mich aber in Dutzenden Kontrollen noch nie ein Beamter gefragt. Es war vielleicht stets zu viel sonstiges Halligalli am Start.

Es kursiert der Tipp, den Führerschein zuhause zu lassen, damit ihn die Polizei nicht schon bei der Kontrolle einziehen kann. Als Beispiel wird der Drogentest genannt, bei dem der Fahrzeugführer dann in extremo monatelang ohne Führerschein auf sein Ergebnis warten müsse. Nun habe ich auch solche Kontrollen mit Drogentest hinter mir. Es dauert keine Monate, je nach Testart und Entfernung zur Wache reichen häufig ein paar Minuten, und wer keine Drogen nimmt, sollte davor nicht übertrieben Angst haben, weil falsch positive Ergebnisse zum Glück sehr selten vorkommen.

Natürlich gibt es auch bei Drogen "Pappenheimer", oder vielleicht habe ich außer einem tragischerweise todsicher diagnostizierten "Resting Bitch Face" auch eine Drogenfresse. Auf jeden Fall glaubt die Mehrheit der Verkehrspolizei, dass ich mir mindestens täglich THC reinziehe. Die Tendenz geht gar zum beamtlichen Glauben an regelmäßige LSD-Tickets. Dass sich diese Erwartung dann nicht mit der Realität deckt, führt zu narrativer Desynchronisation: "Haben Sie etwas zu sich genommen?", fragte die Beamtin. "Ja, ich habe vorhin eine Wurscht gegessen", antworte ich wahrheitsgemäß. Da wird ihr Kollege unwirsch: "DROGEN! Die Kollegin meint DROGEN!!" Ne, auch ned.

Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, ließen sie mich ziehen – im Auto meiner Schwester, von dem ich später erfuhr, dass es seit anderthalb Jahren weder TÜV noch Endschalldämpfer hatte. Dass der Krach nicht auffiel? Der HU-Termin in den Fahrzeugpapieren? Der gammlige TÜV-Bapper auf dem Kennzeichen? Ich als Fachmann spreche in solchen Fällen von "Drogenmyopie". Man kommt mit allen Verkehrsregelbrüchen durch, wenn nach Drogen gesucht wird.

Glauben Sie mir außerdem eines: Der Führerschein ist Ihre kleinste Sorge, wenn ein nervös schwitzender Polizist aufmerksam Ihren Piller begutachtet, damit die zu testende Flüssigkeit nicht heimlich woanders herausläuft. Tja. Den Tag hatten wir uns beide anders vorgestellt, newahr? Den Führerschein nicht dabei haben kostet nur 10 Euro Bußgeld, manchmal muss der Fahrzeugführer allerdings später auf der Wache seinen Schein vorzeigen – zum Beleg, dass dieser nicht gänzlich verschlampt ist (denn dann muss ein neuer beantragt werden).

Die Polizeiwache ist jedoch kein Brezelbäcker, sondern das Gegenteil. Die Zeit vergeht sehr langsam, während Sie auf Steinböden im Bierwurst-Design glotzen, und es wird sehr viel Zeit sehr langsam vergehen, bis jemand Ihren Zettel anschaut, Ihren Führerschein prüft und dann "Ok, tschüs" sagt. Sie werden sich schon beim ersten Mal wünschen, nicht auf den Tipp gehört zu haben, den Schein daheim zu lassen. Führerscheinbeschlagnahmungen sind eine eher theoretische Gefahr. Das Altern auf der Polizeiwache ist real.

Der wichtigste Tipp: Vor Ort sollten Sie nichts unterschreiben. Es gibt keine Waschmaschinen zu gewinnen. Mir wurden schon lange Listen von Zahlen unklarer Codierung präsentiert, mit der Forderung zur Unterschrift. Äh. Nein, danke. "Aber ich kann Ihnen jede Zahl erklären!" Tja, und ich kann Grimms Märchen vortragen, aber vielleicht sollten wir das beides dennoch verschieben. Bitten Sie höflich, ruhig und freundlich darum, alle Vorwürfe per Fernkommunikation zuzusenden.